OGH 28Ds3/17f

OGH28Ds3/17f15.2.2018

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 20. Februar 2017, AZ D 20/16, in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter, LL.M., des Kammeranwalts Dr. Kaska und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0280DS00003.17F.0215.000

 

Spruch:

 

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zurückverwiesen.

Mit ihrer gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufungen werden der Disziplinarbeschuldigte und der Kammeranwalt auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 20. Februar 2017, AZ D 20/16, wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er

am 22. April 2017 „durch den Abschluss eines Übergabevertrags zwischen ihm und der anwaltlich unvertretenen Liane P***** die bei ihr bestehende histrionische Persönlichkeitsakzentuierung ausnutzte, um für sich selbst einen Vorteil zu erlangen, und sich im Sinne des § 9 RAO bzw § 12 RL‑BA 1977 bei Abschluss des Übergabevertrags in einem Interessenskonflikt befand und mit seinem Verhalten die Verpflichtung zur Ehrenhaftigkeit und Redlichkeit missachtete.

Über ***** wurde hiefür eine Geldbuße in Höhe von 5.000 Euro verhängt. Überdies wurde er zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verpflichtet.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe sowie jene des Kammeranwalts wegen des Ausspruchs über die Strafe.

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656) kommt aus nachstehenden Erwägungen Berechtigung zu:

Inhaltlich macht der Rechtsmittelwerber zusammengefasst geltend (Z 9 lit a), dass die Feststellungen des Disziplinarrats die rechtliche Annahme einer Verletzung der in § 9 RAO bzw § 12a RL‑BA 1977 normierten Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) sowie einer Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) nicht zu tragen vermögen. Die Berufung weist im Ergebnis zutreffend darauf hin, dass der konstatierte Sachverhalt eine Verletzung des § 12a RL‑BA 1977 nicht zu begründen vermag, und zeigt ferner einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur Missachtung der Rechtsanwalt ***** gegenüber seiner Mandantin Liane P***** treffenden Treuepflicht (§ 9 Abs 1 RAO) auf.

Gemäß § 9 Abs 1 erster Satz RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. § 9 Abs 1 RAO verpflichtet den Anwalt zur Parteientreue (vgl auch [hier noch] § 10 RL-BA 1977). Er hat in dem von § 9 Abs 1 RAO definierten Rahmen und Umfang ausschließlich die Interessen seiner Partei zu verfolgen und „gegen jedermann“ zu vertreten (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 9 RAO Rz 1).

Aus dieser Treuepflicht zum eigenen Mandanten resultiert für den Anwalt unter anderem das Verbot der Doppelvertretung, wobei zwischen echter (materieller) und unechter (formeller) Doppelvertretung zu unterscheiden ist.

Erstere liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vertretung übernimmt oder auch nur einen Rat erteilt, er in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat. § 10 Abs 1 RAO untersagt demnach jede anwaltliche Tätigkeit (zunächst für und dann) gegen den früheren Klienten in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache, wobei der Begriff „zusammenhängende Sache“ weit zu verstehen ist. Erfasst sind demnach alle Konstellationen, in denen Interessenskollisionen zweier Parteien vorliegen oder auch nur die Gefahr einer derartigen Interessensüberschneidung besteht (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 1 DSt Rz 38; RIS‑Justiz RS0117715, RS0055534).

Formelle (unechte) Doppelvertretung ist nach (hier noch:) § 12a RL-BA 1977 dann gegeben, wenn der Anwalt ein neues Mandat übernimmt oder ein bestehendes Mandat nicht niederlegt, obwohl dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Parteien in den jeweils anvertrauten Mandaten beeinträchtigt, insbesondere weil die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einer früheren Partei anvertrauten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Informationen besteht (Z 1), die Kenntnisse der Belange einer früheren Partei der neuen Partei zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden (Z 2), es zu einem Interessenskonflikt zwischen diesen Parteien kommt (Z 3) oder die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bei Ausübung des Mandats auch nur gegenüber einer Partei nicht gesichert erscheint (Z 4). Das Verbot der formellen Doppelvertretung resultiert aus der Annahme, dass der Rechtsanwalt bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen sowie wirtschaftliche Gegebenheiten seines Mandanten kennt und er diese Kenntnis bei der Vertretung einer anderen Partei zu dessen Nachteil nutzen könnte (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 1 DSt Rz 39).

Nach den Feststellungen des Disziplinarrats vertritt Rechtsanwalt ***** Liane P***** in dem durch eine Ehescheidungsklage des Peter P***** (im Jahr 2012) eingeleiteten (ES 3), bislang noch nicht rechtskräftig beendeten Scheidungsverfahren (ES 4 f). Am 22. Mai 2014 schloss der Disziplinarbeschuldigte mit Liane P***** einen von ihm errichteten Übergabsvertrag, mit dem ihm die bei diesem Rechtsgeschäft anwaltlich unvertretene (ES 1 und 7) Liane P***** die in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft EZ ***** KG 20198 W***** übergab (ES 4), wobei als Gegenleistungen die Einräumung eines lebenslänglichen Wohnrechts für die Übergeberin und eine (zur Unterhaltspflicht des Ehegatten und der öffentlichen Hand bzw eines Sozialversicherungsträgers) subsidiäre Verpflichtung des Disziplinarbeschuldigten zur Leistung des anständigen Unterhalts und zur Pflege der Übergeberin sowie zur Erbringung des notdürftigen Unterhalts für deren Sohn vereinbart wurden (ES 5).

Auch wenn Rechtsanwalt ***** demnach – worauf er in seiner Berufung verweist – bei Abschluss des Übergabsvertrags im eigenen Interesse und in eigener Sache tätig wurde, so hat er doch die aufgrund des aufrechten Mandatsverhältnis zu Liane P***** im Scheidungsverfahren bestehende Treuepflicht (§ 9 Abs 1 RAO, § 10 RL-BA 1977) zu beachten.

Zwar kommt ein Verstoß gegen das Verbot der (formellen) Doppelvertretung (§ 12a RL-BA 1977) mangels Handelns im Rahmen eines neuen, für einen weiteren Klienten übernommenen Mandats nicht in Betracht, doch ergibt sich aus der Pflicht zur Parteientreue (§ 9 Abs 1 RAO, § 10 RL‑BA 1977) die Verpflichtung, im Rahmen des Mandatsverhältnisses erlangtes Wissen – fallbezogen etwa über die Vermögensverhältnisse, die familiäre Situation und die Verhaltensweisen bzw Persönlichkeit der Liane P***** – nicht zum Nachteil des Mandanten zu verwenden, um sich selbst einen unlauteren Vorteil zu verschaffen. Ein Rechtsanwalt darf demnach beim Abschluss von Verträgen in eigener Sache mit dem eigenen Mandanten (insbesondere in vermögensrechtlichen Angelegenheiten) das durch seine besondere (Vertrauens-)Stellung erlangte Wissen nicht zum eigenen Vorteil in einer gegen die Interessen des Mandanten gerichteten Weise verwenden (vgl auch § 10 zweiter Satz RL-BA 1977).

Den Konstatierungen des Disziplinarrats kann entnommen werden, dass Rechtsanwalt ***** das im Verfahren AZ 10 P 31/13s des Bezirksgerichts Tulln zur Prüfung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters für die im Scheidungsverfahren zunächst unvertretene Liane P***** eingeholte Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. G***** bekannt war (ES 3 f): Danach finden sich bei Liane P***** zwar keine Hinweise auf eine geistige Behinderung oder eine demenzielle Entwicklung, jedoch lägen ein ausgeprägt theatralisches Verhalten mit übertriebenem Ausdruck von Gefühlen im Sinne einer histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung sowie eine ausgeprägte Logorrhoe und eine erhöhte Kränkbarkeit vor (ES 4). Es sei davon auszugehen, dass sich diese gesteigerte Emotionalität im Zuge einer Gerichtsverhandlung für Liane P***** negativ auswirken und die Genannte daher im Scheidungsverfahren nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst agieren könne (ES 4). Der Disziplinarrat hielt weiter fest, dass aufgrund des Ergebnisses dieses Gutachtens zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und der für das Sachwalterschaftsverfahren zuständigen Richtern „besprochen und vereinbart“ wurde, dass Liane P***** dem Disziplinarbeschuldigten Vollmacht erteilen, von ihm im Scheidungsverfahren vertreten und „aus diesem Grunde das Sachwalterschaftsverfahren eingestellt“werde (ES 4).

Inwiefern sich die von der Sachverständigen festgestellten, dem Rechtsanwalt ***** bekannten Verhaltensweisen der Liane P***** bzw deren Persönlichkeitsakzentuierung auf ihr Urteilsvermögen und ihre Geschäftsfähigkeit ausgewirkt haben und allenfalls bestehende Einschränkungen (insbesondere hinsichtlich der Erfassung von Bedeutung und Tragweite des gegenständlichen Vertrags) vom Disziplinarbeschuldigten zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt wurden, kann den Konstatierungen des Disziplinarrates nicht entnommen werden.

Allein aus dem festgestellten Umstand, dass „Liane P***** davon aus[geht], dass sie als Gegenleistung im Zusammenhang mit dem Übergabsvertrag monatlich einen Betrag von 400 € erhält und auch ihrem Sohn geholfen wird, wenn er nicht ausreichend soziale Hilfe erhält“ (ES 5), kann weder auf vom Disziplinarbeschuldigten ausgenutzte intellektuelle Einschränkungen der Liane P***** noch auf eine Übervorteilung der Genannten geschlossen werden. Auch die – im Übrigen fehlende Feststellungen nicht ersetzende – Formulierung im Spruch, wonach ***** „die bei Liane P***** bestehende histrionische Persönlichkeitsakzentuierung ausgenutzt hat, um für sich selbst einen Vorteil zu erlangen“ (ES 1), lässt nicht erkennen, inwiefern der Disziplinarbeschuldigte die gesteigerte Emotionalität seiner Mandantin in einer gegen deren Interessen gerichteten Weise bzw ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt haben soll.

Insgesamt bieten die Feststellungen des Disziplinarrats daher kein ausreichendes Substrat zur Beurteilung der Frage, inwiefern Rechtsanwalt ***** durch den Abschluss des Übergabsvertrags die ihn gegenüber seiner Mandantin Liane P***** treffende Treuepflicht (§ 9 Abs 1 RAO, § 10 RL-BA 1977) verletzt und insofern (auch) Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt hat.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs und damit auch des Strafausspruchs. In Stattgebung der Berufung des Disziplinarbeschuldigten war daher das angefochtene Erkenntnis zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu verweisen (§ 54 Abs 2 DSt).

Mit ihren gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufungen waren sowohl der Disziplinarbeschuldigte als auch der Kammeranwalt auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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