Spruch:
1.) Die Revision der beklagten Parteien wird hinsichtlich eines Betrages von S 41.697,94 sA zurückgewiesen.
2.) Im übrigen wird der Revision der beklagten Parteien Folge gegeben; das Urteil des Erstgerichtes und das Teilurteil des Berufungsgerichtes werden mit Ausnahme des unbekämpft gebliebenen Zuspruches von S 12.500,-- und insoweit, als unbekämpft dem Feststellungsbegehren zu 1/4 stattgegeben wurde, sohin im Zuspruch eines Betrages von S 262.500,-- sA und im restlichen Feststellungsausspruch, aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.
3.) Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Ihr Antrag auf Ersatz der Kosten des Revisionsverfahrens wird abgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 1.2.1980 ereignete sich auf der Gablenzgasse in Wien im Kreuzungsbereich Neumayergasse-Moeringgasse ein Verkehrsunfall, bei welchem Lotte Z***, die inzwischen verstarb, als Fußgängerin vom PKW VW 1303, pol. Kennzeichen W 403.171, des Erstbeklagten, der bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversichert war, niedergestoßen wurde.
Die Verlassenschaft nach Lotte Z*** begehrte den Zuspruch von S 450.000,-- (S 350.000,-- Schmerzengeld und S 100.000,-- Verdienstentgang) sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten ein, daß Lotte Z*** das überwiegende Verschulden im Ausmaß von 3 : 1 an dem Unfall treffe, weil sie die Fahrbahn unaufmerksam und überraschend zu überqueren versucht habe. Die Schmerzengeldforderung sei überhöht, die Verletzungen rechtfertigten ein Schmerzengeld von maximal S 130.000,--. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit dem Betrag von S 316.697,94 samt Anhang statt, wies das Mehrbegehren von S 133.302,06 sA ab und stellte fest, daß die beklagten Parteien der Klägerin zur ungeteilten Hand für alle künftigen Folgen aus dem Unfall vom 1.2.1980 zu haften haben. Es traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:
Lotte Z***, die als Fußgängerin die Gablenzgasse von links nach rechts überqueren wollte, blieb auf der Verlängerung der "Parkfluchtlinie" dort abgestellter Kraftfahrzeuge stehen. Der Erstbeklagte näherte sich der Unfallstelle mit einem Seitenabstand von einem Meter zu den links parkenden Fahrzeugen und einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Etwa 23 m vor der späteren Unfallstelle wurde er auf die Fußgängerin aufmerksam. Da die Gablenzgasse im Bereich der Kreuzung nicht einen geradlinigen Verlauf, sondern einen spitzen Winkel aufweist, ging Lotte Z*** vom Fahrbahnrand 3,6 m nach vorn, um einen Einblick in den Teil der Gablenzgasse zu gewinnen, der stadtauswärts liegt, und blieb auf der Verlängerung der erwähnten Parkfluchtlinie stehen. Der Erstbeklagte reagierte durch Herabsetzung seiner Geschwindigkeit auf die Fußgängerin, fuhr jedoch zu weit links, sodaß er die auf der Fahrbahn stehende Lotte Z*** mit der linken Seite seines PKW mit einer Kontaktgeschwindigkeit von etwa 20 km/h erfaßte. Hätte er seine ursprüngliche Fahrlinie eingehalten oder den Wagen nach rechts verrissen, wäre es zu keinem Kontakt gekommen.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß den Erstbeklagten das Alleinverschulden am Unfall treffe. Berücksichtige man, daß die Gablenzgasse im Unfallsbereich eine Breite von 12,10 m aufweist und daß die Maximalbreite des Fahrzeuges des Erstbeklagten 1,585 m beträgt, wäre ihm auch unter Berücksichtigung des Fließverkehrs ein Vorbeifahren an der Fußgängerin unter Einhaltung eines ausreichenden Abstandes möglich und zumutbar gewesen. Beim Schmerzengeld seien auf den geltend gemachten Anspruch von S 350.000,-- die Teilzahlungen der Beklagten von insgesamt S 75.000,-- anzurechnen gewesen. Das Feststellungsbegehren sei wegen der Dauerfolgen gerechtfertigt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin und der Beklagten, soweit sie sich gegen den Zuspruch von S 275.000,-- und die Feststellung der Haftung für künftige Schäden zu 100 % richtet, nicht Folge und bestätigte das angefochtene Urteil in diesem Umfang als Teilurteil mit der Maßgabe, daß die Feststellung der Haftung der zweitbeklagten Partei für alle künftigen Folgen aus dem Unfall vom 1.2.1980, auf die Höhe der im Versicherungsvertrag vereinbarten Versicherungssummen beschränkt wird. Im übrigen hob es das angefochtene Urteil im Zuspruch von S 41.697,94 sA (Verdienstentgang) auf und verwies die Rechtssache zur Fortsetzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht vertrat ebenfalls die Auffassung, daß Lotte Z*** kein Verschulden an dem Unfall anzulasten sei. Die Fußgängerin sei im Bereich der verlängerten Fluchtlinie der geparkten Fahrzeuge stehen geblieben. Der Erstbeklagte hätte zur Vermeidung eines Kontaktes lediglich seine Fahrlinie beibehalten oder allenfalls nach rechts auslenken müssen. Wann Lotte Z*** in der festgestellten Weise stehen blieb, sei nicht entscheidungswesentlich, weil der Erstbeklagte durch die stehende Fußgängerin in seiner Fahrlinie jedenfalls nicht behindert worden sei; Lotte Z*** habe die Fahrbahn betreten müssen, um Einblick in die Gablenzgasse Richtung stadtauswärts zu gewinnen. Sie habe, da die Gablenzgasse Einbahn stadteinwärts war, nur auf den daraus flutenden Verkehr achten und, um die notwendige Einsicht auf diesen zu haben, die Fahrbahn betreten müssen. Dem Erstgericht sei beizupflichten, daß ihr dieses Verhalten nicht als rechtswidrig vorgeworfen werden könne, weil das Betreten der Fahrbahn durch die Fußgängerin für den Erstbeklagten nicht überraschend im Sinne des § 76 Abs.1 StVO erfolgte und er durch ihr Verhalten in seiner ursprünglichen Fahrlinie nicht behindert wurde. Die Ansicht des Erstgerichtes, wonach die für das beanspruchte Schmerzengeld gewidmeten Teilzahlungen der Beklagten bei dem Zuspruch des Schmerzengeldbetrages zu berücksichtigen seien, werde gebilligt. Im Umfang des Verdienstentgangsbegehrens sei jedoch die Aufhebung des Ersturteils erforderlich.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richten sich die Revision der Klägerin und der Beklagten je aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs.1 Z 4 ZPO. Die Klägerin beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß ihr ein weiterer Betrag von S 75.000,-- s.A. zugesprochen werde; die Beklagten stellen ihren Abänderungsantrag dahin, daß der Klägerin lediglich S 12.500,-- zugesprochen, das Mehrbegehren aber abgewiesen werden möge; weiters möge dem Feststellungsbegehren nur mit 25 % stattgegeben werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben. Die Beklagten erstatteten keine Revisionsbeantwortung.
Zunächst ist klarzustellen, daß die Revisionsanträge der Beklagten mit den Berufungsanträgen identisch sind. Die Beklagten übersehen dabei, daß sie in ihrer Revisionsschrift damit auch die Aufhebung des Ersturteiles im Zuspruch des Verdienstentganges von S 41.697,94 s.A. anfechten. Dies ist aber zufolge mangelnden Rechtskraftvorbehaltes des Aufhebungsbeschlusses nicht zulässig. Ihr Rechtsmittel war daher in diesem Umfang zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
1.) Zur Revision der Klägerin:
Die Klägerin beharrt auf ihrem Standpunkt, daß die Teilzahlungen von der Gesamtsumme des berechtigten Schmerzengeldes und nicht von dem geltend gemachten Schmerzengeldbetrag abzuziehen seien. Dem haben jedoch beide Vorinstanzen zutreffend entgegengehalten, daß die Klägerin ausdrücklich nur ein Schmerzengeld von S 350.000,-- geltend gemacht und diesen Betrag auch nach Vorliegen der Sachverständigengutachten nicht ausgedehnt hat, sodaß die in Anrechnung auf das Schmerzengeld gewidmeten Teilzahlungen auch nur auf den geltend gemachten Betrag angerechnet werden konnten. Die von der Klägerin angestrebte oben dargestellte Vorgangsweise verstieße gegen § 405 ZPO, wonach das Gericht nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Daß aber die Zweckwidmung der Teilzahlungen das Schmerzengeld betrafen, geht aus den Beilagen 3 und 4 eindeutig hervor. Ihrer Revision war somit der Erfolg zu versagen.
2.) Zur Revision der Beklagten:
Die Beklagten vertreten den Standpunkt, daß die Feststellung fehle, wie lange die Fußgängerin Lotte Z*** für den Erstbeklagten sichtbar und wie lange sie schon in ihrer Position bis zum Moment des Zusammenstoßes gestanden war. Erstere Frage wurde von den Vorinstanzen dahin beantwortet, daß der Erstbeklagte 23 m vor der späteren Unfallstelle auf die Fußgängerin aufmerksam wurde. Zu letzterer Rüge verwies das Berufungsgericht auf die Feststellung, daß die Fußgängerin jedenfalls auf der Verlängerung der Parkfluchtlinie von dort befindlichen Fahrzeugen stehen blieb. Diese Feststellungen reichen aber zur Beurteilung des Sachverhaltes nicht aus:
Gemäß § 76 Abs.6 StVO dürfen Fußgänger - wenn Schutzwege bzw. für Fußgänger bestimmte Unter- oder Überführungen nicht vorhanden oder mehr als 25 m entfernt sind - im Ortsgebiet die Fahrbahn nur an Kreuzungen überqueren, es sei denn, daß die Verkehrslage ein sicheres Überqueren der Fahrbahn auch an anderen Stellen zweifellos zuläßt. Daß kein Schutzweg bzw. keine Vorrichtungen der genannten Art in unmittelbarer Nähe der Unfallsstelle waren, haben die Vorinstanzen ihren Entscheidungen unterstellt. Die Beklagten haben Gegenteiliges nicht vorgebracht. Soweit sie erst im Revisionsverfahren den Mangel einer ausdrücklichen Feststellung in dieser Richtung rügen, verstoßen sie gegen das Neuerungsverbot, sodaß darauf nicht näher einzugehen ist.
Den Vorinstanzen ist zunächst zuzustimmen, daß die Fußgängerin die Kreuzung in der von ihr ins Auge gefaßten Weise überqueren durfte, indem sie einen Weg - wie sich aus der Skizze deutlich ergibt - von dem Gehsteig der Neumayergasse über die Fahrbahn in Fortsetzung des Gehsteiges in der Moeringgasse wählte. Dabei war es ihr allerdings gemäß § 76 Abs.1 StVO untersagt, überraschend die Fahrbahn zu betreten. Gemäß § 76 Abs.4 lit.b StVO hatte sie sich zu vergewissern, daß sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährdet. Von einem überraschenden Betreten der Fahrbahn kann angesichts der festgestellten Tatsache, daß der Erstbeklagte die Fußgängerin schon auf 23 m Entfernung wahrnehmen konnte, nicht die Rede sein. Im Hinblick darauf, daß die Fußgängerin so weit in die Fahrbahn treten mußte, daß sie Sicht auf einen allenfalls herannahenden Verkehrsteilnehmer gewinnen konnte, könnte ihr aber angelastet werden, sich zu diesem Zweck zu weit in die Fahrbahn begeben zu haben. Das Erstgericht stellte dazu fest, daß sie vom Fahrbahnrand 3,6 m nach vorn gegangen war, um einen Einblick in die Gablenzgasse zu gewinnen. Dabei wurde unterstellt, daß die Sicht erst von dieser Stelle aus als der Fortsetzung der Fluchtlinie dort abgestellter PKWs zu erreichen war. Damit läßt sich aber die weitere Feststellung des Erstgerichts nicht in Einklang bringen, daß die Gablenzgasse im Kreuzungsbereich keinen geradlinigen Verlauf nahm, sondern einen "spitzen Winkel" aufwies; diesfalls wäre für die Fußgängerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt entsprechende Sicht in die Gablenzgasse zu gewinnen gewesen. Sie hätte als Konsequenz der früheren Sicht allenfalls schon früher das Fahrzeug des Erstbeklagten wahrnehmen können und hätte sich zu diesem Zweck nicht so weit in die Kreuzung hineinbegeben müssen.
Zur Beurteilung des Verhaltens der Fußgängerin im aufgezeigten Sinn fehlt es also an eindeutigen Feststellungen über die Sichtverhältnisse im Bereich der Unfallsstelle. Diese entsprechend nachzutragen, wird auch deshalb nicht zu umgehen sein, weil wegen der "spitzwinkeligen" Verbreiterung der Gablenzgasse im Kreuzungsbereich nicht ohne weiteres davon gesprochen werden kann, daß die sich der Kreuzung nähernden Fahrzeuge diese auch in gerader Richtung übersetzen werden; ein leichtes Auslenken nach links entsprechend der natürlichen Gegebenheit der Kreuzung oder sogar ein unmittelbares Abbiegemanöver nach links in die Neumayergasse wäre durchaus in Betracht zu ziehen. Auch diesfalls wäre es aber von der Fußgängerin allenfalls verfehlt gewesen, sich weiter in die Fahrbahn der Gablenzgasse begeben zu haben, als es zur Gewinnung der erforderlichen Sicht unbedingt erforderlich war.
Solange die Sachverhaltsgrundlage nicht im dargestellten Sinn erweitert ist, kann eine verläßliche Beurteilung des Verschuldens der Unfallsbeteiligten und ihres Ausmaßes nicht erfolgen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Revision der Beklagten im oben aufgezeigten Ausmaß unzulässig war, ihr aber im geltend gemachten Umfang Folge gegeben werden mußte, war unter Bedachtnahme auf die Erledigung der Revision der Klägerin wie im Spruch zu erkennen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 52 Abs.1 ZPO bzw. §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)