OGH 22Ds19/22x

OGH22Ds19/22x17.1.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwältin Dr. Mascher und den Rechtsanwalt Dr. Schimik als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Sekljicin der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 30. Mai 2022, GZ D 33/21‑11, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter‑Longitsch LL.M., des Kammeranwalts Rechtsanwalt Dr. Winiwarter und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0220DS00019.22X.0117.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht Folge gegeben.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

 

*, Rechtsanwalt in *, wird für die ihm nach dem Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 30. Mai 2022, GZ D 33/21‑11, weiterhin zur Last liegenden Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes im Sinn des § 1 Abs 1 DSt nach § 16 Abs 2 DSt gemäß § 31 Abs 1 StGB iVm § 16 Abs 5 DSt unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. April 2021, AZ D 12/20, zu einer Zusatzgeldbuße von

1.500 Euro

verurteilt.

 

Mit seiner Berufung wegen des Strafausspruchs wird der Beschuldigte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 29. Jänner 2021 in der von ihm im Verfahren AZ * des Bezirksgerichts * verfassten Berufungsschrift der erkennenden Richterin ohne sachliche Rechtfertigung (ES 4) eine „rechtsmissbräuchliche“ Entscheidung und Befangenheit sowie ein „Zusammenspiel“ mit dem gegnerischen Rechtsvertreter vorgeworfen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen wegen des Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes (dazu RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Berufung des Beschuldigten geht – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – fehl.

[4] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Erkenntnis festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass der Disziplinarrat bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einen Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

[5] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Rechtsrüge, indem sie nicht von den Feststellungen ausgeht, wonach der Beschuldigte die inkriminierten Äußerungen bewusst ohne objektiviertes Substrat getätigt hat (ES 4), sondern diese Konstatierungen durch die Behauptung ersetzt, die vom Beschuldigten erhobenen Vorwürfe würden der Wahrheit entsprechen.

[6] Unter dem Aspekt der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) fehlt es schon an einem Vorbringen, das geeignet sein könnte, die für die rechtsrichtige Subsumtion wesentlichen Feststellungen des Disziplinarrats in Zweifel zu setzen.

[7] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im weiteren Sinn war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.

[8] Aus Anlass der Berufung überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass im angefochtenen Erkenntnis durch Überschreitung der Strafbefugnis (Z 11 erster Fall) zum Nachteil des Beschuldigten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[9] Nach § 31 Abs 1 StGB – der gemäß § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt auch im anwaltlichen Disziplinarverfahren Anwendung findet – ist nämlich eine Zusatzstrafe zu verhängen, wenn jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Mit Blick auf die gegenständliche Tatzeit (29. Jänner 2021) trifft dies hier in Relation zum Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. April 2021, AZ D 12/20, zu.

[10] Der aufgezeigte Rechtsfehler führte zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Strafausspruch sowie zur Strafneubemessung durch den Obersten Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 288 Abs 2 Z 3 StPO).

[11] Dabei waren die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

[12] Demzufolge waren die Umstände, dass der Beschuldigte mehrere strafbare Handlungen (nämlich unter Einbeziehung des zu AZ D 12/20 der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich ergangenen Schuldspruchs je zwei Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und dass er schon einmal (zu AZ D 26/16 der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich, rechtskräftig seit 21. Juni 2018) wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Disziplinarvergehen verurteilt worden ist (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), erschwerend, der Umstand, dass das Disziplinarverfahren aus einem nicht vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange (rund zweieinhalb Jahre) gedauert hat (§ 34 Abs 2 StGB), mildernd.

[13] Unter dem Aspekt des § 33 Abs 1 Z 2 StGB fällt mit Blick auf den gegenständlichen Sachverhalt besonders auf, dass der Vorverurteilung eine vom Beschuldigten geäußerte ungerechtfertigte Drohung mit einer Strafanzeige zugrunde gelegen ist.

[14] Auf der Basis der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der dargestellten Strafbemessungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) war mit Rücksicht auf die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) unter Bedachtnahme auf § 40 StGB iVm § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion schuldangemessen.

[15] Mit seiner Berufung wegen des Strafausspruchs war der Beschuldigte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[16] Die Kostenentscheidung, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0101558), gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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