Normen
Dienstarbeitsunfallsgesetz (Gesetz vom 7) Dezember 1943. DRGBl. I S. 674, §1
Dienstarbeitsunfallsgesetz (Gesetz vom 7) Dezember 1943. DRGBl. I S. 674, §1
Spruch:
Teilnahme am allgemeinen Verkehr nur, wenn der Verletzte als Fußgänger, Radfahrer oder Benützer eines sonst ihm gehörigen Fahrzeuges oder als Fahrgast in einem öffentlichen Verkehrsmittel den Arbeitsunfall erlitten hat, nicht aber, wenn er gerade in seiner dienstlichen Tätigkeit, in Ausübung seines eigentlichen Dienstes, vom Unternehmer in den Verkehr gestellt worden ist.
Felleinkäufer, der mit dem PKW. seines Dienstgebers Geschäftsfahrten unternimmt, ist Arbeiteraufseher gemäß § 899 RVO.
Grenze der Haftungsbefreiung nach § 899 RVO. nicht enger als nach § 898 RVO.
Entscheidung vom 7. Mai 1952, 2 Ob 140/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger war als Felleinkäufer im Handelsgewerbe der Margarete S., der Gattin des Beklagten, bedienstet. Der Beklagte war von seiner Gattin zur Führung dieses Handelsgewerbes ermächtigt und mit der hiezu nötigen Vollmacht versehen. Er unternahm fast täglich aus eigener Initiative ohne vorherige Absprache mit seiner Gattin Reisen zwecks Einkaufes von Fellen in dem von ihm gelenkten Personenkraftwagen seiner Gattin und wurde hiebei vom Kläger begleitet. Am 21. März 1948 verschuldete er bei einer solchen Geschäftsreise durch unvorsichtiges Fahren einen Unfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde. Dieser begehrte vom Beklagten 18.000 S als Schmerzengeld, 25.540.08 S als Verdienstentgang und eine Rente von monatlich 307.50 S. Das Erstgericht hat, nachdem bereits ein früheres Urteil vom Berufungsgericht aufgehoben worden war, mit Teilurteil dem Kläger ein Schmerzengeld von 12.000 S zugesprochen.
Das Berufungsgericht, an das sich beide Parteien gewendet hatten, hat das Begehren auf Zahlung eines Schmerzengeldes von 18.000 S abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Klägers nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge der Revision geht in drei Richtungen:
a) Der gegenständliche Arbeitsunfall sei bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne des § 1 Abs. 2 des Gesetzes, DRGBl. 1943 I S. 674, eingetreten.
b) Der Beklagte sei nicht Bevollmächtigter oder Repräsentant seiner Gattin gewesen und habe
c) keinesfalls als solcher bei der Verschuldung des gegenständlichen Unfalles gehandelt.
In keiner Richtung ist die Rechtsrüge begrundet.
Zu a): Von einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne der erwähnten Gesetzesstelle kann nur dort gesprochen werden, wo der Verletzte als Fußgänger, Radfahrer oder Benützer eines sonst ihm gehörigen Fahrzeuges oder als Fahrgast in einem öffentlichen Verkehrsmittel den Arbeitsunfall erlitten hat, nicht aber, wenn er gerade in seiner eigentlichen dienstlichen Tätigkeit, in Ausübung seines eigentlichen Dienstes, vom Unternehmer in den Verkehr gestellt worden ist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn er in Ausübung seines Dienstes ein vom Unternehmer beigestelltes Fahrzeug, das nicht auch gleichzeitig für den allgemeinen Verkehr bestimmt ist, benützt, sodaß die Teilnahme am Verkehr ein innerbetrieblicher Vorgang bleibt (vgl. die Amtliche Begründung, Deutsche Justiz 1944, S. 21 f., Entsch. 2 Ob 811/50, 2 Ob 62/51, 2 Ob 385/51). Da der Kläger bei der Unfallsfahrt in Ausübung seiner Dienstleistung für die Gattin des Beklagten ein von ihr zu dieser Geschäftsfahrt zur Verfügung gestelltes, nicht der Allgemeinheit zugängliches Fahrzeug benützt hat, hat er daher am allgemeinen Verkehr nicht teilgenommen.
Zu b): Durch die Bestimmungen der §§ 898 f. RVO. werden im Hinblick darauf, daß das Unternehmen die Lasten der Unfallsversicherung trägt, jene Personen entlastet, die eine nach außen hin in Erscheinung tretende Führerstellung im Unternehmen haben, so neben dem Unternehmer selbst seine Bevollmächtigten, die nach außen hin selbständig zu handeln befugt sind, ferner Betriebs- und Arbeiteraufseher. Wenn nun der Beklagte von seiner Gattin zur Führung ihres Handelsgewerbes ermächtigt und bevollmächtigt war ("die hiezu nötigen Vollmachten hatte"), selbständig seine Geschäftsfahrten zum Zwecke von Felleinkäufen beschloß und den Kläger beauftragte, ihn hiebei zu begleiten, kann seine Stellung als Bevollmächtigter und Arbeiteraufseher im Sinne des § 899 RVO. nicht fraglich erscheinen. Wenn die Revision dagegen darauf verweist, daß die Gattin des Beklagten, Margarete S., als Zeugin angegeben habe, daß der Beklagte ihr Geschäft nur in ihrer Abwesenheit in ihrer Vertretung führe, daß sie aber am Unfallstag im Geschäfte gewesen sei, und wenn die Revision die Nichtbeachtung dieser Zeugenaussage als einen sich aus einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ergebenden Verfahrensmangel (Feststellungsmangel) rügt, geht sie von einer zu engen Auslegung des Begriffes des "Bevollmächtigten" in § 899 RVO. aus. Zu diesem Begriff genügt es, daß der Beklagte bevollmächtigt war, nach außen hin selbständig zu handeln, was zumindest für die gegenständliche Geschäftsfahrt zutrifft. Überdies war der Beklagte bei dieser Fahrt in bezug auf den Kläger auch Arbeiteraufseher, sodaß auch aus diesem Gründe die Bestimmung des § 899 RVO. auf ihn Anwendung findet.
Zu c): Im Gesetz findet sich kein Anhaltspunkt dafür, die Grenzen der Haftungsbefreiung im Fall des § 899 RVO. enger zu ziehen als im Falle des § 898 RVO. Die Gründe, die die Revision für eine solche Einschränkung ins Treffen führt, würden auch für eine Einschränkung der Entlastung des Unternehmers selbst sprechen, denn es ist durchaus denkbar, daß auch der Unternehmer selbst im Betriebe Arbeiten leistet, die für gewöhnlich von bezahlten Hilfskräften verrichtet werden, wie es im Gegenstandsfall ja auch denkbar wäre, daß die Gattin des Beklagten die Geschäftsfahrt unternommen und hiebei chauffiert hätte. Für die Beschränkung der Entlastung des § 899 RVO. auf "Unternehmertätigkeiten" des Bevollmächtigten oder, was auf dasselbe hinausläuft, für die Verneinung der Bevollmächtigteneigenschaft bei Leistung anderer Tätigkeiten kann auch sonst keine Begründung gefunden werden, insbesondere nicht aus der Absicht des Gesetzgebers, der, wie erwähnt, die Entlastung der im Unternehmen führenden Personen im Hinblick darauf vorgenommen hat, daß das Unternehmen die Lasten der Unfallversicherung trägt. Eine Vollmacht zu einem schadenskausalen schuldhaften Verhalten kommt wohl überhaupt nicht in Betracht.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)