Spruch:
Der beklagte Kraftwagenlenker hätte dem Verlangen des Klägers (Mitfahrer aus Gefälligkeit), ihn aussteigen zu lassen, sofort entsprechen müssen und hat zufolge seiner rechtswidrigen Weigerung alle Folgen zu tragen, die sich aus der Anwesenheit des Klägers im Fahrzeug des Beklagten zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles ergeben haben
Entscheidung vom 29. April 1966, 2 Ob 117/66
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz
Text
Der Kläger hat am 20. August 1964 an der Kreuzung der Mondsee- und Attersee-Bundesstraßen in der Gemeinde Tiefgraben als Insasse des vom Beklagten gelenkten PKWs einen Verkehrsunfall erlitten, als dieses Fahrzeug mit dem von Hans R. gelenkten PKW zusammenstieß. Wegen dieses Unfalls ist gegen beide Fahrzeuglenker das Strafverfahren eingeleitet worden; bezüglich des genannten Hans R. ist das Strafverfahren gemäß § 90 StPO. eingestellt worden; der Beklagte aber ist in diesem Zusammenhange des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach den §§ 335, 337 b StG. - rechtskräftig - schuldig erkannt worden. Nunmehr nimmt der Kläger den Beklagten wegen der Unfallsfolgen auf Schadenersatz aus Verschulden in Anspruch.
Das Erstgericht hat den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 45.000 S samt Anhang an den Kläger verurteilt und das Mehrbegehren puncto 15.000 S abgewiesen; zugleich hat es festgestellt, daß der Beklagte dem Kläger für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 20. August 1964 ... zu haften habe.
Den Berufungen beider Streitteile hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben.
Gegen das Berufungsurteil richten sich die Revisionen beider Parteien: der Kläger ficht dieses Urteil an, weil ein Mehrbegehren an Schmerzengeld in der Höhe von 10.000 S abgewiesen wurde; er macht den Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. geltend und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, daß dem Kläger insgesamt 55.000 S samt Anhang zugesprochen werden. Der Beklagte bekämpft das Berufungsurteil, weil dem Kläger ein höherer Betrag als 3366.60 S samt Anhang zuerkannt wurde; aus dem Revisionsgrunde des § 503 Z. 4 ZPO. beantragt er die Abänderung des Berufungsurteils dahin, daß dem Kläger lediglich ein Betrag von 3366.60 S samt Anhang zugesprochen und das Mehrbegehren abgewiesen werde (daraus ergibt sich, daß die Entscheidung über das Feststellungsbegehren nicht angefochten worden ist).
Der Oberste Gerichtshof gab keiner der beiden Revisionen Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die beklagte Partei hatte vor dem Erstgerichte ein mindestens 50%iges Mitverschulden des Klägers am Unfalle vom 20. August 1964 geltend gemacht, weil der Kläger mit dem alkoholbeeinträchtigten Beklagten nicht hätte mitfahren dürfen. Beide Vorinstanzen haben die Annahme eines Mitverschuldens des Klägers aus den von der beklagten Partei geltend gemachten Gründen abgelehnt. Dazu hat das Erstgericht festgestellt, daß der Kläger den Beklagten in dem von beiden besuchten Gasthaus in Thalgau gegen Mitternacht aufgefordert habe, die Rückfahrt in das etwa 2 1/2 km entfernte Quartier anzutreten; darauf habe der Beklagte die Absicht geäußert, zunächst noch nach Mondsee zu fahren, um dort andere Lokale der Kläger habe unter diesen Umständen das Mitfahren im Wagen des Beklagten abgelehnt, worauf dieser die Heimfahrt versprochen habe. Eine Alkoholeinwirkung habe der Kläger am Beklagten bei dieser Aussprache und während der folgenden Fahrt nicht bemerken können; der Beklagte habe sich damals nicht anders als sonst verhalten. Trotz seines Versprechens habe der Beklagte bei der Fahrt nicht den Weg zur Unterkunft gewählt, sondern dem Kläger erklärt, er wolle noch nach Mondsee. Hierauf habe der Kläger den Beklagten aufgefordert, ihn aussteigen zu lassen. Dieser Aufforderung aber habe der Beklagte nicht Folge geleistet, sodaß der Kläger die Fahrt, auf der sich dann der Unfall ereignete, gezwungenermaßen mitgemacht habe. Die Berufungsinstanz hat die Feststellung des Erstgerichtes, der Beklagte habe der Aufforderung des Klägers, ihn aussteigen zu lassen, nicht Folge geleistet und der Kläger habe die Fahrt im Kraftwagen des Beklagten zur Unfallszeit nur gezwungenermaßen mitgemacht, als unbedenklich übernommen und schon daraus die Einwendung eines Mitverschuldens des Klägers an seinem Unfall - im Rechtsmittelverfahren macht die beklagte Partei sogar ein überwiegendes Verschulden des Klägers im Verhältnisse von 1 zu 2 zu dessen Lasten geltend - für unbegrundet erachtet; die Frage, ob der Kläger bei Antritt der Fahrt eine Alkoholisierung des Beklagten hätte erkennen oder zumindest aus der Menge des genossenen Alkohols auf eine Einschränkung der Fahrtüchtigkeit des Beklagten hätte schließen können, hat die Berufungsinstanz offen gelassen. Die beklagte Partei hält in ihrer Rechtsrüge den bezeichneten Mitschuldeinwand in dritter Instanz aufrecht; habe der Kläger die Fahrt mit dem Beklagten im Bewußtsein der Fahruntüchtigkeit des Beklagten angetreten, dann "müsse er auch jenes Verhalten in Kauf nehmen, das sich als das Verhalten eines Alkoholisierten darstelle"; aus den Erwägungen der Berufungsinstanz könne daher die Mitschuldeinwendung nicht abgelehnt werden. Gegenüber diesem Vorbringen des Revisionswerbers ist zunächst festzuhalten, daß die Frage der Erkennbarkeit der Fahruntüchtigkeit des Beklagten für den Kläger bei Antritt der Fahrt in zweiter Instanz offen geblieben ist. Feststellungsmängel in dieser Hinsicht liegen aber nicht vor, weil die Erwägungen des Berufungssenates im Zusammenhange mit dem vom Kläger vor dem Unfalle gestellten Verlangen, ihn aus dem Wagen aussteigen zu lassen, und mit der Weigerung des Beklagten, dieser Aufforderung nachzukommen, zutreffen. Der Beklagte hätte doch dem Verlangen des Klägers, ihn aussteigen zu lassen, sofort entsprechen müssen und hat zufolge seiner rechtswidrigen Weigerung alle Folgen zu tragen, die sich aus der Anwesenheit des Klägers im Fahrzeug des Beklagten zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles ergeben haben. Eine Handlungsunfähigkeit des Beklagten, derzufolge die Verantwortung für die Einschränkung des Gebrauchs der persönlichen Freiheit des Klägers ausgeschlossen wäre, läßt sich selbst dem Prozeßvorbringen der beklagten Partei hinsichtlich der Alkoholbeeinträchtigung nicht entnehmen. Demgemäß ist der Beklagte dem Kläger voll schadenersatzpflichtig.
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