OGH 2Ob122/21m

OGH2Ob122/21m16.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI H* W*, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft (OG) in Wien, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, wegen 37.386,20 EUR sA und Aufhebung eines Vertrags (Streitwert: 1.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Juni 2021, GZ 4 R 33/21g‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132989

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger abonnierte von 2011 bis Anfang 2020 den von der Beklagten herausgegebenen Börsenbrief „Chancen-Investor“ (nunmehr „30-Prozent-Trader“) um rund 250 EUR je Quartal. Er investierte bis zum Ende des Jahres 2012 über einen Broker insgesamt 40.500 EUR und war dabei der Meinung, dass man grundsätzlich im Ergebnis bei Befolgung der Anweisungen im „30-Prozent-Trader“ keine Verluste mache. Im September 2015 sank der Wert seines (nach wie vor bestehenden) Wertpapierdepots auf rund 15.000 EUR, erholte sich danach auf rund 24.000 EUR und sank Anfang des Jahres 2016 – ohne nachfolgende merkliche Erholung – erneut auf rund 15.000 EUR. Der für den Inhalt des Börsenbriefs verantwortliche Journalist teilte dem Kläger in den Jahren 2014 und 2015 per Mail mit, dass „alles prima“ und in Ordnung sei.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Aufhebung des Vertrags über den Bezug des Börsenbriefs und Zahlung von 37.386,20 EUR sA gerichtete Hauptbegehren sowie die Eventualbegehren auf Zahlung von 7.987,20 EUR sA und Feststellung der Haftung der Beklagten wegen Verjährung ab. Die Schadenersatzansprüche des Klägers seien bei Einbringung der Klage im April 2020 bereits verjährt gewesen, weil er spätestens 2015 erkennen habe können, dass das von ihm in die Börsenbriefe gesetzte Vertrauen unberechtigt gewesen sei. Ein verjährungshemmender Beschwichtigungsversuch liege nicht vor. Das Recht auf Irrtumsanfechtung sei verjährt, für ein listiges Verhalten der Beklagten bei Vertragsabschluss bestehe kein Anhaltspunkt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers zeigt das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht auf:

[4] 1. Dass die Streitteile und die Vorinstanzen von der Anwendbarkeit österreichischen materiellen Rechts ausgingen, ist schon vor dem Hintergrund des Art 6 Rom I‑VO nicht zu beanstanden.

[5] 2. Der Kläger zieht die von den Vorinstanzen angenommene Verjährung der Irrtumsanfechtung nicht in Zweifel.

[6] 3. Ob Tatsachenfeststellungen die Annahme der Arglist rechtfertigen, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (7 Ob 16/19g mwN). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen zeigt der Kläger nicht auf, geht er doch selbst davon aus, dass es sich bei den Werbemitteilungen der Beklagten um „reklamehaften Unsinn“ gehandelt habe.

[7] 4. Der Primärschaden im Fall einer fehlerhaften Anlageberatung liegt bereits darin, dass sich das Vermögen des Anlegers wegen einer Fehlinformation des Schädigers anders zusammensetzt, als es bei pflichtgemäßem Verhalten des Beraters der Fall wäre. Ein (realer) Schaden aus einer fehlerhaften Anlageberatung tritt also schon durch den Erwerb des in Wahrheit nicht gewollten Finanzprodukts ein (RS0022537 [T22, T24]; RS0129706 [T3]). Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt grundsätzlich mit Kenntnis des Primärschadens, auch wenn der Geschädigte die Höhe des Schadens noch nicht beziffern kann, ihm nicht alle Schadensfolgen bekannt oder diese noch nicht zur Gänze eingetreten sind (RS0087615).

[8] Für die Frage der Verjährung von Ansprüchen aus Beratungsfehlern bei Veranlagungs‑ und/oder Finanzierungskonzepten, die eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern vorsehen, ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass das Gesamtkonzept entgegen den Zusicherungen nicht oder nicht im zugesagten Ausmaß risikolos ist (RS0034951 [T38]; RS0087615 [T9, T10, T11]; RS0097976 [T8, T9]). Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist also die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells.

[9] Diese Rechtsprechung kann – wovon offenkundig auch der Kläger in seiner Revision ausgeht – auf den vorliegenden Fall übertragen werden, in dem die Beklagte ein Veranlagungskonzept vermarktete. Zu welchem Zeitpunkt der Anleger konkret Kenntnis vom Primärschaden erlangte, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0113916 [T1]).

[10] Eine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen, die den Verjährungsbeginn spätestens mit den im Jahr 2015 eingetretenen massiven Kursverlusten ansetzten, zeigt der Kläger nicht auf. Auch einem unerfahrenen Anleger muss die Risikoträchtigkeit des Investments erkennbar werden, wenn der Stand seines Wertpapierdepots entgegen seinen Erwartungen, wonach Verluste auszuschließen sind, auf etwas mehr als ein Drittel sinkt.

[11] 5. Versuchen von Anlageberatern, nach Kursverlusten nervös gewordene Anleger zu beschwichtigen, kann nach der Judikatur in zweifacher Hinsicht Bedeutung zukommen. Sie können die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit den Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben oder dazu führen, dass dem Verjährungseinwand des Schädigers die Replik der Arglist entgegengehalten werden kann. Welche Auswirkungen derartige „Beschwichtigungsversuche“ auf die Verjährung der Ansprüche von Anlegern haben, ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (4 Ob 213/16a mwN). Dass die Vorinstanzen die in den Jahren 2014 und 2015 – damit vor dem erneuten deutlichen Sinken des Wertes des Wertpapierdepots Anfang 2016 – erfolgten, eher allgemein gehaltenen Mitteilungen nicht als für die Verjährungsfrage maßgeblichen Beschwichtigungsversuch werteten, stellt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

[12] 6. Auf die rechtliche Einordnung des Börsenbriefs kommt es damit nicht entscheidend an.

[13] Da der Kläger in der Revision keine Anspruchsgrundlage für sein Eventualbegehren auf Rückzahlung der Kosten für das Abonnement des Börsebriefs nennt, obwohl das Berufungsgericht explizit darauf hingewiesen hatte, dass er keinen tragfähigen Rechtsgrund für dieses Begehren genannt habe, vermag er auch in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

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