OGH 22Ds9/23b

OGH22Ds9/23b8.11.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 8. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie den Rechtsanwalt Dr. Pressl und die Rechtsanwältin Dr. Klaar als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, und andere Beschuldigte über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 26. April 2023, GZ DISZ/10‑23‑4, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0220DS00009.23B.1108.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben.

 

Gründe:

[1] Am 2. März 2023 beantragte der Kammeranwalt beim Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Rechtsanwälte *, *, * und * sowie die diesbezügliche Bestellung eines Untersuchungskommissärs (§ 22 Abs 3 DSt). Diesem Antrag lagen Anzeigen zugrunde, nach denen der Verdacht bestehe, dass im Verfahren AZ 6 Cg 13/21z des Landesgerichts Wels die drei Letztgenannten überhöhte Honorarnoten gelegt hätten und der Erstgenannte im Zuge darauf bezogener Einwendungen durch die Anregung der „Weiterleitung dieses Aktes an die Staatsanwaltschaft“ Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgt oder inadäquate Maßnahmen zur Durchsetzung von Ansprüchen ergriffen hätte.

[2] Aufgrund des vom Kammeranwalt zugleich gestellten Antrags nach § 25 Abs 1 und 2 DSt übertrug der Oberste Gerichtshof die Durchführung des Disziplinarverfahrens dem Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer.

[3] Mit dem angefochtenen Beschluss legte der im Sinn des § 29 Abs 1 DSt bestellte Senat dieses Disziplinarrats die Anzeigen zurück (§ 29 Abs 2 erster Satz DSt).

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen erhobene Beschwerde des Kammeranwalts ist im Recht.

[5] Nach ständiger Judikatur kann der Disziplinarrat in nichtöffentlicher Sitzung nur dann mit Einstellungsbeschluss (§ 28 Abs 3 DSt) vorgehen, wenn nicht einmal der Verdacht eines standeswidrigen Verhaltens vorliegt (RIS‑Justiz RS0056969 und RS0057005). Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist – im Licht des § 212 Z 2 StPO (§ 77 Abs 3 DSt) – dann auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Verdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 28 DSt Rz 9). Entsprechendes gilt für den Rücklegungsbeschluss (§ 29 Abs 2 DSt), der ebenfalls nur als unmittelbare Folge der rechtlichen Prüfung des angezeigten Sachverhalts ergehen darf, wogegen die Beweiswürdigung dem nach § 30 DSt zu bildenden, nach mündlicher Disziplinarverhandlung erkennenden Senat vorbehalten ist (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 29 DSt Rz 1).

[6] Die dem Beschuldigten * angelastete Drohung mit einer Strafanzeige ist grundsätzlich geeignet, die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt zu verwirklichen (RIS‑Justiz RS0056214). Zulässig ist eine solche Drohung allerdings dann, wenn der Rechtsanwalt nach sorgfältiger Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass der in Rede stehende Anspruch durchsetzbar und das Verhalten des Gegners tatsächlich – objektiv wie subjektiv – strafgesetzwidrig ist (20 Os 6/16g AnwBl 2017, 103; RIS‑Justiz RS0056214 [T5]). Die Prüfung, ob dem Beschuldigten im Sinn der dargestellten Judikatur ein disziplinarrechtlich relevanter Sorgfaltsverstoß anzulasten ist, kann aber anhand der bisherigen Aktenlage nicht vorgenommen werden.

[7] Entsprechendes gilt für die gegen *, * und * erhobenen Vorwürfe. Das Begehren offensichtlich überhöhter Kosten verstößt nämlich sehr wohl gegen die Ehre oder das Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt), wenn dem betreffenden Rechtsanwalt diesbezüglich zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (RIS‑Justiz RS0055146). Auch zu diesem Faktenkomplex ist daher anhand der derzeitigen Aktenlage eine abschließende disziplinarrechtliche Prüfung nicht möglich.

[8] Aufgrund der ersatzlosen Aufhebung des Rücklegungsbeschlusses hat der Präsident des Disziplinarrats ein Mitglied dieses Rates als Untersuchungskommissär zu bestellen und hievon die Beschuldigten und den Kammeranwalt zu verständigen (§ 29 Abs 3 DSt iVm § 27 Abs 1 erster Satz DSt).

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