OGH 2Ob106/12w

OGH2Ob106/12w7.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj V***** H*****, geboren ***** 2011, vertreten in Unterhaltssachen durch den Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für die Bezirke 12, 13, 23, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. März 2012, GZ 44 R 697/11t, 44 R 698/11i‑20, womit unter anderem der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 29. September 2011, GZ 21 Pu 66/11x‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen haben den Antrag der Minderjährigen, den Vater zur Leistung eines Sonderbedarfs von 1.730 EUR (davon 756 EUR für einwöchige Kinderbetreuung nach einem Spitalsaufenthalt der Mutter, weil diese das Kind nicht habe heben dürfen) zu verpflichten, abgewiesen. Den Revisionsrekurs erklärte das Revisionsgericht für zulässig, weil zur Rechtsfrage, ob die Kosten einer Drittbetreuung, die durch Krankheit des betreuenden Elternteils notwendig geworden sei, einen Sonderbedarf des Kindes begründen könnten, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Die Minderjährige bekämpft mit ihrem Revisionsrekurs die Abweisung des Antrags auf Gewährung der Betreuungskosten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, nur dann, wenn der betreuende Elternteil seine Betreuungspflichten im eigenen Interesse teilweise einer dritten Person übertrage, insbesondere weil er berufstätig sei, habe er diese Kosten zur Gänze selbst zu tragen. Hier sei die Mutter jedoch durch eine Erkrankung gezwungen gewesen, ihre Betreuungsaufgaben Dritten zu übertragen. Dies entspreche allein dem Interesse des Kindes und sei in seiner Person begründet. Die Betreuung des Kindes bilde einen Sonderbedarf, dessen Kosten vom Unterhaltspflichtigen zu tragen seien.

Dazu ist auszuführen:

Nach der Rechtsprechung ist Sonderbedarf jener Bedarf, der dem unterhaltsberechtigten Kind infolge Berücksichtigung der bei der Ermittlung des Durchschnittsbedarfs bewusst außer Acht gelassenen Umstände erwächst. Es handelt sich um den Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf eines gleichaltrigen Kindes ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern hinausgeht, also um Kosten, die nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder anfallen. Dieser Mehrbedarf ist nur deckungspflichtig, wenn er aus gerechtfertigten, in der Person des Kindes liegenden Gründen entstanden ist. Weiters muss der Bedarf den Kriterien der Individualität, Außergewöhnlichkeit und Dringlichkeit entsprechen. Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Eine generelle Aufzählung all dessen, was als Sonderbedarf anzuerkennen ist, ist kaum möglich. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls (7 Ob 97/08b mwN).

Bei den Kosten außerhäuslicher Betreuung ist zu unterscheiden: Dient die außerhäusliche Betreuung allein oder überwiegend der Entlastung des betreuenden Haushaltsführers (zB Tagesmutter, Krabbelstube, Kindergarten), dann fallen die Kosten dafür allein diesem zur Last. Liegt jedoch die außerhäusliche Betreuung allein oder überwiegend im Kindesinteresse (wegen „berücksichtigungswürdiger Gründe in der Person des Kindes“, die eine außerhäusliche Betreuung notwendig machen), etwa bei besonderer Pflegebedürftigkeit behinderter oder kranker Kinder, aus Gründen besonderer Ausbildungsmöglichkeiten, bei Teilnahme an ausländischen Sprachkursen oder sonstigen Fortbildungsveranstaltungen, so hat die Kosten grundsätzlich der nicht betreuende Elternteil zu tragen (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht6 95 mwN).

Im vorliegenden Fall ist der Mehrbedarf nicht aus in der Person des Kindes, sondern der Mutter gelegenen Gründen entstanden. Im Übrigen würde die kurzfristige Fremdbetreuung der Minderjährigen auch nicht das Kriterium der Außergewöhnlichkeit erfüllen.

Das Rekursgericht hat mit der Versagung der Zuerkennung der Sonderbedarfskosten für vorübergehende kurzfristige Fremdbetreuung der Minderjährigen seinen Ermessensspielraum nicht überschritten, sondern hält sich im Rahmen der Leitlinien der ständigen Rechtsprechung. Nicht jeder einzelne Grund der Entstehung von Sonderbedarf begründet schon eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn von § 62 Abs 1 AußStrG. Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist daher zurückzuweisen.

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