OGH 23Os3/15m

OGH23Os3/15m31.3.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 31. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Konzett und Mag. Brunar sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom (richtig:) 19. März 2015, GZ D 3/14 (DV 7/14)‑10, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, des Kammeranwaltstellvertreters Dr. Keckeis und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0230OS00003.15M.0331.000

 

Spruch:

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und die Geldbuße auf 1.800 Euro herabgesetzt.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehens des Standes nach § 1 (Abs 1 erster und zweiter Fall) DSt schuldig erkannt, weil er

„a) ungeachtet des Umstands, dass er Verfahrenshelfer der Frau Gabriele G***** war, während des anhängigen Verfahrens 6 Cg 126/06a des Landesgerichts Feldkirch laufend Kostenvorschüsse verlangt und von Frau Gabriele G***** einen Betrag in der Höhe von insgesamt 7.910 Euro erhalten und diesen Betrag trotz Aufforderung nicht zurückbezahlt hat;

b) im Verfahren 6 Cg 126/06a des Landesgerichts Feldkirch als bestellter Verfahrenshelfer der Gabriele G***** eine gerichtliche Pauschalgebühr in der Höhe von 2.165 Euro gegenüber deren Rechtsvertreter verrechnete, ohne diesen Betrag selbst ausgelegt zu haben, weiters gegenüber dem Rechtsvertreter von Gabriele G***** in der Abrechnung vom 17. September 2013 nicht detailliert aufgeschlüsselte und überhöhte Zeugengebühren und Barauslagen in Höhe von 993 Euro geltend machte, denen letztlich nur Leistungen in Höhe von 365 Euro gegenüberstanden;

c) nachdem Frau Gabriele G***** im Verfahren 5 Cg 135/06t des Landesgerichts Feldkirch von Seiten des Beklagten Julian C***** der Streit verkündet worden war, für Gabriele G***** den Beitritt als Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei ‑ der B***** ‑ erklärte, wobei Gabriele G***** als Solidarschuldnerin nicht das geringste Interesse am Obsiegen der B***** hatte und ungeachtet dessen ‑ nach Zurückweisung der Nebenintervention ‑ für diese Leistung einen Betrag in der Höhe von 5.330,01 Euro an Kosten verrechnete;

d) weitere Leistungen gegenüber Frau Gabriele G***** mit einem pauschalierten Betrag von 6.252 Euro verrechnete, ohne dass diesem Pauschalbetrag eine detaillierte und ordnungsgemäße Abrechnung zugrunde gelegt wurde;

e) Kostenvorschüsse und Klientengelder, welche er von Gabriele G***** in verschiedenen Rechtssachen vereinnahmt hat, nicht korrekt abrechnete“.

Er wurde hiefür (nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt) zu einer Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich seine Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]; bezeichnet als solche wegen „unrichtiger Tatsachenfeststellung, unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung“) und Strafe, der im Ergebnis nur aus dem letzteren Grund Berechtigung zukommt.

Dem zu den Schuldsprüchen a) und b) erhobenen Einwand der Aktenwidrigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 letzter Fall StPO) zuwider ist dieser Nichtigkeitsgrund nur dann verwirklicht, wenn in dem angefochtenen Erkenntnis der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (RIS-Justiz RS0099431).

Das dem Disziplinarbeschuldigten zu a) zum Vorwurf gemachte Verhalten besteht im Wesentlichen darin, dass er im Verfahren 6 Cg 126/06a des Landesgerichts Feldkirch von seiner Mandantin Gabriele G***** trotz der ihr gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit a und f sowie Z 3 ZPO gewährten Verfahrenshilfe Kostenvorschüsse in Höhe von gesamt 7.910 Euro erhielt, welche auf den gegenständlichen Akt gebucht (Erkenntnisseite 5) und ‑ nachdem er dem neuen Rechtsvertreter der Gabriele G***** gegenüber eingeräumt hatte, offensichtlich die Verfahrenshilfe übersehen zu haben ‑ ohne Rücksprache und Zustimmung der Gabriele G***** in anderen Rechtsfällen als Zahlung verbucht wurden (ES 6). Zu b) liegt ihm zur Last, in der Abrechnung vom 17. September 2013 eine (gerichtliche) Pauschalgebühr in der Höhe von 2.165 Euro, die er tatsächlich nicht bezahlt hatte (ES 8), sowie (nicht aufgeschlüsselte) Zeugengebühren und Dolmetscherkosten in Höhe von 993 Euro (ES 1 und 8; siehe aber ES 6: 993,31 Euro) verrechnet zu haben, denen letztlich nur Leistungen in der Höhe von 365 Euro (ES 1 und 8; hingegen 369,95 Euro laut ES 6) gegenüberstanden (ES 5 f und 8 iVm ES 1).

Damit betrifft der laut Aktenlage (ON 1 S 33) zutreffende Einwand, ein Kostenvorschuss in Höhe von 3.000 Euro wäre bereits am 22. Mai 2006, mithin ca eine Woche vor dem Datum der Klagseinbringung geleistet worden, aufgrund der verbleibenden im Laufe dieses Gerichtsverfahrens und somit während bestehender Verfahrenshilfe geleisteten Kostenvorschüsse in der Höhe von insgesamt 4.910 Euro keine entscheidende Tatsache.

Dass diese Kostenvorschüsse insbesondere auf vorprozessuale Leistungen im Zeitraum 23. März 2006 bis zur Klagseinbringung gegen Sadik K***** am 30. Mai 2006 in der Höhe von 5.703,90 Euro angerechnet wurden, die zur Gänze im Zusammenhang mit der Klagsführung zu 6 Cg 126/06a des Landesgerichts Feldkirch standen, blieb nicht unberücksichtigt (ES 6, 8), ist aber angesichts der während aufrechter Verfahrenshilfe unzulässig empfangenen Kostenvorschüsse (vgl ES 11; RIS-Justiz RS0054981 [T1]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 58 RL‑BA 1977 Rz 4) ebenfalls nicht entscheidend. Im Übrigen lässt der Berufungswerber unbeachtet, dass die gewährte Verfahrenshilfe auch eine vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbeilegung umfasst (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO) und die in Rede stehenden „vorprozessualen Leistungen“ ‑ den Annahmen des erkennenden Disziplinarsenats zufolge ‑ „in erster Linie vom Einheitssatz gedeckt“ waren (ES 11).

Insoweit ist es auch unerheblich, ob das Schreiben an Rechtsanwalt Dr. H***** vom 17. September 2013 (ON 1 S 31 ff), mit dem der Disziplinarbeschuldigte „diverse Honorarnoten“ übersandte (ES 5), eine Rechnungsnummer aufweist oder ob in diversen anderen Causen immer noch restliche Kostenvorschüsse aushaften.

Keineswegs unerwähnt blieb die Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, wonach „die von der Zeugin Gabriele G***** geleisteten Kostenvorschüsse der Einfachheit halber stets in irgendeinem Akt“ ‑ laut Berufungsvorbringen „nach dem Zufallsprinzip“ ‑ verbucht wurden und „nach Abschluss sämtlicher Rechtssachen eine Schlussabrechnung geplant gewesen sei“, wobei im Disziplinarerkenntnis ergänzend darauf hingewiesen wird, dass der Disziplinarbeschuldigte ‑ was dieser im Rechtsmittel mit Stillschweigen übergeht ‑ „aufgrund der Vielzahl der Fälle offensichtlich den Überblick verloren“ hat (ES 10; vgl hiezu seine diesbezügliche Verantwortung in der Disziplinarverhandlung vom 19. März 2015 [ON 8 S 2]).

Mit den zu c) vorgebrachten Einwänden (der Sache nach Z 9 lit a) wird nicht methodengerecht erörtert, warum das behauptete Interesse der Gabriele G***** am Obsiegen der klagenden Partei (der B***** AG) ein rechtliches sein sollte. Die ins Treffen geführte Literaturstelle bezieht sich ‑ bei verständiger Leseart und unter Berücksichtigung einschlägiger Judikatur (vgl RIS‑Justiz RS0106173) ‑ bloß auf ein rechtliches Interesse des einen Solidarschuldners am Obsiegen des anderen Solidarschuldners, demnach auf einen Beitritt des ersten Solidarschuldners als Nebenintervenient auf Seiten des zweiten, während das Interesse eines Gläubigers am Nichtobsiegen eines anderen Gläubigers desselben Schuldners nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0035853) kein rechtliches ist und demnach einen Beitritt als Nebenintervenient nicht zu begründen vermag.

Soweit der Rechtsmittelwerber seine Argumentation auf RIS-Justiz RS0117330 stützt, legt er nicht dar, inwieweit im gegenständlichen Rechtsstreit eine Inanspruchnahme seiner Mandantin je nach dem Prozessausgang durch beide Streitparteien ‑ hier konkret durch den Beklagten Julian C***** ‑ überhaupt denkbar wäre. Im Gegenteil: Das Rechtsmittel räumt selbst ein (BS 6 oben), dass ein Beitritt auf Seiten des Beklagten Julian C***** „keinerlei Aussicht auf Erfolg“ gehabt hätte.

Dass sich aber nur die Summe der gegen den Beitretenden bestehenden Forderungen vermindert, wenn Beträge vom Beklagten einbringlich gemacht werden können, begründet nur ein wirtschaftliches Interesse (RIS‑Justiz RS0108221).

Demgemäß war die Nebenintervention von vornherein aussichtslos (vgl die betreffende Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 3. April 2007, 2 R 20/07v im Verfahren 5 Cg 135/06t des Landesgerichts Feldkirch).

Der Disziplinarbeschuldigte hätte daher in seinem Schreiben an den „Nachfolgerechtsanwalt“ Dr. H***** vom 17. September 2013 für die betreffenden aussichtslosen Leistungen nicht den im genannten Verfahren verzeichneten Betrag von 5.330,02 Euro in Rechnung stellen dürfen.

Die gegen den Schuldspruch d) erhobene Rüge (der Sache nach ebenfalls Z 9 lit a) geht am Tatvorwurf vorbei, wonach es der Disziplinarbeschuldigte unterlassen hat, über die im Zusammenhang mit Vergleichsverhandlungen seiner Mandantin Gabriele G***** mit Sadik K***** wegen eines Hauskaufs in Spanien und Bregenz erbrachten Leistungen eine detaillierte Abrechnung zu legen (RIS‑Justiz RS0111484; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt, S 864). Dass in dieser Rechtssache (bei Erteilung der Vollmacht) eine Pauschalentlohnung vereinbart worden sei, wird nicht einmal behauptet, weshalb der Honoraranspruch in ziffernmäßig überprüfbarer Weise abzurechnen gewesen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0045344). Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, das laut nachträglicher Abrechnung die letzte diesbezügliche Leistung vom 9. April 2004 (!) datierte, also viele Jahre verstrichen, ohne dass auf korrekte Weise Kosten abgerechnet worden wären.

Laut Schuldspruch e) hat der Disziplinarbeschuldigte Kostenvorschüsse und Klientengelder, die er von (bzw für) Gabriele G***** „in verschiedenen Rechtssachen vereinnahmt hat“ ‑ insbesondere „in der Rechtssache Luongo, Krebitz und Rüscher im Zeitraum 2002 bis 2007“ eingegangene „Schuldnerzahlungen“ in der Höhe von ca 10.000 Euro ‑ nicht korrekt abgerechnet, diese vielmehr „erstmals im Schreiben vom 17. September 2013 auf seine Leistungen“ angerechnet (ES 1, 7 f, 10 und 12). Diese gleichfalls um Jahre verspätete (ES 12) Abrechnung verletzt ‑ in disziplinär relevanter Weise ‑ § 19 Abs 1 RAO, wonach der Rechtsanwalt verpflichtet ist, über bei ihm eingegangene Klientengelder unverzüglich Abrechnung zu legen (vgl RIS-Justiz RS0112872; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 19 Rz 7).

Warum ein „zwischenzeitlich“ ‑ tatsächlich erst nach dem Disziplinarerkenntnis vom (richtig) 19. März 2015 erfolgtes ‑ „Abrechnungsschreiben“ vom 24. März 2015 geeignet sein sollte, den disziplinarrechtlichen Vorwurf zu entkräften, wird nicht erklärt.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO sei noch darauf hingewiesen, dass zur Verwirklichung der hier in Rede stehenden Disziplinarvergehen Fahrlässigkeit genügt (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt, S 855) und es angesichts des hier schwerwiegenden Fehlverhaltens des Disziplinarbeschuldigten keiner weiteren Feststellungen dazu bedurfte, ob dieses einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt wäre (Feil/Wennig, aaO S 859).

Das Rechtsmittelvorbringen vermag auch im Licht einer Schuldberufung keine Bedenken gegen die Richtigkeit der ‑ logisch und empirisch einwandfrei getroffenen ‑ Annahmen des Disziplinarrats zu erwecken.

Dieser wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das Zusammentreffen von fünf Fakten, den langen Tatzeitraum, die besondere Sorglosigkeit im Umgang mit Klientengeld und die Unterlassung der gerichtlichen Hinterlegung der strittigen Honorarbeträge, als mildernd demgegenüber das Tatsachengeständnis und die Unbescholtenheit des Disziplinarbeschuldigten.

Diese Strafzumessungsgründe sind dahin zu korrigieren, dass die beiden letztgenannten Erschwerungsgründe zu entfallen haben, weil sie bereits vom Tatbestand erfasst sind. Als weiterer Milderungsgrund tritt die teilweise nachträgliche Schadensgutmachung durch den treuhändigen Erlag eines Betrags von 7.540,05 Euro beim Anzeiger hinzu.

Unter Abwägung dieser Strafzumessungsgründe ist eine Herabsetzung der Geldbuße auf 2.000 Euro sowohl in Bezug auf Unrecht der Taten und Schuld des Täters als auch auf die durchschnittlichen Einkommensverhältnisse eines Rechtsanwalts angemessen.

Sie war aber im Ergebnis messbar um 200 Euro auf 1.800 Euro zu reduzieren (RIS‑Justiz RS0114926), weil dem Disziplinarbeschuldigten auch als mildernd zugute zu halten ist, dass das gegen ihn geführte Verfahren aus einem nicht von ihm zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat (§ 34 Abs 2 StGB).

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

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