European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00102.15M.0806.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden ‑ soweit nicht das Urteil des Erstgerichts bereits durch Beschluss des Berufungsgerichts aufgehoben wurde ‑ aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die im Zeitpunkt ihres Todes verwitwete Erblasserin A***** T***** Z***** starb am 8. Mai 2011. Sie hinterließ zwei volljährige Kinder, nämlich K***** Z***** und die Beklagte. Ihr drittes Kind, G***** Z*****, war vorverstorben und hatte zwei Söhne, nämlich die Kläger, hinterlassen.
Die Erblasserin hatte in einem gültigen Testament K***** Z***** und die Beklagte zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Ihre Enkel, die Kläger, sind in dem Testament nicht bedacht. Mit Notariatsakt vom 27. 4. 2012 schenkte K***** Z***** das ihm zustehende Erbrecht je zur Hälfte den Klägern. Am 13. 12. 2012 gaben die Beklagte zur Hälfte des Nachlasses und die Kläger zu je einem Viertel des Nachlasses unbedingte Erbantrittserklärungen ab. Das Erstgericht antwortete aufgrund dieser Erbserklärungen am 9. 4. 2013 den Erben den Nachlass entsprechend diesen Quoten rechtskräftig ein. Der Reinnachlass betrug 190.498,99 EUR.
Die Kläger begehren von der Beklagten als Hälfteerbin den (auf sie anteilig entfallenden) Pflichtteil (je ein Sechzehntel des Reinnachlasses, somit den jeweiligen Klagsbetrag von 11.905,18 EUR).
Die Beklagte wendet ein, aufgrund der Schenkung des Erbrechts durch K***** Z***** an die Kläger seien diese auch Erben der Erblasserin. Dies sei auch daran erkennbar, dass die Kläger je eine bedingte Erbantrittserklärung abgegeben hätten. Über den Wert des jeweiligen Erbes hinausgehende Pflichtteilansprüche der Kläger bestünden nicht. Die Beklagte habe als Einzige die Erblasserin gepflegt und im Zusammenhang damit Aufwendungen geleistet, wofür ihr eine Forderung von 31.486,50 EUR zustehe. Unter Abzug der Hälfte davon, der auf die Beklagte entfalle, stehe der Beklagten gegen beide Kläger jeweils eine Gegenforderung von 15.743,25 EUR zu, die eingewendet werde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, der jeweilige Pflichtteilsanspruch der Kläger sei durch die Erbschaftsschenkung des Testamentserben K***** Z***** vollständig befriedigt und könne nicht auch noch gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden.
Das Berufungsgericht sprach mit Teilurteil aus, die jeweils geltend gemachte Klagsforderung bestehe zur Gänze zu Recht, die Beklagte sei daher schuldig, den Klägern jeweils diesen Betrag zu bezahlen. Betreffend die geltend gemachte Gegenforderung verwies das Berufungsgericht die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte rechtlich aus, eine Erbschaftsschenkung sei bis zur Einantwortung möglich, wie dies auch hier der Fall sei. Nach den §§ 1278 f ABGB werde der Erbschaftskäufer Gesamtrechtsnachfolger des Erben und trete an dessen Stelle in das Verlassenschaftsverfahren ein. Er gebe die Erbantrittserklärung ab, an ihn erfolge die Einantwortung. Dies gelte auch für die Erbschaftsschenkung, die im Gesetz zwar nicht ausdrücklich geregelt sei, auf die aber die Vorschriften über den Erbschaftskauf anzuwenden seien. Die hier gegenständliche Erbschaftsschenkung sei ganz offensichtlich ohne den ersichtlichen oder vereinbarten Zweck erfolgt, dass damit auch der gegenüber der Beklagten bestehende Pflichtteilsanspruch der Kläger erfüllt sein sollte. Die von K***** Z***** vorgenommene Erbschaftsschenkung könne daher die hier Beklagte nicht von ihrer Verpflichtung befreien, in verhältnismäßiger Weise zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs der beiden Kläger beizutragen. Der Klagsanspruch bestehe daher grundsätzlich zu Recht. Da aber die Sache betreffend die eingewandte Gegenforderung noch nicht spruchreif sei, sei nur über die Klageforderung mit Teilurteil abzusprechen gewesen, hinsichtlich der Gegenforderung sei jedoch eine Verfahrensergänzung in erster Instanz notwendig.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu seinem Teilurteil zu, weil „zur hier aufgeworfenen Rechtsfrage“ oberstgerichtliche Judikatur nicht vorliege. Einen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses auch gegen den berufungsgerichtlichen (Teil-)Aufhebungsbeschluss enthält die zweitinstanzliche Entscheidung nicht.
Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob sich ein im Testament übergangener Noterbe, dem von einem Testamentserben dessen Erbrecht geschenkt wurde, diese Schenkung auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen muss, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Revisionswerberin macht ‑ zusammenge-fasst ‑ geltend, die Eigenschaft der Kläger als rechtskräftig eingeantwortete Erben nach der Verstorbenen mache es ihnen unmöglich, gleichzeitig auch gegen den ihnen quotenmäßig eingeantworteten Nachlass die Pflichtteilsklage zu erheben, weil diese ja gerade zur Voraussetzung habe, dass sie nicht zu Erben berufen seien. Allfällige den Klägern trotz ihrer Eigenschaft als rechtskräftig eingeantwortete Erben nach der Verstorbenen rechtmäßig zustehende Pflichtteilsansprüche seien jedenfalls in den ihnen zugefallenen Erbteilen gedeckt. Es sei nicht entscheidend, auf welche Weise der Noterbe seinen Mindestanteil am Wert des Nachlasses erhalte.
Hierzu wurde erwogen:
1. Gegenstand des Veräußerungsvertrags beim sogenannten Erbschaftskauf ist das Erbrecht als solches (RIS‑Justiz RS0022346). Der Erbschaftskäufer wird Gesamtrechtsnachfolger des Erben und tritt an dessen Stelle in das Verlassenschaftsverfahren ein. Er gibt die Erbantrittserklärung ab; an ihn erfolgt die Einantwortung (6 Ob 16/06f mwN = RIS‑Justiz RS0025410 [T2]). Dies gilt auch für die Erbschaftsschenkung, die im Gesetz zwar nicht ausdrücklich geregelt ist, auf die aber die Vorschriften über den Erbschaftskauf anzuwenden sind (6 Ob 16/06f mwN = RIS-Justiz RS0025410 [T3]).
2. Weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre gibt es ‑ soweit ersichtlich ‑ Stellungnahmen zur Frage, ob aus dieser zitierten Rechtsprechung zu folgern ist, dass sich die übergangenen Noterben das aus einer Erbschaftsschenkung Erlangte auf den Pflichtteil anrechnen lassen müssen.
Nach § 787 Abs 1 ABGB wird „alles, was die Noterben durch Legate oder andere Verfügungen des Erblassers wirklich aus der Verlassenschaft erhalten, bei Bestimmung ihres Pflichtteiles in Rechnung gebracht“.
Weiß in Klang III2 921 f führt zu dieser Gesetzesstelle aus, es komme nur darauf an, ob und gegebenenfalls wieviel dem Pflichtteilsberechtigten durch die letztwillige Verfügung aus dem Nachlass zugewiesen worden sei. Nur dasjenige sei anzurechnen, was der Pflichtteilsberechtigte „wirklich“ aus dem Nachlass erhalte. Damit sei die tatsächliche durch die letztwillige Verfügung getroffene Vermögensverschiebung gemeint.
Scheuba in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Vermögensnachfolge (2010), § 9 Rz 66, vertritt die Ansicht, der Noterbe müsse sich zunächst nach § 787 ABGB alles, was er vom Erblasser auf welche Art auch immer letztwillig (durch Legat, Erbvertrag oder andere Verfügungen des Erblassers, wie zB nach hM auch durch eine Schenkung auf den Todesfall) aus der Verlassenschaft erhält, auf den Pflichtteil anrechnen lassen.
Beide Autoren haben offenbar nicht an den hier vorliegenden Fall (auch) eines Erwerbs durch Erbschaftsschenkung gedacht. Bei Scheuba wird dies dadurch deutlich, dass sie bei den im Klammerausdruck angeführten Beispielen den Erbschaftskauf oder die Erbschaftsschenkung nicht erwähnt.
Jud, Der Erbschaftskauf‑Verfügungen des Erben über sein Recht (1998), behandelt die hier verfahrensgegenständliche Thematik (und Problematik) der Erbschaftsschenkung ebenfalls nicht.
3. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist die Erbschaftsschenkung ungeachtet der unter Punkt 1. zitierten Rechtsprechung nicht unter § 787 Abs 1 ABGB zu subsumieren, weil hier der Grund, weswegen der Noterbe etwas aus der Verlassenschaft erhält, gerade nicht die (darauf eben nicht gerichtete) letztwillige Verfügung des Erblassers ist, sondern (ausschließlich) der Schenkungswille des Testamentserben.
Die Richtigkeit dieser Überlegung wird auch dadurch deutlich, dass wohl niemand das aus einem Erbschaftskauf (mit angemessenem Kaufpreis) Erworbene anrechnen würde. Ebenso schiede eine Anrechnung aus, wenn der Testamentserbe nach Einantwortung das dadurch Erworbene den übergangenen Noterben schenkte.
4. Anderes würde nur dann gelten, wenn der von den Parteien der Erbschaftsschenkung damit verfolgte Zweck die Abgeltung des Pflichtteilsanspruchs wäre.
Die Rechtsausführung des Berufungsgerichts, die gegenständliche Erbschaftsschenkung sei ganz offensichtlich ohne den ersichtlichen oder vereinbarten Zweck erfolgt, damit auch den Pflichtteilsanspruch „der hier Beklagten“ (richtig: Kläger) erfüllen zu wollen (S 6 des Berufungsurteils = AS 96), kann sich zwar nicht auf eine entsprechende erstgerichtliche Feststellung stützen. Behauptungs- und beweispflichtig für eine solche Absicht wäre aber die dadurch begünstige Beklagte, die solches in erster Instanz nicht einmal behauptet hat. Daher schadet die gegenteilige Annahme durch das Berufungsgericht hier trotz fehlender Feststellungen nicht.
5. Der Anspruch der Kläger besteht daher grundsätzlich zu Recht.
6. Nicht gefolgt werden kann aber der weiteren rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, es bestehe zwischen Klagsforderung und Gegenforderung kein rechtlicher Zusammenhang: Von der Masse sind nämlich alle Lasten abzuziehen, die der Noterbe bei gesetzlicher Erbfolge tragen hätte müssen, also alle vererblichen Verbindlichkeiten des Erblassers (Erblasserschulden) und jene Verbindlichkeiten, die mit dem Tod des Erblassers entstehen (Erbfallsschulden), mit Ausnahme der dem letzten Willen entspringenden (7 Ob 273/98t = SZ 71/189 = RIS-Justiz RS0111123).
Besteht also die eingewendete Gegenforderung zu Recht, verringert sich dadurch der Reinnachlass und somit auch die jeweilige Klagsforderung.
Nach § 391 Abs 3 ZPO besteht hier ein rechtlicher Zusammenhang zwischen Klage- und Gegenforderung, sodass die Fällung des Teilurteils nur über die Klageforderung durch das Berufungsgericht unzulässig war. Demgemäß war (auch) das Teilurteil aufzuheben und dem Erstgericht auch diesbezüglich die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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