OGH 2Nd504/95

OGH2Nd504/9521.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf und Dr.Tittel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Marlen G*****, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 30.März 1995, 3 P 11/94-129 verfügte Übertragung der Zuständigung zur Führung der Pflegschaftssache der minderjährigen Marlen G***** an das Bezirksgericht für ZRS Graz wird gemäß § 111 Abs 2 JN nicht genehmigt.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8.4.1994 (ON 62) wurde der Kindesvater verpflichtet, für die Minderjährige einen vorläufigen Unterhalt von monatlich S 3.600,- zu bezahlen.

Mit Schriftsatz vom 1.12.1994 (ON 96) stellte der Kindesvater den Antrag, seine monatliche Unterhaltsverpflichtung infolge geänderter Verhältnisse auf S 1.800,- herabzusetzen. Mit Schriftsatz vom 17.2.1995 (ON 113) beantragte die Minderjährige die Erhöhung des einstweiligen Unterhaltes auf S 4.740,- monatlich. Der Kindesvater sprach sich gegen die Unterhaltserhöhung aus (ON 122). Mit dem beim Erstgericht am 30.3.1995 eingelangten Schriftsatz (ON 127) beantragte die Minderjährige, dem Unterhaltsherabsetzungsantrag nicht Folge zu geben.

Mit Beschluß vom selben Tag übertrug das Erstgericht gemäß § 111 JN dem Bezirksgericht für ZRS Graz die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache der minderjährigen Marlen G*****, weil die Mutter und das Kind im Spregel des Grazer Gerichtes wohnhaft seien und die Obsorge der Mutter rechtskräftig übertragen worden sei; die Anträge bezüglich des Besuchsrechtes und des Unterhaltes, die vor der Übersiedlung der Mutter nach Graz gestellt worden seien, seien rechtskräftig erledigt.

Das Bezirksgericht für ZRS Graz hat die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens unter Hinweis auf die noch offenen Anträge verweigert (ON 133).

Die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügte Übertragung der Zuständigkeit ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof in diesem Pflegschaftsverfahren (ON 55) festgehalten hat, kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht dann übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich befördert wird. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel dann vor, wenn die Pflegschaftssache dem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt. Zwar sind auch offene Anträge kein grundsätzliches Übertragungshindernis, doch hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob die Entscheidung über offene Anträge durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist. Insbesondere ist zu berücksichtigen, ob die Bearbeitung offener Anträge durch das bisherige Gericht vorteilhafter ist als durch das Gericht, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (EFSlg 72.838, EFSlg 72.841).

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß das Bezirksgericht Innere Stadt Wien bereits die ursprünglichen Erhebungen über die Einkommensverhältnisse des Kindesvaters durchgeführt hat und ihm daher die besonderen Sachkenntnisse zukommen, während das Bezirksgericht für ZRS Graz diese Erhebungen nur erschwert durchführen könnte. Vor Übertragung der Zuständigkeit erscheint es daher zweckmäßiger, die Entscheidung über den Unterhaltserhöhungs- bzw. Herabsetzungsantrag durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien durchführen zu lassen.

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