Spruch:
Für eine Klage gegen die Deutsche Bundesbahn ist der Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 (3) JN. in Wien, dem Sitze ihrer Generalvertretung für Österreich, gegeben.
Entscheidung vom 23. März 1962, 2 Ob 15/62.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin nimmt die Deutsche Bundesbahn auf Schadenersatz mit der Begründung in Anspruch, diese habe durch die Gewährung von nicht veröffentlichten Sonderbegünstigungen für Getreidetransporte an einen einzelnen Verfrachter (R. & G., Aktiengesellschaft in X.) in gröblichster Weise gegen das in Art. 9 des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 25. Oktober 1952 (CIM; BGBl. Nr. 30 aus 1956) statuierte Verbot von Sonderabmachungen verstoßen; durch dieses Vorgehen der beklagten Partei habe die Klägerin einen erheblichen Schaden erlitten; es seien ihr nämlich bedeutende Mengen an überseeischen Getreide-Importen verlorengegangen, abgesehen von dem damit verbundenen Prestigeverlust ihres Unternehmens. Nach dem letzten Stande des Verfahrens wird - vorbehaltlich weiterer Ansprüche - Schadenersatz in der Höhe von 4.257.000 S geltend gemacht. Die Zuständigkeit des Erstgerichtes hat die Klägerin im erstgerichtlichen Verfahren zuletzt auf die Bestimmungen des § 87 sowie des § 99 (3) JN. gegrundet.
Die beklagte Partei hat die inländische Gerichtsbarkeit bestritten und die Einrede der sachlichen sowie örtlichen Unzuständigkeit erhoben, in der Sache selbst aber Klagsabweisung beantragt.
Das Erstgericht hat das Verfahren auf die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit sowie der sachlichen und örtlichen Unzuständigkeit beschränkt und mit Beschluß vom 16. Oktober 1961 diese Einreden kostenpflichtig verworfen.
Das Rekursgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Einrede der örtlichen Unzuständigkeit statt und wies die Klage kostenpflichtig zurück.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei Folge und verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Revisionsrekurs ist nach der dargestellten Aktenlage zulässig und im Sinne der folgenden Ausführungen auch begrundet.
Wegen des Zusammenhanges der Zuständigkeitsprobleme muß bei der Erledigung des Revisionsrekurses der Klägerin auch auf den Standpunkt der beklagten Partei, für die die Möglichkeit zur Anfechtung des rekursgerichtlichen Beschlusses nicht gegeben war, im vorangegangenen Verfahren Bedacht genommen werden. Diesbezüglich ist festzuhalten, daß die Verwerfung der von der beklagten Partei erhobenen Einrede der sachlichen Unzuständigkeit im Rekurs der Beklagten nicht bekämpft worden ist, so daß diese Frage im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zur Erörterung gestanden ist. Das Erstgericht hat des weiteren die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit verworfen. Diese Entscheidung hat die beklagte Partei im Rekurs unter den Gesichtspunkten der Exterritorialität sowie des Artikels 43 § 5 CIM angefochten. In dieser Hinsicht hat nun das Rekursgericht die Verwerfung der Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit seitens der ersten Instanz gebilligt (es kommt dies zwar nur in den Gründen des zweitinstanzlichen Beschlusses, aber dortselbst eindeutig zum Ausdruck). Zu diesem Punkte liegen also konforme Beschlüsse der Untergerichte vor, so daß die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit bereits in zweiter Instanz endgültig (vgl. § 528 ZPO.) bejaht worden ist.
In dritter Instanz steht also lediglich das Problem der örtlichen Zuständigkeit zur Erörterung. Das Erstgericht hat die Zuständigkeit nach § 87 JN. und § 99 (3) JN. verneint, aber den Gerichtsstand nach § 99 (1) JN. bejaht. Das Rekursgericht ist der Beurteilung der ersten Instanz hinsichtlich der §§ 87 und 99 (3 JN) . gefolgt und deshalb zur Zurückweisung der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit gelangt, weil die Klägerin den Gerichtsstand nach § 99 (1) JN. zuletzt nicht mehr geltend gemacht hatte. Im Revisionsrekurse läßt nun die Klägerin die Verneinung des Gerichtsstandes nach § 87 JN. unangefochten, bekämpft aber im übrigen die Beurteilung des Rekursgerichtes. Demnach stehen die oben bezogenen zwei Fragen in dritter Instanz zur Erörterung.
Zu 1): In der Tagsatzung vom 21. Oktober 1960 hat die Klägerin "auf Befragen angegeben, daß sie sich für die Zuständigkeit des Gerichtes lediglich auf die Bestimmungen des § 87 JN. und 99 (3) JN. berufe". Auch im späteren Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin den Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 (1) JN. nicht mehr bezogen, obwohl sie sich bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz zufolge der Bestreitung der beklagten Partei hilfsweise auf weitere Gerichtsstände hätte berufen können (vgl. z. B. ZBl. 1936 Nr. 188; JBl. 1955, S. 363). Für das Rechtsmittelverfahren gilt aber auch diesbezüglich das Neuerungsverbot. Bei diesem Verfahrensstande hat also das Rekursgericht zutreffend abgelehnt, die Zuständigkeit auf § 99 (1) JN. zu grunden. Über die Geltendmachung eines Gerichtsstandes seitens der Klägerin hinaus durfte nicht von Amts wegen auf einen etwa gegebenen Gerichtsstand zurückgegriffen werden, weil nach der Bestreitung der örtlichen Zuständigkeit durch die beklagte Partei bloß zur Erörterung stand, ob ein von der Klägerin bezogener Gerichtsstand gegeben sei, immer abgestellt auf das letzte Vorbringen der Klägerin in dieser Hinsicht. Mit Recht hat daher das Rekursgericht die Erledigung der ersten Instanz zu dieser Frage abgelehnt. Wenn die Revisionsrekurswerberin zur bezogenen Erklärung vom 21. Oktober 1960 vorbringt, diese Äußerung hätte sich nur auf die in dieser Tagsatzung gestellten Beweisanträge beziehen sollen, da eine getrennte Beweisführung zum Gerichtsstande nach § 99 (1) JN. nicht notwendig gewesen sei, dann kann dieser Prozeßerklärung laut dem oben bezogenen Inhalte ein derartiger Sinn nicht entnommen werden; sie ist vielmehr eindeutig dahin zu verstehen, daß nur mehr die Gerichtsstände nach §§ 87 und 99 (3 JN) . geltend gemacht würden. Auch unter dem Gesichtspunkte des § 29 JN. ist für den Standpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen. Denn es handelte sich nicht etwa darum, daß im Laufe des Verfahrens die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 99 (1) JN. weggefallen wären, obwohl sie bei Geltendmachung des Gerichtsstandes vorhanden waren, vorliegendenfalls konnte vielmehr auf den bezogenen Gerichtsstand deshalb nicht zurückgegriffen werden, weil die Klägerin diesbezüglich die Geltendmachung nicht aufrechterhalten hatte. Aus diesem Gründe muß es auch als unangebracht bezeichnet werden, wenn nunmehr die Klägerin im Revisionsrekurse die Erledigung des Rekursgerichtes zu diesem Punkte "als aus Gründen der Prozeßlogik und der Prozeßökonomie nicht verständlich" bekämpfen will. Die Schwierigkeiten in dieser Hinsicht sind auf die bezeichnete Prozeßerklärung der Klägerin vom 21. Oktober 1960 zurückzuführen; zufolge der Bestreitung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichtes seitens der beklagten Partei mußte geprüft werden, worauf die Klägerin diese Zuständigkeit grunde und ob die Zuständigkeit im Rahmen ihres Vorbringens nach dem letzten Stande der Verhandlung erster Instanz zu bejahen sei. Die Rüge der Beschwerdeführerin zu diesem Punkte muß also erfolglos bleiben.
Zu 2): Beide Vorinstanzen haben die Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten Gerichtsstand nach § 99 (3) JN. verneint. Dennoch ist der Revisionsrekurs auch in diesem Punkte zulässig, weil die Frage der örtlichen Zuständigkeit von den Vorinstanzen im Ergebnis difform entschieden worden ist, so daß die Grundlagen der einheitlichen Entscheidungen über die örtliche Zuständigkeit nach jeder Richtung im Rahmen der Anfechtung in dritter Instanz zu überprüfen sind.
Der Beschwerde der Klägerin kann in diesem Punkte die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Zunächst ist die Deutsche Bundesbahn, die ihren Sitz nicht im Inlande hat, als Rechtssubjekt im Sinne des § 99
(3) JN. anzusehen; darunter fallen ja auch ausländische Vermögensmassen. Die Entscheidung hängt also von der Beantwortung der Frage ab, ob die in Wien errichtete "Generalvertretung der Deutschen Bundesbahn für Österreich" als ihre ständige Vertretung für das Inland oder als ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ im Sinne der bezogenen Vorschrift zu qualifizieren ist. Nun sind die Vorinstanzen bei der Feststellung der Agenden der genannten Generalvertretung den Angaben des Bundesbahndirektionspräsidenten Dr. H. K. gefolgt. Danach obliegt der Generalvertretung Wien die Erteilung von Auskünften aller Art an die Wirtschaft über den Güter- und Personenverkehr der Deutschen Bundesbahn, ferner die Aufgabe, durch Beratung der Wirtschaft und Kundenbesuche zugleich für die Deutsche Bundesbahn zu werben, Anträge von Stellen der Wirtschaft, die mit der Deutschen Bundesbahn in Geschäftsverkehr treten wollen, entgegenzunehmen und mit ihrer Stellungnahme an die zur Entscheidung befugten Stellen der Deutschen Bundesbahn weiterzuleiten und deren Entscheidungen gegebenenfalls den Wirtschaftsstellen bekanntzugeben; ferner hat die Generalvertretung Wien der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn über Fragen des Verkehrs in der Wirtschaft im Gastland zu berichten und auf besonderen Auftrag Verbindungsaufgaben zu der ausländischen Bahnverwaltung wahrzunehmen; eine Entscheidungsbefugnis steht der Generalvertretung Wien nicht zu. Bei diesen Umständen ist zwar die bezeichnete Generalvertretung nicht als ständige Vertretung der beklagten Partei für das Inland gemäß § 99 (3) JN. anzusehen. Denn diesbezüglich ist Pollak (System[2] S. 327) zu folgen, daß der Vertreterbegriff dem Privatrechte zu entnehmen und darunter jene Person zu verstehen ist, die kraft Gesetzes oder kraft Vollmacht im Namen und mit Rechtswirkung für und gegen den Vertretenen zu handeln befugt ist. Mangels einer Vertretungsbefugnis in diesem Sinne ist die Generalvertretung Wien nicht als eine Vertretung für das Inland nach § 99 (3) JN. zu werten. Dennoch kann der Beurteilung der Vorinstanzen nicht beigepflichtet werden. Denn das Gesetz stellt neben die erwähnte ständige Inlandsvertretung gleichgeordnet "ein mit der Besorgung der Geschäfte ... betrautes Organ", und unter diese Kategorie fällt die Wiener Generalvertretung der beklagten Partei, wenn die Feststellungen der Untergerichte über die Agenden dieser Generalvertretung berücksichtigt werden. Der Ansicht Pollaks (a. a. O.), daß die nebeneinander verwendeten Ausdrücke "Vertretung" und "Organ" keine Verschiedenheit der Rechtsstellung bedeuten, wofür dieser Autor keine Begründung gibt, kann nicht gefolgt werden, demgemäß auch nicht seinen weiteren Ausführungen, worin unterschiedslos hinsichtlich beider gesetzlichen Kategorien auf die Vertretungsbefugnis der inländischen Stelle abgestellt wird. Die Unterscheidung des Gesetzes in zwei Kategorien führt vielmehr zur Annahme, daß es sich um voneinander verschiedene Begriffe handle, und der Ausdruck "Besorgung der Geschäfte" ist offenbar dem Sprachgebrauch des ABGB. entnommen (vgl. z. B. § 1002 ABGB.), so daß er im Sinne seiner Bestimmungen zu verstehen ist. Nun darf der Agendenkreis einer Eisenbahn nicht zu eng verstanden werden; denn auch die Auskunft, Werbung und die damit verbundenen Tätigkeiten sind ein Teil der Bahnagenden, ohne welche die Beförderung von Personen und Gütern als Hauptaufgabenkreis einer Eisenbahn wirtschaftlich nicht denkbar ist. Wird also der Zusammenhang der Funktionen im Eisenbahnbetrieb berücksichtigt, dann muß der Beschwerdeführerin beigepflichtet werden, daß der Gerichtsstand nach § 99 (3) JN. zu bejahen ist; die Generalvertretung der beklagten Partei im Sprengel des Erstgerichtes ist nämlich als ein mit der Geschäftsbesorgung der beklagten Partei betrautes Organ zu werten, wenn auch der Aufgabenkreis der bezeichneten Generalvertretung im Sinne der obigen Ausführungen begrenzt ist.
Somit war dem Revisionsrekurse Folge zu geben und die allein noch zur Erörterung stehende Einrede der örtlichen Unzuständigkeit zu verwerfen.
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