OGH 2Ob141/02b

OGH2Ob141/02b12.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine H*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1.) Ruth K*****, und 2.) O***** AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann und Dr. Haymo Modelhart, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 4.578,39 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2002, GZ 11 R 300/01s-54, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 27. Juni 2001, GZ 8 C 635/99t-39, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 439,71 (darin enthalten EUR 73,28 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 5. 9. 1997 fuhr die Erstbeklagte als Lenkerin eines PKW Nissan Micra mit einer Geschwindigkeit von ca 10 km/h auf einen verkehrsbedingt angehaltenen PKW Mazda, in welchem sich die Klägerin als Beifahrerin befand, auf. Durch den Anstoß kam es zu einer Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen Fahrzeuges von 7 km/h, bzw zu einer Beschleunigung der Fahrgastzelle von höchstens 2 g (absolute Obergrenze).

Die Klägerin begehrt zuletzt die Zahlung von S 63.000,-- (Schmerzengeld S 60.000,--, unfallbedingte Spesen S 3.000,--). Sie habe durch den Unfall eine schwere Zerrung der Halswirbelsäule erlitten; es habe Verdacht auf Verrenkung der Wirbelkörper C III und IV mit Verletzung der Bandscheibe und damit einhergehender Gefühlsbeeinträchtigung im linken Fuß bestanden. Sie sei vom 5. 9. bis 10. 9. 1997 stationär und bis 12. 11. 1997 ambulant in Behandlung gewesen. Angesichts der massiven Vorschädigung der Halswirbelsäule sei die erlittene Verletzung auch bei einer unter 11 km/h liegenden Anstoßgeschwindigkeit unfallskausal. Es sei zu einer akuten Aktivierung eines latent vorhandenen Vorschadens im Wirbelsäulenbereich gekommen. Bei Ermittlung des Schmerzengeldbetrages seien auch die massiven Angstzustände und die seelische Anspannung zu berücksichtigen, weil anfänglich die Gefahr einer Querschnittlähmung und die Notwendigkeit eines operativen Eingriffes bestanden habe; die Klägerin habe zwangsweise in einer absoluten Ruhelage verharren müssen. Weitere medikationsbedingte Magenprobleme seien dem Unfall zuzuordnen. Die Klägerin könne weder eine Tätigkeit als Masseurin noch sportliche Aktivitäten durchführen. Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Aus technischer Sicht sei bei der festgestellten Anstoßgeschwindigkeit eine Verletzung der Klägerin selbst bei vorhandener Vorschädigung auszuschließen. Die angegebenen Beschwerden und psychische Belastungen seien nicht unfallskausal. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 50.000,-- statt und wies ein Mehrbegehren ab.

Es stellte zum Unfallshergang noch fest, dass sich die angeschnallte Klägerin zum Unfallszeitpunkt nach links gedreht hatte, um nach hinten zu blicken und sich in einer sogenannten jeweils OOP-Position (Out of Position), also außerhalb der üblichen Sitzposition befunden hatte. Es bestand damals eine geringgradig über den altersgemäßen Durchschnitt hinausgehende degenerative Veränderung im Bereich der Halswirbelsäule. Die Klägerin erlitt durch den Unfall eine unkomplizierte Zerrung der Halswirbelsäule, die ein Schmerzengeld von S 48.000,-- rechtfertige. An unfallkausalen Spesen seien S 2.000,-- angemessen.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht wies das Klagebegehren nach Beweiswiederholung zur Gänze ab und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision unzulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag nach § 508 ZPO dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei.

Es traf nach Vernehmung der Klägerin und der im Verfahren erster Instanz beigezogenen medizinischen Sachverständigen (aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie sowie der Neurologie und Psychiatrie) zur Verletzungsfrage durch den Auffahrunfall - vom Erstgericht abweichende - nachstehende Feststellung:

"Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin bei dem von der Erstbeklagten verursachten Auffahrunfall verletzt wurde, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin eine Zerrung der Halswirbelsäule mit Hautgefühlsstörungen am linken Fuß sowie eine Teilverrenkung des 4. Halswirbels gegenüber dem fünften Halswirbel mit Zerreißung der Bandscheibe C IV, C V, erlitten hat". Im Rahmen seiner Beweiswürdigung führte das Berufungsgericht aus, es möge zwar durchaus zutreffen, dass die Klägerin nach dem Unfall Schmerzen und Gefühlsstörungen verspürt habe, doch könne trotz dieser zeitlichen Nähe nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine unfallbedingte Verletzung geschlossen werden. In der Verletzungsanzeige des Krankenhauses, das die Erstversorgung durchgeführt habe, scheine zwar als Diagnose eine schwere Zerrung der Halswirbelsäule mit Gefühlsstörung im linken Bein und eine Verrenkung im Bereich des 4./5. Halswirbels mit Riss der Bandscheibe auf, weshalb auch mit der gebotenen Vorsicht eine entsprechende Behandlung (absolute Bettruhe) verordnet worden sei, doch sei daraus nicht auf eine unfallkausale Verletzung zu schließen, weil diese Veränderung der Halswirbelsäule bereits vor dem Unfall dokumentiert gewesen sei und sich auch nachher nicht verschlimmert habe. Der typische, nach der allgemeinen Lebenserfahrung stattfindende Geschehensablauf sei bei Auffahrunfällen mit Geschwindigkeitsänderungen unter 8 km/h gerade nicht so, dass er mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf eine Verletzung schließen ließe. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass die Klägerin bei dem gegenständlichen Unfall in Form einer Zerrung der Halswirbelsäule oder sonstigen Verletzungen verletzt worden sei.

Da die Unfallkausalität der von der Klägerin verspürten Schmerzen nicht dem Unfallgeschehen zugeordnet werden könne, sei das gesamte Klagebegehren abzuweisen.

Der gegen den abweisenden Teil des Ersturteils gerichteten Berufung der Klägerin hielt das Berufungsgericht entgegen, ein Schadenersatz bzw Schmerzengeld für die im Zusammenhang mit der "vorsichtigen" Behandlungsweise im Unfallkrankenhaus erlittenen Ängste (geäußerte Gefahr einer Querschnittlähmung, allfällige Notwendigkeit einer Wirbelsäulenoperation, erzwungene Bettruhe) komme angesichts der Negativfeststellung zur Frage einer Verletzung nicht in Betracht. Es könne dem Unfallgegner nicht zugeordnet werden, wenn die Klägerin im Spital "übervorsichtig" behandelt worden sei, weil die Diagnose auf ihre eigenen, nicht objektivierbaren Schmerzangaben zurückzuführen sei. Für Unannehmlichkeiten, die nicht nachweislich im Zusammenhang mit einer zugefügten Verletzung stünden, also für eine aus welchen Gründen immer durchgeführte, aber nicht unfallbedingte medizinische Behandlung, bestehe keine Haftung des schuldigen Unfalllenkers. Ursache der Behandlung und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten sei gerade nicht das Unfallsgeschehen.

Zur Zulassungsbegründung führte das Berufungsgericht aus, die Frage, ob bzw in welchem Umfang die Klägerin durch den Unfall verletzt worden sei, falle in den Bereich der Tatsachenfeststellungen und stelle daher keine erhebliche Rechtsfrage dar. Nicht entschieden sei aber, ob nicht ein Unfallgegner für die unangenehmen Begleitumstände einer besonders "vorsichtigen" Behandlung gleich wie für einen allfälligen Behandlungsfehler zumindest solidarisch hafte. Ein völlig gleichgelagerter Fall sei noch nicht entschieden worden. Zu berücksichtigen sei aber, dass die, ex post betrachtet, "zu vorsichtige" Behandlung im Unfallkrankenhaus im Wesentlichen darauf zurückzuführen sei, dass den behandelnden Ärzten die Vorschädigung der Halswirbelsäule nicht bekannt gewesen sei, weshalb die Verschiebung der Wirbel als frische, durch den Unfall bedingte Verletzung entsprechend vorsichtig behandelt worden sei. Die Klägerin begehrt in ihrer Revision die Abänderung der Vorentscheidungen dahingehend, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagten Parteien beantragten die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage - der entgegenstehende Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - unzulässig.

Der (im Übrigen nicht näher ausgeführte) Vorwurf der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Er liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass der Geschädigte auch bei einer Verletzung einer Schutznorm den Eintritt des Schadens, dessen Höhe und die Normverletzung zu beweisen hat. Wegen der Vermutung der Kausalität der Pflichtwidrigkeit bedarf es hingegen von seiner Seite keines strikten Nachweises des Kausalzusammenhanges (SZ 72/4; RIS-Justiz RS0022561, RS0027640).

Soweit daher die Klägerin die "ergänzende Feststellung" begehrt, sie sei durch den von der Erstbeklagten verursachten (und verschuldeten) Auffahrunfall verletzt worden, steht dem die Negativfeststellung des Berufungsgerichtes entgegen, wonach nicht festgestellt werden konnte, dass sie bei dem Unfall verletzt wurde, insbesondere dass sie eine Zerrung der Halswirbelsäule mit Hautgefühlsstörungen sowie eine Teilverrenkung des 4. Halswirbels gegenüber dem 5. Halswirbel mit Zerreißung der Bandscheibe erlitten hat.

Diese dem Tatsachenbereich zuzuordnende Negativfeststellung ist daher für den Obersten Gerichtshof bindend.

Das Berufungsgericht hat somit die Kausalität des Auffahrunfalles für die von der Klägerin nach dem Unfall erlittenen Schmerzen verneint. Aus diesem Grund kommt es auch auf die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht an. Es steht fest, dass die Klägerin im Spital "übervorsichtig", mit verordneter Bettruhe behandelt wurde, weil eine bereits bestehende Wirbelsäulenschädigung als frische Unfallverletzung angesehen wurde. Dieses Leiden war aber nicht auf den Unfall zurückzuführen, weshalb auch die Risken, die ein solches Leiden mit sich bringt, nicht vom Schädiger, sondern vom Geschädigten zu tragen sind (vgl dazu Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 12). Der vom Berufungsgericht angestrebte Vergleich mit einer Haftung für allfällige Behandlungsfehler schlägt hier nicht durch, weil die nicht durch den Unfall notwendig gewordene Behandlung jedenfalls lege artis erfolgte. Soweit die Klägerin geltend macht, im Krankenhaus "Ängste" ausgestanden zu haben, weil sie befürchten musste, gelähmt zu bleiben oder operiert zu werden, ist dem entgegenzuhalten, dass derartige "Ängste" bei einem "vernünftigen Menschen mit normal typischem Gefühlsleben" (Danzl, Das Schmerzengeld8, 86 mwN), nicht mehr adäquat erscheinen.

Da auch sonst Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht aufgezeigt werden, war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, weil die beklagten Parteien auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben.

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