OGH 2Ob152/72

OGH2Ob152/727.12.1972

SZ 45/136

Normen

ABGB §1165
ABGB §1295
ABGB §1298
ABGB §1313a
ABGB §1165
ABGB §1295
ABGB §1298
ABGB §1313a

 

Spruch:

Der Unternehmer, der einen Sessellift betreibt, ist nicht nur verpflichtet, ein betriebssicheres Beförderungsmittel zur Verfügung zu stellen, sondern auch dazu, den Fahrgästen die gebotene Hilfe beim Besteigen des Sesselliftes angedeihen zu lassen

OGH 7. 12. 1972, 2 Ob 152/72 (OLG Wien 10 R 18/72; KG St Pölten 2 a Cg 81/71)

Text

Am 2. 2. 1969 Nachmittag ereignete sich bei der Mittelstation des von der Beklagten betriebenen Sesselliftes ein Unfall, bei dem die Klägerin als Fahrgast schwer verletzt wurde.

Die Klägerin stützt ihren mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Schadenersatzanspruch auf das Verschulden des von der Beklagten als Hilfsperson verwendeten Norbert M, auf ihre Halterhaftung nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz und auf ihr Eigenverschulden im Hinblick auf die Unzulänglichkeit der Sicherungsvorkehrungen.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile zweiter und erster Instanz auf und verwies die Rechtssache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Untergerichte sind im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Die Beklagte betreibt seit 1963 einen Sessellift. Die Mittelstation hat zwei nebeneinander liegende Einsteigrampen, eine für die Berg- und eine für die Talfahrt. Letztere ist zirka 8 m lang und 3 m breit, talwärts leicht abfallend mit einer Stufe nach 4.5 m. Die Abgrenzung talseits bildet 1 m tiefer ein zur Unfallzeit 2.5 m langer Fangkorb. Die Einsteigstelle befindet sich etwa 1 m nach Beginn der Rampe. Schaltanlagen sind an der Stütze unmittelbar bei der Einsteigstelle und an einem Pflock zwischen beiden Rampen zirka

1.5 m vor dem Ende der Rampe für die Talfahrt befestigt. An beiden Schaltanlagen befinden sich eine Halttaste, eine Gefahrentaste und ein Langsamfahrschalter (zur Verringerung der Fahrtgeschwindigkeit auf zirka 0.9 m/sek). Nach dem Unfall wurde eine weitere Steuersäule in der Mitte der Rampe mit einer "Notaus- und Gefahrentaste" eingerichtet. Die Geschwindigkeit des Liftes betrug am 2. 2. 1969

1.75 m/sek. Die Sitzfläche eines leeren Sessels ist zirka 55 bis 58 cm vom Boden der Rampe entfernt. Die Rampe war zur Unfallszeit schneefrei.

Gemäß § 6 Abs 6 der Betriebsvorschrift für den Sessellift ist bei der Beförderung von alten, gebrechlichen oder körperbehinderten Personen das Sesselgehänge über Wunsch des Fahrgastes mit einem Kennzeichen zu versehen. Die Gegenstelle ist telefonisch unter Nennung der Sesselnummer zu verständigen, damit beim Aussteigen besondere Vorsicht geübt, erforderlichenfalls der Antrieb auch auf langsam oder ganz ausgeschaltet werden kann.

Am 2. 2. 1969 hatten bei der Mittelstation Norbert M, Josef S und Thomas W Dienst. Norbert M war Einsteighelfer für die Talfahrt, Josef S Einsteighelfer für die Bergfahrt, Thomas W saß an der Kasse. Wegen des schönen Wetters war starker Betrieb.

Die am 13. 2. 1917 geborene, zirka 1.48 m große Klägerin war am 2. 2. 1969 mit einer Gruppe zur Mittelstation gewandert und wollte von dort zu Tal fahren. Sie war schon mehrmals am Semmering und in Heiligenblut mit Sesselliften gefahren und hatte beim Ein- und Aussteigen immer ein bißchen Angst. Als die Klägerin in ihrer Gruppe zum Einstieg kam, sagte sie zu Norbert M: "Ich fürchte mich, daß ich nicht auf den Sessel hinaufkomme." Dieser antwortete: "Das schaukeln wir schon." Als der nächste Sessel kam, hängte sich die Klägerin ihre Handtasche auf den rechten Unterarm, um die linke Hand zum Anhalten frei zu haben. Mit der linken Hand griff sie auf die Stange des Sesselgehänges, hielt sich dort fest, spürte den Sesselsitz an den Beinen, meinte aber, der Sitz sei zu hoch, und setzte sich nicht nach rückwärts in den Sitz. Sie blieb mit ihrem Körper steif und ging mit kleinen Schritten vor dem Sessel her, wobei der Sessel sie vorwärtsschob. M hatte die Klägerin mit der rechten Hand am linken Oberarm erfaßt und versuchte, sie mit der linken Hand in den Sessel zu drücken. Die Strecke von der Einsteigposition bis zur Abstufung der Einstiegrampe legte der Sessel in zwei Sekunden zurück. Nach dieser Zeit und Wegstrecke wurde Norbert M klar, daß es nicht mehr gelingen werde, die Klägerin auf den fahrenden Sessel zu bringen. Er versuchte sie nun wegzuziehen. Die Klägerin, die infolge ihrer Aufregung nicht mehr klar dachte und die Vorgänge um sich nicht mehr wahrnahm, erfaßte nun auch mit der rechten Hand die Sesselgehängestange und hielt sich mit beiden Händen dort fest. Der Versuch, die Klägerin nach links vom Sessel wegzuziehen, mißlang, weil die Klägerin sich festhielt und Widerstand leistete. Inzwischen war Josef S auf den Vorfall aufmerksam geworden, er hatte gesehen, wie Norbert M sich zuerst bemühte, die Klägerin in den Sessel hineinzudrücken und sie dann, als dies nicht gelang, seitlich wegzuziehen; als sich die Klägerin etwa in der Mitte zwischen Einsteigstelle und Rampenende bzw rund 2.5 m vor dem Ende der Rampe befand, drückte er den Nothalteknopf auf dem talseitigen Pfosten. Norbert M ließ die Klägerin und den Sessel aus, als sich dieser dem Ende der Rampe näherte. Die Klägerin hielt sich mit beiden Händen an dem Sessel fest und stürzte, als der Sessel im Zuge der Einbremsung des Seiles in der Fahrtrichtung talwärts ausschwang, wodurch die größte Belastung auf die Klägerin einwirkte und sie die Gehängestange auslassen mußte, zu Boden, wobei der Sessel gerade noch über das Ende des Fangkorbes ausschwang, sodaß die Klägerin rund 6.5 m abstürzte und schwer verletzt wurde.

Die Sesselliftanlage entsprach am 2. 2. 1969 der damals üblichen und dem Stand der Technik entsprechenden Ausführung, wenngleich die Einsteigrampe im Hinblick auf die Fahrgeschwindigkeit und die möglichen Bremsweglängen relativ kurz war. Die Stationslänge wird jedoch durch die behördlichen Sicherheitsbestimmungen begrenzt, damit nicht ein zweiter Sessel in das Seilfeld gelangen und durch das Einsteigen oder Aussteigen in Schwankung versetzt würde, die Schwankungen daher beim Ein- oder Aussteigen unter 10 cm gehalten werden können. Es ist daher nicht möglich, daß die Länge der Station immer ebenso groß oder größer ist als der größte auftretende Bremsweg. Bei der Mittelstation kann bei ungünstigen Belastungsverhältnissen der Bremsweg länger sein als die verfügbare Rampe. Die Betätigung der Stopptaste bewirkt die stärkste mögliche Bremsung. Die Länge des Bremsweges hängt von der Belastung und den Witterungsverhältnissen ab. Bei der Überprüfung der Anlage am 2. 6. 1969 wurden bei einer Geschwindigkeit von 1.75 m pro Sekunde Leerbremswege von 1.8 bis 3.2 m bei voller Tallast Bremswege von 2.9 bis 6 m festgestellt. Bei dem Lokalaugenschein im Strafverfahren wurden Leerbremswege von rund 3 bis 3.5 m festgestellt. Auch die Bremsstrecke ist technisch bedingt. Würde das Seil sehr rasch abgebremst, würden sich alle Sessel in Fahrtrichtung nach vorne bewegen und durch das Schwanken sämtliche Fahrgäste gefährdet werden, ganz abgesehen von der Gefahr des Herausspringens des Seiles aus den Rollen der Stützen. Die Betriebsvorschriften des Sesselliftes entsprachen am Unfallstag den in Österreich üblichen Verhältnissen.

Auf Grund des Unfalles wurde von der Aufsichtsbehörde die Anbringung einer weiteren Steuersäule in der Mitte der Rampe mit einem Notaus- und Gefahrenaustaster und die talwärtige Verlängerung der Rampe der Mittelstation in Form eines wannenförmigen Fangkorbes auf der Talseite angeordnet. Diesen Aufträgen wurde entsprochen. Auch bei den gegenwärtigen Verhältnissen kann ein ähnlicher Unfall nicht ausgeschlossen werden, weil nicht vorhersehbar ist, zu welchem Zeitpunkt ein Fahrgast, der sich am Sessel festhält, abstürzt. Es ist üblich und entspricht den behördlichen Vorschriften, Schutznetze und ähnliche Vorkehrungen nur an jenen Stellen anzuordnen, an denen der Bodenabstand 15 m übersteigt.

Das gegen Norbert M eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt.

Das Erstgericht war der Ansicht, zu dem Unfall sei es nur durch das Verhalten der Klägerin gekommen, die zunächst ihrer Verpflichtung, durch Niedersetzen in den ordnungsgemäß herannahenden Sessel in ihrer Beförderung mitzuwirken, nicht nachgekommen, entgegen jeder Erwartung vor dem Sessel dahingetrippelt sei, sich am Sesselgestänge festgehalten und es unterlassen habe, trotz Bemühens des Einsteighelfers sie wegzuziehen, einen Schritt zur Seite zu treten und damit jede weitere Gefahr auszuschalten. Das Betriebspersonal und die Beklagte hätten hingegen nach Ansicht des Erstrichters jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet.

Auch das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß den mit der Beaufsichtigung der Einsteigstelle Beschäftigten weder ein schuldhaftes Handeln noch die Unterlassung der nötigen Aufmerksamkeit anzulasten sei. Der Unfall sei auch nicht auf Mängel der Anlage zurückzuführen, sondern lediglich auf das Fehlverhalten der Klägerin; dieses stelle ein unabwendbares Ereignis dar, das trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt durch die Beklagte und daher beim Betrieb des Liftes tätigen Personen nicht hätte abgewendet werden können; die Beklagte hafte daher auch nicht nach § 9 Abs 1 EKHG für die der Klägerin durch den Unfall entstandenen Schäden.

Die Klägerin wendet sich gegen diese Rechtsansicht der Untergerichte. Nach ihrer Meinung sei der Unfall auf ein Fehlverhalten des Liftwartes Norbert M zurückzuführen, weil er der Klägerin, nachdem sie ihm erklärt habe, sie fürchte sich beim Aufsteigen, nicht die erforderlichen Verhaltensmaßregeln mitgeteilt und die Geschwindigkeit des Liftes zumindest auf Langsamfahrt umgestellt habe; weiters habe er versäumt, als er bemerkte, daß das Aufsitzen der Klägerin nicht sofort bewerkstelligt werden konnte, die Klägerin sofort vom Lift zu entfernen oder den Antrieb abzustellen; die Beklagte habe auch dafür einzustehen, daß die Sicherheitsvorkehrungen an der Anlage nicht ausreichend gewesen seien, weil die Bremsvorrichtung und der Fangkorb nicht so aufeinander abgestellt gewesen seien, daß die Bremsung noch im Bereich des Fangkorbes hätte wirksam werden können.

Auch der Oberste Gerichtshof ist der Meinung, daß Norbert M ein Verschulden an dem Unfall trifft, für das die Beklagte aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Beförderungsvertrag nach § 1313a ABGB haftet. Bei einem Vertrag, der, wie im vorliegenden Fall, die entgeltliche Beförderung einer Person zum Gegenstand hat, gilt die Verpflichtung, das körperliche Wohlbefinden des Fahrgastes zu gewährleisten, als vertragliche Nebenverpflichtung (SZ 34/50 und SZ 28/87). Die Verpflichtung der Beklagten aus dem Beförderungsvertrag bestand daher nicht bloß darin, der Klägerin ein betriebssicheres Beförderungsmittel zur Verfügung zu stellen, womit diese unter der Voraussetzung ihres eigenen zweckmäßigen und richtigen Verhaltens ans Ziel gelangen konnte, sie war insbesondere auch verpflichtet, ihr die gebotene Hilfe beim Besteigen des Sesselliftes angedeihen zu lassen (vgl SZ 41/137). Im § 5 Abs 1 der Betriebsvorschrift für den Sessellift wird das Bestehen einer derartigen Hilfeleistungspflicht ausdrücklich festgehalten und diese dem Bedienungspersonal auferlegt. Es ist daher der Meinung der Klägerin beizupflichten, daß Norbert M der Klägerin nach der Mitteilung, sie habe Angst beim Aufsteigen, eine wirksame Hilfe hätte leisten müssen. Er hätte jedenfalls der sich ängstigenden Klägerin genaue Anweisungen erteilen müssen, wie sie sich verhalten sollte. Diese Vorsichtsmaßnahme war insbesondere im Hinblick auf die Kürze der Rampe geboten, sie stellt daher keine Überspannung der Pflichten des Einsteighelfers dar und hätte daher trotz der damit möglicherweise verbundenen Beeinträchtigung der Flüssigkeit des Betriebes getroffen werden müssen. Dadurch, daß Norbert M auf die Erklärung der Klägerin, sie fürchte sich beim Aufsteigen, die als Ersuchen um Hilfeleistung verstanden werden mußte, lediglich versuchte, sie in den Sessel zu drücken, nachdem sie mitgetrippelt war, hat er gegen seine Pflicht als Bediensteter der Beklagten zur Hilfeleistung nach § 5 Abs 1 der Betriebsvorschrift verstoßen. Die Unterlassung der gebotenen Hilfsmaßnahmen war für den Unfall kausal. Nach § 1313a ABGB haftet daher die Beklagte für dieses schuldhafte Verhalten des Norbert M als ihres Erfüllungsgehilfen. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann unerörtert bleiben, ob der Unfall auch auf die von der Klägerin behauptete Unzulänglichkeit der Sicherungsvorrichtungen der Anlage zurückzuführen ist.

Nach dem von den Untergerichten festgestellten Verhalten der Klägerin trifft aber auch diese ein Mitverschulden an dem Unfall. Dieses besteht darin, daß sie sich unsachgemäß verhalten hat, obwohl sie bereits mehrmals gleichartige Liftanlagen benützt hat. Sie hätte nicht vor dem Sessel einhertrippeln dürfen, sondern sofort versuchen müssen, sich auf den Sessel hinaufzuziehen, ja es hätte bereits genügt, wenn sie sich einfach in den Sessel hätte fallen lassen, als sie diesen an den Beinen fühlte. Im Hinblick darauf, daß sie den Liftwart auf die nach ihren Befürchtungen zu erwartenden Schwierigkeiten aufmerksam gemacht hat und dieser daher zu besonderer Vorsicht verhalten war, trifft letzteren das überwiegende Verschulden. Dieser Sach- und Rechtslage entspricht eine Verschuldensteilung von 1:3 zum Nachteil der Beklagten. Diese haftet daher der Klägerin zu 3/4 für ihre Schäden aus dem Unfall. Da über deren Höhe bisher noch nicht verhandelt wurde, war iS des Aufhebungsantrages der Klägerin zu entscheiden.

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