Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 15.460,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 2.576,70 S, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte im vorliegenden Rechtsstreit die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 421.493,49 S sA im wesentlichen mit der Begründung, daß zu Lasten der Wolfgang K*** GesmbH (in der Folge als Gesellschaft bezeichnet) Beitragsrückstände in der Höhe des Klagsbetrags bestünden, für die der Beklagte mit schriftlicher Verpflichtungserklärung vom 3. Februar 1986 die Haftung als Bürge und Zahler übernommen habe.
Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, er habe die Haftungserklärung vom 3. Februar 1986 nur unterfertigt, weil ihm der Verhandlungsleiter der Klägerin mit der Stellung eines Konkursantrags gedroht und darauf hingewiesen habe, daß die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge eine strafbare Handlung des Beklagten als Geschäftsführers der Gesellschaft darstelle. Vereinbarungswidrig sei in die schriftliche Haftungserklärung auch die Haftung für künftig fällig werdende Beiträge aufgenommen worden. Letztlich liege Wucher vor. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Beklagte gründete zusammen mit seiner Mutter die Gesellschaft, die mit 1. August 1985 Arbeiter bei der Klägerin anmeldete und ihren Betrieb aufnahm. Die Sozialversicherungsbeiträge für die Monate bis vor Weihnachten 1985 wurden einigermaßen fristgerecht bezahlt. Im Jänner 1986 bestand ein Rückstand von 115.743,35 S.
Der Beklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft wurde mit Schreiben vom 28. Jänner 1986 eingeladen, bei der Klägerin vorzusprechen, wobei ihm schon in diesem Schreiben mitgeteilt wurde, daß seine persönliche Haftung für die Krankenkassenbeiträge erwartet werde. Der Beklagte erschien am 3. Februar 1986 in der Beitragsabteilung der Klägerin, wo er mit dem Verhandlungsleiter Gerhard D*** die Probleme durchbesprach. Darüber wurde eine Niederschrift aufgenommen, in der der Beklagte darauf hinwies, daß die Gesellschaft vorübergehend in Geldschwierigkeiten sei, die gegen Ende März mit der Bereinigung der Beitragsschulden für November/Dezember 1985 beendet sein würden. Er ersuchte daher als Geschäftsführer um Stundung bis 31. März 1986 unter Hinweis auf seine solidarische Bürgschaftsübernahme zu Gunsten der Gesellschaft. Diese Niederschrift (Beilage B) wurde in seiner Gegenwart diktiert und im Nebenraum durch die Schriftführerin übertragen. Anschließend unterfertigte sie der Beklagte. Gleichzeitig wurde ihm eine als Formular ausgedruckte Haftungserklärung als Bürge und Zahler zur Unterschrift vorgelegt, mit ihm besprochen und entsprechend ausgefüllt. In dieser Haftungserklärung verpflichtete sich der Beklagte für den Fall der Nichteinhaltung der Zahlungsverpflichtung der Gesellschaft laut Niederschrift vom 3. Februar 1986, die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Anhang zum Stande per 3. Februar 1986 in der Höhe von 115.743,35 S in Monatsraten von
7.500 S, beginnend mit 1. April 1986, fortlaufend bis zur vollständigen Schuldentilgung, und die ab dem Beitragsmonat Jänner 1986 weiter anfallenden Sozialversicherungsbeiträge termingemäß zu bezahlen. Nach Punkt II der Verpflichtungserklärung trat der Beklagte der Schuld für die bisher aufgelaufenen Beiträge samt Verzugszinsen und Nebengebühren und für alle ab dem Beitragsmonat Jänner 1986 neu auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Nachtragsvorschreibungen und Beitragszuschlägen samt Nebengebühren und Verzugszinsen als Bürge und Zahler unwiderruflich und vorbehaltlos bei.
Bei dieser Besprechung, die in ruhigem und sachlichem Ton durch den Angestellten der Klägerin Gerhard D*** geführt wurde, machte dieser darauf aufmerksam, daß für den Fall, daß der Beklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft keine entsprechenden Sicherheiten für die bereits bestehende Schuld und für die zukünftigen Beiträge bieten könne, mit Exekutionen und sodann mit Konkursanträgen vorgegangen werden würde, wobei auf die Bestimmung des § 114 ASVG hinsichtlich seiner strafgerichtlichen Verantwortung hingewiesen wurde. Da die Gesellschaft eine gute Auftragslage hatte und nur infolge der Wintermonate in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, war der Beklagte bedenkenlos bereit, die von ihm verlangte Haftungserklärung einschließlich der persönlichen Haftung für die zukünftigen Beiträge abzugeben, um die Weiterführung seines erst begonnenen Unternehmens abzusichern.
In der Folgezeit bezahlte die Gesellschaft Beiträge, blieb aber immer wieder die laufenden Beiträge schuldig, da alle Zahlungen auf die älteren Schulden angerechnet wurden. Nachdem ein Konkursverfahren eröffnet und mangels Vermögens eingestellt wurde, blieb laut Rückstandsausweis vom 14. September 1988 ein rückständiger Betrag von 421.493,49 S zuzüglich 10,5 % Verzugszinsen aus 365.650,45 S seit 2. Mai 1988 offen.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß sich der Beklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft zur Zahlung aller in Hinkunft entstehenden Beitragsrückstände der Gesellschaft rechtswirksam verpflichtet habe. Bei den Hinweisen auf Exekution und Konkurs sowie die gesetzliche Sanktion des § 114 ASVG handle es sich nur um Hinweise auf die rechtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, daß ein Dienstgeber die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht abführe. Die vom Beklagten geltend gemachten Anfechtungsgründe (ungerechtfertigte Drohung, Irrtum und Wucher) seien nicht gegeben. Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, zur Frage des behaupteten Irrtums gehe die Rechtsrüge des Beklagten nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sondern von seinem in den getroffenen Feststellungen nicht gedeckten Prozeßstandpunkt, er habe den Inhalt der Beilage C bei Unterfertigung nicht gekannt; insoweit sei die Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführt.
Den Anfechtungstatbestand des § 870 ABGB sehe der Beklagte in der Androhung eines Konkursverfahrens für den Fall künftiger Beitragsrückstände. Diese "Drohung" sei in keiner Weise geeignet gewesen, ungerechte und gegründete Furcht des Beklagten bei Erklärungsunterfertigung zu erwecken. Abgesehen davon, daß dem Beklagten bekannt gewesen sein müsse, daß ein Konkursantrag selbstverständlich nur für den Fall des Entstehens von Beitragsrückständen gestellt werden konnte und die Klägerin im Spitzenfeld der antragstellenden Konkursgläubiger liege, bedeute der Hinweis auf die Stellung eines Konkursantrags nur die Betonung einer dem Beklagten ohnehin bekannten Rechtskonsequenz. Darüber hinaus sei die Androhung eines Übels, durch dessen erlaubte Zufügung der Drohende seine eigenen Interessen wahre, nicht ungerecht. Daß die Stellung eines Konkursantrags als ultima ratio gegen einen säumigen Schuldner ein seine Interessen wahrendes Recht des Gläubigers sei, sei unzweifelhaft.
Dem Einwand des Wuchers fehle jegliche Grundlage, weil weder die Tatsache noch die Höhe künftiger Beitragsrückstände zum Zeitpunkt der Errichtung der Beilage C festgestanden sei, sodaß von einem auffallenden Mißverhältnis der Leistungswerte im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nicht gesprochen werden könne. Die objektive Äquivalenzstörung im Sinn dieser Gesetzesbestimmung müsse im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Der Beklagte führt in seiner Rechtsrüge sinngemäß im wesentlichen aus, die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, hinsichtlich zukünftiger Ansprüche vor ihrer Entstehung einen Konkursantrag zu stellen. Hinsichtlich der zukünftigen Ansprüche sei daher die Drohung der Klägerin mit einem Konkursantrag ungerechtfertigt gewesen. Diese ungerechtfertigte Drohung sei für den Beklagten sehr wohl geeignet gewesen, bei ihm gegründete Furcht zu verursachen, sodaß er unter dem Eindruck dieser ungerechtfertigten Drohung seine Verpflichtungserklärung als Bürge und Zahler nicht nur für die fälligen rückständigen Forderungen der Klägerin, sondern auch für künftige Forderungen unterfertigt habe. Die Angestellten der Klägerin, die mit dem Beklagten verhandelten, hätten diesen ausdrücklich darauf aufmerksam machen müssen, daß ein Konkursantrag nur für bereits fällige Forderungen der Klägerin gestellt werden könne. Insofern liege ein relevanter Irrtum des Beklagten vor, der bei Unterfertigung seiner Verpflichtungserklärung davon ausgegangen sei, daß die Klägerin auch berechtigt sei, einen Konkursantrag wegen zukünftiger Ansprüche zu stellen. Mit all dem geht der Beklagte nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus und seine Rechtsrüge ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Aus den getroffenen Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich weder, daß dem Beklagten vor Abgabe seiner Verpflichtungserklärung vom 3. Februar 1986 (Beilage C) seitens der Klägerin mit der Stellung eines Konkursantrags in bezug auf noch gar nicht fällige zukünftige Beitragsforderungen vor deren Fälligkeit gedroht wurde noch daß der Beklagte bei Abgabe dieser Erklärung davon ausging, daß die Klägerin berechtigt sei, einen derartigen Konkursantrag zu stellen.
Im übrigen hat bereits das Berufungsgericht durchaus zutreffend darauf hingewiesen, daß die Androhung eines Übels, durch dessen an sich erlaubte Zufügung der Drohende seine eigenen Interessen wahrt, nicht ungerecht im Sinn des § 870 ABGB ist. Entscheidend ist, ob die Drohung nach Treu und Glauben bzw. nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks zu werten ist (SZ 28/200; MietSlg 28.080; JBl 1981, 30 ua). Unter diesen Gesichtspunkten kann der Beklagte nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen seine am 3. Februar 1986 abgegebene Verpflichtungserklärung nicht mit Erfolg nach § 870 ABGB anfechten.
Auch die Anwendbarkeit des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB hat das Berufungsgericht zutreffend verneint. Sie scheitert schon daran, daß es nicht zum Wesen einer Bürgschaft gehört, daß der Gläubiger dem Bürgen für die Bürgschaftserklärung ein Entgelt leistet. Ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist daher im Fall der Bürgschaftsübernahme ebenso ausgeschlossen wie eine Ausbeutung dadurch, daß vom Gläubiger eine Leistung ohne jedes Entgelt erreicht wird (7 Ob 18/72).
Der Beklagte vermag somit einen dem Berufungsgericht unterlaufenen Rechtsirrtum nicht aufzuzeigen. Seiner Revision muß daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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