European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00010.22T.0316.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Aufgrund des Todeszeitpunkts der Erblasserin sind gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB die vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87, geltenden Bestimmungen anzuwenden.
[2] 2.1 Der nach dieser Rechtslage bestehende Erbunwürdigkeitsgrund der gröblichen Vernachlässigung der sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern ergebenden Pflichten dem Erblasser gegenüber wurde mit dem ErbRÄG 1989, BGBl 656/1989, in § 540 ABGB aufgenommen. Danach kam nicht jede Pflichtverletzung als Erbunwürdigkeitsgrund nach § 540 zweiter Fall ABGB in Frage, sie musste vielmehr „gröblich“, also gewichtig oder schwer anstößig sein (2 Ob 60/19s mwN). In Abgrenzung zum Enterbungsgrund des § 768 Z 2 ABGB vertrat der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu dieser Rechtslage die Ansicht, dass soweit nicht ohnehin von einer weitgehenden Identität dieser Tatbestände auszugehen sei, der Erbunwürdigkeitstatbestand des § 540 2. Fall ABGB jedenfalls noch enger (gröbliche Vernachlässigung), keinesfalls aber weiter als jener des § 768 Z 2 ABGB auszulegen sei (RS0037146).
[3] 2.2 Die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten Erbunwürdigkeit iSd § 540 2. Fall ABGB begründet, ist wegen ihrer Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage (6 Ob 80/10y).
[4] 2.3 Hier wurde dem Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zusammengefasst vorgeworfen, er habe zu Unrecht eine Beteiligung an einer GmbH behauptet, dadurch den Verkauf des Unternehmens vereitelt und in der Folge eine Klage auf Abtretung von Anteilen an der GmbH gegen seine Mutter eingebracht, die rechtskräftig abgewiesen worden sei. Dieses Vorgehen habe dazu geführt, dass die Mutter schwer erkrankt sei.
[5] 2.4 Dass die Verfolgung eines – wenn auch nur vermeintlichen – Rechtsanspruchs gegen einen Elternteil per se den Erbunwürdigkeitstatbestand des § 540 2. Fall ABGB aF erfüllen würde, behauptet der Revisionswerber nicht. Dass es aber dem Kläger bei der Klagsführung darauf angekommen wäre, der Erblasserin ihre einzige Einnahmequelle oder Altersversorgung zu nehmen, hat der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht, sodass ihm das Berufungsgericht unbedenklich das Neuerungsverbot entgegengehalten hat.
[6] 3.1 Die Frage, wie der Übernahmspreis für den gemäß § 14 Abs 1 Z 1 WEG auf den pflichtteilsberechtigten Beklagten übergegangenen Anteil der Verstorbenen am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum bei den Pflichtteilen der anderen Pflichtteilsberechtigten anzusetzen ist, muss hier nicht gelöst werden. Das Berufungsgericht hat dem Revisionswerber auch insofern vertretbar das Neuerungsverbot entgegengehalten. Zwar hat er vorgebracht, dass der Verkauf dieser Wohnung dazu diente, dem Beklagten das wirtschaftliche Überleben zu sichern und zu vermeiden, dass er in die Mittellosigkeit oder gar Obdachlosigkeit verfalle. Er ist aber im selben Schriftsatz (ON 18) selbst bei der Pflichtteilsberechnung nicht von einem reduzierten Übernahmspreis ausgegangen, sondern hat diesen in voller Höhe angesetzt. Überdies hat er in der mündlichen Streitverhandlung den Wert der Wohnung im Todeszeitpunkt außer Streit gestellt und den Hinweis des Erstrichters (ON 28), dass dieser Betrag der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legen sei, ohne weiteres Vorbringen unwidersprochen gelassen.
[7] 3.2 Zwar unterliegt dem Neuerungsverbot nur neues Tatsachenvorbringen und nicht neues Rechtsvorbringen. Das Gesetz verlangt aber, die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp vorzubringen (RS0036973 [T2]). An der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte diesem Erfordernis mangels Behauptung, die Pflichtteilsbemessungsgrundlage sei wegen seines dringenden Wohnbedürfnisses zu kürzen, nicht nachgekommen ist, wecken die Revisionsausführungen keine Bedenken.
[8] 4.1 Zu den als Compensandoforderung geltend gemachten Pflegeleistungen des Beklagten für die Verstorbene erörterte das Erstgericht (ON 28), dass diese Ansprüche gegen den Nachlass und nicht den Kläger zu richten seien. Der Beklagte erstattete dazu kein weiteres Vorbringen, insbesondere in Richtung des nunmehr behaupteten Schadenersatzanspruchs.
[9] 4.2 Die Frage, ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist einzelfallbezogen. Ihr kommt grundsätzlich zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zu. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl RS0042828).
[10] 5. Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963).
[11] Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
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