OGH 20Ds2/23h

OGH20Ds2/23h13.3.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. März 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Bartl und Dr. Danler als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 14. November 2022, GZ D 29/22‑8, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0200DS00002.23H.0313.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung hinsichtlich des Verdachts vorliegt, * habe im Zusammenhang mit der Treuhandschaft THB * im Zeitraum Mai 2019 bis Oktober 2022 wiederholt rechtmäßige Aufforderungen der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer * unbeantwortet gelassen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von * in mündlicher Verhandlung wegen des Vorwurfs bestehe, er habe dadurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung begangen, „dass er im Zusammenhang mit der Treuhandschaft THB * Anfragen des Ausschusses unbeantwortet gelassen und erst gegenüber dem Kammeranwalt ausgeführt [habe], dass ein Kontoverfügungsauftrag nicht mehr beigebracht werden könne, da eine der Parteien der Treuhandschaft unbekannten Aufenthalts sei“.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen erhobene, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses begehrende Beschwerde des Kammeranwalts ist – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – berechtigt.

[3] Der Disziplinarrat darf mit einem Einstellungsbeschluss nur dann vorgehen, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts vorliegt (RIS‑Justiz RS0056969).

[4] Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Licht des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) dann auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]).

[5] Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, Anfragen der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer (§ 23 Abs 6 RAO) im Zusammenhang mit der gesetzlich vorgesehenen Überwachung der Treuhandabwicklungen (§ 10a Abs 4 und 5 RAO) fristgerecht zu beantworten (§ 23 Abs 6 RAO iVm § 26 RL‑BA 2015; vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 26 RL‑BA 2015 Rz 5 f). Die Nichtbeantwortung rechtmäßiger – zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Abwicklung übernommener Treuhandschaften ergangener – Anfragen der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer stellt eine Berufspflichtenverletzung dar (RIS‑Justiz RS0055017 [T2 und T3]).

[6] Der Disziplinarrat stellte das Disziplinarverfahren mit der Begründung ein, es könne „nicht festgestellt werden, dass sich der Disziplinarbeschuldigte gegenüber dem Ausschuss nicht geäußert hat“ (BS 4).

[7] Die Beschwerde zeigt im Ergebnis zutreffend auf, dass sich aus der im Beschluss (nur datumsmäßig) angeführten (BS 3) Korrespondenz zwischen der Treuhandeinrichtung und dem Disziplinarbeschuldigten (siehe die entsprechenden Ausdrucke in der Beilage zu ON 1; zum in der Aktenlage gelegenen Beurteilungsgegenstand der Prüfung nach § 28 Abs 3 DSt vgl RIS‑Justiz RS0057005 [T6]) eine (die Fassung eines Einleitungsbeschlusses bedingende) Verdachtslage ableiten lässt, Rechtsanwalt * habe in der Treuhandsache THB * im Zeitraum Mai 2019 bis Oktober 2022 mehrfach auf Aufforderungen der Treuhandeinrichtung, einen geänderten, neu unterschriebenen Kontoverfügungsauftrag zu übermitteln, nicht (fristgerecht) – gegebenenfalls auch durch die Mitteilung der (weiterhin) entgegenstehenden Hindernisse (vgl 27 Ds 7/19i) – reagiert.

[8] Da somit vorerst die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Verfehlung nicht auszuschließen ist und über allfällige Zweifel an der disziplinären Verantwortlichkeit des Disziplinarbeschuldigten nur in einer mündlichen Disziplinarverhandlung entschieden werden kann (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 28 DSt Rz 10; RIS‑Justiz RS0110142, RS0057005), war der Einstellungsbeschluss nach § 28 Abs 3 DSt unzulässig (RIS‑Justiz RS0056969).

[9] Demnach war der angefochtene Beschluss in Stattgebung der Beschwerde und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – jedoch entgegen der Äußerung des Disziplinarbeschuldigten – wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

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