Spruch:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben, das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien im Punkt 1./a./ aufgehoben und insoweit in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Mag. Gregor R***** ist schuldig, er hat in der Nacht vom 26. auf 27. Juni 2009 in E***** mit Jochen L***** ohne Beiziehung oder Verständigung des diesen vertretenden Rechtsanwalts Dr. Rudolf M***** persönlich Kontakt aufgenommen und dadurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtverletzung sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen.
Über ihn wird hiefür die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.
Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen.
Text
Gründe:
Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 14. Juni 2013, D 184/09, D 140/10, wurde der Beschuldigte Mag. Gregor R***** von den wider ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen, er habe (zu ergänzen in E*****)
1./a./ mit Jochen L***** ohne Beiziehung oder Verständigung des diesen vertretenden Rechtsanwalts Dr. Rudolf M***** telefonisch und persönlich Kontakt aufgenommen;
b./ auch den relevanten Sachverhalt im Verfahren 501 St 75/09t des Landesgerichts für Strafsachen (gemeint Staatsanwaltschaft) Wien, welche sowohl gegen Jochen L***** als auch gegen seinen Mandanten Gerhard H***** anhängig ist besprochen;
c./ insbesondere auch eine Vergleichsmöglichkeit vorgeschlagen, wonach der Erinnerungsverlust sämtlicher Zeugen bei etwaigen Einvernahmen bzw Gerichtsverhandlungen eine Möglichkeit sei, die Sache zu lösen;
d./ weiters bei diesem Gespräch erklärt, dass das Leben des Jochen L***** in Gefahr sei und er selbst unter Tags nur mit schusssicherer Weste auf die Straße gehe und seine Pistole immer dabei habe sowie auf die Frage des Jochen L*****, ob er jetzt auch bewaffnet sei, das Sakko zur Seite geschoben und einen Revolver gezeigt;
2./ im Juli 2009 Jochen L***** und MMag. Nikolaus F***** gegenüber erklärt, hinter Gerhard H***** stehe die Mafia, dies mit dem Zweck, eine für seinen Mandanten günstigere Aussage der Zeugen zu erreichen, freigesprochen.
Gegen diesen Freispruch richtet sich die Berufung des Kammeranwalts der Rechtsanwaltskammer Wien wegen Schuld (und trotz Freispruchs auch wegen des gar nicht erfolgten Strafausspruchs), mit der Begründungsmängel und eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgebracht werden.
Rechtliche Beurteilung
Nur der Berufung gegen den Freispruch zu Punkt 1./a./ kommt Berechtigung zu.
Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien hielt zu diesem Vorwurf fest, dass der Disziplinarbeschuldigte im Jahr 2009 Gerhard H***** vertrat, welcher heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen mit seinen Parteikollegen MMag. Nikolaus F***** und Jochen L***** hatte. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen kam es zu wechselseitigen Anzeigen mit in der Folge eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Der Disziplinarbeschuldigte übernahm dabei ein Mandat zur Verteidigung des Gerhard H***** im Strafverfahren zu 501 St 75/09t der Staatsanwaltschaft Wien. In diesem Verfahren war Jochen L***** durch Rechtsanwalt Dr. Rudolf M***** vertreten.
Ungeachtet des Umstands, dass es sich um ein Strafverfahren handelte, waren beide Seiten im Zuge dieser innerparteilichen Auseinandersetzung bemüht, eine „einvernehmliche Regelung“ zu finden.
In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 2009 fuhr MMag. Nikolaus F***** in einem PKW gemeinsam mit dem Disziplinarbeschuldigten nach E***** zum Haus der Eltern des Jochen L*****, welcher sich dort aufhielt. MMag. Nikolaus F***** rief um ca 1:00 Uhr früh Jochen L***** an und teilte ihm mit, dass ihrer beider Leben in Gefahr sei.
Jochen L***** stieg in der Folge in den PKW zu MMag. Nikolaus F***** und Mag. Gregor R***** ein. Nach einer kurzen Fahrt unterhielt sich der Disziplinarbeschuldigte mit Jochen L***** über das zu 501 St 75/09t der Staatsanwaltschaft Wien anhängige Verfahren, obwohl er wusste, dass dieser durch Dr. Rudolf M***** vertreten war und dass für den nächsten Tag eine Zusammenkunft mit den am Gespräch Beteiligten in Anwesenheit des Jochen L***** vertretenden Rechtsanwalt Dr. Rudolf M***** geplant war.
Der Disziplinarbeschuldigte war bei diesem Gespräch bewaffnet. Ob dieser dabei Jochen L***** die Pistole zeigte und dadurch einschüchterte, konnte nicht festgestellt werden.
Darüber hinaus sah sich der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien außerstande, Feststellungen zu den übrigen inkriminierten Vorwürfen, insbesondere einer Beeinflussung des Jochen L***** zu einer gemeinsamen Vorgangsweise im Verfahren 501 St 75/09t der Staatsanwaltschaft Wien zu treffen.
Der Kammeranwalt zeigt nun zu Recht auf, dass die vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien angenommene Kontaktaufnahme zu einem von einem anderen Rechtsanwalt vertretenen Partei und die damit verbundene Berufspflichtverletzung gemäß § 18 RL‑BA sowie die damit einhergehende Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes im Gegensatz zur Auffassung des Disziplinarrats keineswegs als geringfügiges Verschulden im Sinn des § 3 DSt 1990 zu werten ist.
Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts nach § 18 RL‑BA wurde einerseits zum Schutz der rechtskundigen Partei, die ohne ihren Rechtsfreund in der Regel nicht in der Lage ist, die Tragweite ihrer Erklärungen oder die Folgen ihrer Rechtshandlungen abzusehen, und andererseits zum Schutz von Ehre und Ansehen des Standes erlassen, weil es dem Grundsatz der Kollegialität entspricht, einen Rechtsanwalt als Vertreter der Gegenpartei anzuerkennen und über ihn mit dessen Klienten zu verkehren, wobei für die diszilplinäre Verantwortlichkeit schon das die Missachtung eines der beiden Schutzzwecke genügt (Feil/Wennig Anwaltsrecht7 § 18 RL‑BA Rz 1; RIS‑Justiz RS00055124).
Eine Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes ist nur dann anzunehmen, wenn das inkriminierte Verhalten entweder einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt oder doch derart schwerwiegend ist, dass selbst mit einer auf wenige Personen beschränkte Kenntnis diese Gefahr der Beeinträchtigung verbunden ist, was stets im Einzelfall zu beurteilen ist (Feil/Wennig Anwaltsrecht7 § 1 DSt S 832).
Allein schon die unvermittelte Kontaktaufnahme um 1:00 Uhr mit der Prämisse einer vom mitfahrenden MMag. Nikolaus F***** in den Raum gestellten Gefahr für das Leben des Jochen L*****, welche diesem die Möglichkeit eines überlegten Handelns und einer allfälligen Rücksprache mit seinem Anwalt so gut wie unmöglich machte, wobei Mag. Gregor R***** diese Situation für sein Gespräch mit der von einem anderen Rechtsanwalt vertretenen Person nutzte, indiziert einen gravierenden Verstoß gegen die Verpflichtung, das Mandat eines Kollegen nicht zu umgehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Disziplinarbeschuldigte diese Beeinträchtigung des fremden Mandats in Kenntnis des Umstands vornahm, dass am Tag darauf eine Besprechung mit den Beteiligten unter Einbeziehung des Rechtsvertreters des Jochen L***** vorgesehen war.
Die Vorgangsweise, dass ein solches überraschendes Gespräch unter der Prämisse drohender Lebensgefahr um 1:00 Uhr in die Wege geleitet wurde, welche dem durch einen anderen Rechtsanwalt vertretenen potentiellen Gesprächspartner in eine außergewöhnliche Konfliktsituation brachte und die Kontaktaufnahme mit seinem Rechtsfreund geradezu unmöglich machte, ist auch als Verhalten zu qualifizieren, welches die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigt.
Diese Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes gelangte über die Anzeige des Sachverhalts bei der Staatsanwaltschaft Wien und die dazu gepflogenen Polizeierhebungen (ES 6) einem größeren Personenkreis zur Kenntnis.
Mit Blick auf das Gewicht der festgestellten Berufspflichtverletzung und das Ausmaß der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes im konkreten Geschehnisablauf bleibt kein Raum für eine Bewertung des Verschuldens des Disziplinarbeschuldigten als bloß geringfügig iSd § 3 DSt 1990. Der in der angefochtenen Entscheidung genannte Umstand, dass die Anzeige durch Jochen L***** erst zwei Monate nach der inkriminierten Umgehung des gegnerischen Anwalts erfolgte und aus dem Akt nicht erkennbar sei, dass sich die Rechtsposition des Jochen L***** durch diese Vorgangsweise „verschlechtert“ hätte, vermag entgegen der Auffassung des die Voraussetzungen des § 3 DSt 1990 bejahenden Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien das erhebliche Verschulden des Mag. Gregor R***** nicht zu minimieren, hängt doch das Umgehungsverbot iSd § 18 RL‑BA nicht davon ab, dass die verbotene Kontaktaufnahme zu einer Beeinflussung des von einem anderen Anwalt Vertretenen führt; dem Zeitfaktor der (zwei Monate nach der Tat erfolgten) Anzeige kommt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Bedeutung zu.
Insoweit war der Berufung Folge zu geben, dass freisprechende Erkenntnis in diesem Punkt aufzuheben und mit einem Schuldspruch vorzugehen.
Ausgehend von der als mildernd zu wertenden bisherigen Unbescholtenheit und dem insoweit abgelegten Tatsachengeständnis sowie dem Fehlen von Erschwerungsumständen war im Hinblick auf die überlange, nicht vom Beschuldigten zu vertretene Dauer des seit 21. September 2009 anhängigen Verfahrens mit der Verhängung der Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt 1990) vorzugehen.
Zu den restlichen Vorwürfen ging der Disziplinarrat in dem angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass die Angaben der im Disziplinarverfahren als auch von der Polizei im Rahmen des Strafverfahrens vernommenen Zeugen sowie die Einlassung des Disziplinarbeschuldigten keine hinreichenden Anhaltspunkte boten, um die Mag. Gregor R***** angelasteten weiteren Pflichtverletzungen zu untermauern.
Die dagegen vom Kammeranwalt vorgebrachten Argumente erschöpfen sich lediglich darin, von anderen Sachverhaltsannahmen auszugehen, ohne jedoch konkrete Einwände gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats auszuführen oder sich aus den Akten ergebende Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Freispruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.
In diesen Anfechtungspunkten war daher der Berufung keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt 1990. Die Kostentragungspflicht im Rechtsmittelverfahren nach dem DSt 1990 stellt - anders als nach § 390a Abs 1 StPO ‑ nicht darauf ab, dass der Disziplinarbeschuldigte in erster Instanz zum Kostenersatz verpflichtet wurde (zur insoweit anderen Ausgangslage im Strafverfahren vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 3), sondern lediglich auf einen ‑ wie hier auch erst im Rechtsmittelverfahren zu fällenden - Schuldspruch (vgl § 39 Abs 2 DSt 1990).
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