Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 14.11.1984 ereignete sich gegen 5,15 Uhr im Gemeindebezirk von Seibersdorf ein Verkehrsunfall, bei welchem die Klägerin als Insassin in dem von Franz T*** gelenkten, bei der Beklagten haftpflichtversicherten VW-Bus mit dem behördlichen Kennzeichen W 538.893 schwer verletzt wurde. Franz T*** wurde wegen dieses Verkehrsunfalles rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 150.000,-- sA. Außerdem beantragte sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für ihre künftigen unfallsbedingten Schäden. Sie sei bei der REX Reinigungsanstalt als Bedienerin beschäftigt gewesen; Franz T*** sei als Chauffeur bei dem gemeinsamen Dienstgeber eingesetzt worden. Er habe die Aufgabe gehabt, die Klägerin und andere Dienstnehmerinnen von Sammelstellen in Ortschaften abzuholen und zu den jeweiligen Plätzen ihres Einsatzes zu bringen. Nach der Arbeitszeit seien die Dienstnehmerinnen wieder von Franz T*** nach Hause gebracht worden. Die beklagte Partei hafte als Haftpflichtversicherer für die von diesem verursachten Schäden. Außerdem habe sie die Schadenersatzansprüche der Klägerin dem Grunde nach anerkannt. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Franz T*** sei gegenüber der Klägerin sogenannter "Aufseher im Betrieb" gewesen, weil er über ständigen Auftrag des gemeinsamen Dienstgeber die Klägerin von ihrem Wohnort zum Ort ihres Arbeitseinsatzes und wieder zurück gebracht habe. Es komme ihm daher das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zugute. Ein Anerkenntnis der Schadenersatzansprüche der Klägerin sei nicht erfolgt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen:
Franz T*** war bei der REX Reinigungsanstalt als Kraftfahrer beschäftigt. Er hatte gegenüber der Klägerin und den anderen, im gleichen Unternehmen beschäftigten Frauen keine Kontrollfunktion und auch keine vorgesetzte Stellung. Er war jedoch von seinem Dienstgeber ständig damit beauftragt, die Arbeitnehmerinnen mit dem Firmenbus vom Wohnort abzuholen und an ihre Arbeitsstätten zu befördern. Seit 2.11.1984 machte T*** die "Früh-Tour". Sein Vorgänger (Arbeitskollege) hatte ihm die Strecke, die er fahren sollte, erklärt. Die Klägerin holte er in Mannersdorf von ihrem Wohnort ab, anschließend fuhr er nach Hof, nahm Anna B*** auf und fuhr weiter Richtung Leitha-Prodersdorf, um die übrigen Frauen abzuholen und sie nachher nach Wr. Neudorf und Wien an ihre Arbeitsstätten zu bringen. Im Gemeindegebiet von Seibersdorf kam er auf der eisbedeckten Fahrbahn ab, das Fahrzeug überschlug sich, die Klägerin wurde dabei schwer verletzt.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß Franz T*** im Auftrag seines Dienstgebers die Klägerin täglich mit dem Firmenfahrzeug von ihrem Wohnort zum Arbeitseinsatzort und zurückgebracht habe, sodaß der Transport der Klägerin im Rahmen der betrieblichen Organisation erfolgt sei und der Erreichung des Betriebszwecks gedient habe. Ein Recht, über die Durchführung von Betriebsvorgängen zu bestimmen, sei Franz T*** nicht zugestanden. Seine Funktion sei daher als Kraftfahrer und nicht als Aufseher im Betrieb nach § 333 Abs 4 ASVG zu qualifizieren.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 300.000,-- übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz vertrat ebenfalls die Auffassung, daß der Umstand, daß die Fahrt auf einem Dienstauftrag beruhte bzw. im Interesse des Betriebes lag, für sich allein noch nicht zur Annahme der Aufsehereigenschaft des Lenkers ausreichte.
Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Zutreffend verweist die beklagte Partei darauf, daß es nach ständiger Rechtsprechung bei Beurteilung der Frage, ob jemand zum Unfallszeitpunkt Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG war, vor allem darauf ankommt, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalls eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei der Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausgehende Befugnisse und Pflichten hatte (ZVR 1974/59; SZ 51/128 ua). Ein Dienstnehmer, der einen im selben Betrieb tätigen Kollegen im eigenen Kraftfahrzeug in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Dienstgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Rahmen des Betriebs und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus. Er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und als solcher nicht Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG. Einer solchen, auf reiner Gefälligkeit beruhenden Mitnahme von Arbeitskollegen im eigenen PKW kann aber die auf einer Anordnung der zuständigen Stelle der Betriebsleitung beruhende Beförderung von Betriebsangehörigen an einen bestimmten Arbeitsplatz nicht ohne weiteres gleichgehalten werden. Wer einen solchen Auftrag seines Dienstgebers befolgt, hat einen, wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszwecks dienen, also hinsichtlich der beförderten Betriebsangehörigen eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation, zu erfüllen und ist damit "Aufseher im Betrieb". Maßgebend ist, daß der beförderte Arbeitskollege hier nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen wird (SZ 23/266; Arb. 8660; ZVR 1974/97; 2 Ob 218/81; 8 Ob 54/85; JBl 1985, 565; SZ 57/189; JBl 1988, 117; 2 Ob 78, 79/88 ua).
Im konkreten Fall hatte Franz T*** den ständigen Auftrag seines Dienstgebers, bei welchem er als Kraftfahrer beschäftigt war, die Arbeitnehmerinnen und damit auch die Klägerin mit dem Firmenbus abzuholen und an ihre Arbeitsstätten zu befördern. Er machte die sogenannte "Früh-Tour" schon seit etlichen Tagen, fuhr jeweils zu den einzelnen Wohnung der Dienstnehmerinnen bzw. zu den entsprechenden Abholstellen und brachte sie schließlich an deren vom Dienstgeber angeordnete diverse Bestimmungsorte, wo sie - wie die Klägerin angibt - Reinigungsarbeiten durchzuführen hatten. Franz T*** war auch am Tag des Unfalls in diesem dienstlichen Auftrag unterwegs. Er hatte nach seinen unbestrittenen Angaben den kürzesten Weg zu wählen und hätte auch keinen Umweg machen dürfen, falls eine der Frauen dies verlangt hätte.
Im vorliegenden Fall handelte es sich daher nicht um eine Mitnahme der Klägerin aus reiner Gefälligkeit, sondern um eine auftragsgemäße Abwicklung eines Transports mehrerer Dienstnehmerinnen zu verschiedenen Dienststätten. Damit übernahm Franz T*** einen wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszwecks dienten, demnach hinsichtlich der beförderten Klägerin eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation der REX Reinigungsanstalt, und war damit "Aufseher im Betrieb" (JBl 1985, 565; JBl 1988, 117 uza). Franz T*** kommt daher das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG zugute, was - da eine vorsätzliche Schadenszufügung nicht in Betracht kommt - eine Inanspruchnahme der beklagten Partei aus dem Unfallsereignis selbst nicht zuläßt.
Die Klägerin hat sich jedoch auch darauf berufen, daß die beklagte Partei die mit Klage geltend gemachten Forderungen dem Grunde nach anerkannt habe (siehe AS 3, 13 und insbesondere AS 28). Die Vorinstanzen haben sich - unrichtigerweise davon ausgehend, daß dem Klagebegehren schon auf Grund der unberechtigten Einwendung der Aufsehereigenschaft Franz T*** und der strafgerichtlichen Verurteilung desselben stattzugeben sei - mit diesem weiteren Klagegrund nicht befaßt. Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.
Beide Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und wie im Spruch zu erkennen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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