OGH 23Ns2/20a

OGH23Ns2/20a25.6.2020

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Konzett und Mag. Brunar als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, AZ D 3/17 des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer, über den Antrag des Beschuldigten auf Übertragung der Durchführung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0230NS00002.20A.0625.000

 

Spruch:

(1) Der Antrag des Beschuldigten, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, wird abgewiesen.

(2) Zur Entscheidung über das Vorliegen von Ausschließungs‑ oder Befangenheitsgründen betreffend den Präsidenten des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer werden die Akten zunächst der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Bei der (gemäß § 7 Abs 1 zweiter Satz EIRAG zuständigen) Vorarlberger Rechtsanwaltskammer ist gegen *****, Rechtsanwalt in *****, ein Disziplinarverfahren anhängig. Der am 2. Dezember 2019 gefasste Einleitungsbeschluss (ON 30) wurde dem Beschuldigten am 28. Jänner 2020 zugestellt. Am 21. Februar 2020 beantragte dieser die Übertragung der Durchführung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat (ON 31).

Gemäß § 25 Abs 1 erster Satz DSt kann die Durchführung des Disziplinarverfahrens wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats oder aus anderen wichtigen Gründen auf Antrag des Beschuldigten, des Kammeranwalts oder des Disziplinarrats selbst einem anderen Disziplinarrat übertragen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre ist eine Übertragung aus dem Grund der Befangenheit (§ 25 Abs 1 erster Satz erster Fall DSt) nur dann statthaft, wenn entweder der gesamte Disziplinarrat oder so viele seiner Mitglieder befangen sind, dass dieser nicht mehr beschlussfähig ist (10 Bkd 2/07, AnwBl 2008, 222; RIS‑Justiz RS0056885 und RS0083346, jüngst 21 Ns 21/19p; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 [2018] § 25 DSt Rz 2).

Der Begriff der Befangenheit umfasst alle Fälle der Hemmung einer unparteiischen Entscheidungsfindung durch unsachliche Motive, wobei auf den äußeren Anschein abzustellen ist. Entscheidend ist daher insoweit, ob die äußeren Umstände geeignet sind, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler naheliegende Zweifel an der unvoreingenommenen und unparteilichen Entscheidungsfindung zu wecken ( Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 [2018] § 26 DSt Rz 15 mwN). Die Umstände, die aus Sicht des Ablehnenden geeignet sind, solche Zweifel hervorzurufen, sind konkret und personenbezogen darzulegen (RIS‑Justiz RS0096774 und RS0114514).

Indem der Beschuldigte die Mitglieder des Disziplinarrats pauschal ablehnt und dabei anhand spekulativer Überlegungen zu möglichen wirtschaftlichen Eigeninteressen sämtlicher Kammerfunktionäre subjektive Bedenken gegen deren Unbefangenheit zum Ausdruck bringt, entfernt er sich somit von den Kriterien des insoweit angesprochenen Übertragungsgrundes.

Der etwaige Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Mitglieds des Disziplinarrats nicht mit jener des Beschuldigten deckt, ist schon von vornherein nicht geeignet, den Einwand der Befangenheit zu tragen (vgl SSt 60/22, 14 Ns 78/07t und RIS‑Justiz RS0096774 [T2]).

Die Ablehnung des Kammeranwalts durch den Beschuldigten ist gesetzlich nicht vorgesehen und daher nicht möglich (21 Ns 1/19p, RIS‑Justiz RS0056819; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 [2018] § 26 DSt Rz 25).

Einen wichtigen Übertragungsgrund im Sinn des zweiten Falls des § 25 Abs 1 erster Satz DSt stellt weder der bisherige Verlauf des Disziplinarverfahrens (30 Ns 2/19a) noch der in ***** gelegene Kanzleisitz des Beschuldigten (vgl RIS‑Justiz RS0119215 [T2]) noch die angeblich bisher mangelhafte Aktenführung (21 Ns 1/19p) dar.

Der Antrag, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, war daher abzuweisen.

Soweit der Beschuldigte in diesem Zusammenhang die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Obersten Gerichtshof beantragt, genügt der Hinweis, dass einer Prozesspartei kein diesbezügliches Recht zukommt (RIS‑Justiz RS0058452, jüngst 12 Os 125/19b, 126/19z).

Die Entscheidung über das behauptete Vorliegen von Ausschließungs‑ oder Befangenheitsgründen betreffend den Präsidenten des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer kommt der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs zu (§ 26 Abs 5 zweiter Satz DSt).

Über die allfällige Ausgeschlossenheit oder Befangenheit des Berichterstatters wird der Präsident des Disziplinarrats zu entscheiden haben (§ 26 Abs 5 erster Satz DSt).

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