European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E122938
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Parteien haben am 24. 12. 1983 in Bosnien‑Herzegowina die Ehe geschlossen. Die Klägerin ist bosnische Staatsbürgerin; der Beklagte ist jedenfalls seit 2002 Österreicher. Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Gemeindegerichts B* vom 7. 7. 2015 nach bosnischem Recht geschieden. Diese Entscheidung ist seit 10. 8. 2015 rechtskräftig. Sie enthält keinen Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung.
Die Klägerin brachte am 12. 12. 2016 eine Klage auf Unterhalt gegen den Beklagten ein, die sie primär auf § 66 EheG, in eventu auf §§ 68, 69 Abs 3 EheG stützt. Das Verfahren über den Unterhalt wurde mit Beschluss vom 26. 1. 2017 unterbrochen.
Mit der vorliegenden, am 5. 7. 2017 eingebrachten, Klage begehrt die Klägerin die Ergänzung des bosnischen Scheidungsurteils durch den Ausspruch, dass den Beklagten das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Der Beklagte habe durch sein Verhalten die Ehe so tiefgreifend zerrüttet, dass sie durch das bosnische Gemeindegericht geschieden werden habe müssen. Er habe sie während der gesamten Ehe gedemütigt, indem er Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten und sie während der Ehe physisch misshandelt habe.
Der Beklagte berief sich im zweiten Rechtsgang auf die Ausschlussfrist des § 57 Abs 1 EheG und wendete ein, dass das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe die Klägerin treffe, weil sie ihren ehelichen Fürsorge‑ und Beistandspflichten nach der Geburt der gemeinsamen Söhne nicht mehr nachgekommen sei. Allenfalls liege gleichteiliges Verschulden vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf Feststellungen zu den Gründen für die Zerrüttung der Ehe, insbesondere zu den ehewidrigen Beziehungen des Beklagten, und folgerte rechtlich, dass keine Versagungsgründe gemäß § 97 Abs 2 AußStrG vorlägen, weswegen das Urteil des bosnischen Gemeindegerichts anzuerkennen sei. Dieses enthalte zwar keinen Verschuldensausspruch; ausgehend von der bereits im ersten Rechtsgang geäußerten Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Frist für die Klage auf Ergänzung des ausländischen Scheidungstitels mit dessen Rechtskraft zu laufen beginne, sei das Begehren der Klägerin jedoch verfristet.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge. Seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs SZ 25/331 werde die Möglichkeit einer (nachträglichen) „Ergänzung des Verschuldensausspruchs“ einer mit rechtskräftigem Urteil geschiedenen Ehe grundsätzlich bejaht. Wenn ein ausländisches Gericht die Ehe wegen Getrenntlebens der Ehegatten ohne Verschuldensausspruch geschieden habe, könne daher in Österreich ein solcher Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nachgetragen werden. Der Oberste Gerichtshof habe in Entscheidungen, die jeweils vor dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz 2001 (KindRÄG 2001) ergangen seien, ausgeführt, dass die Sechsmonatsfrist des § 57 Abs 1 EheG auch für solche Ergänzungsklagen zu beachten sei, die (spätestens) mit der österreichischen Anerkennung des ausländischen Scheidungsurteils zu laufen beginne. Da zwischenstaatliche Vereinbarungen mit den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens im Hinblick auf gerichtliche Entscheidungen in Ehescheidungsverfahren fehlten, sei für die Beurteilung der Anerkennung des bosnischen Scheidungsurteils § 97 Abs 1 AußStrG heranzuziehen. Anerkennungsverweigerungsgründe würden unstrittig nicht vorliegen, sodass das Erstgericht die Anerkennungsfähigkeit zutreffend inzident bejaht habe. Da ein förmliches Verfahren zur Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils nach geltender Rechtslage nicht mehr vorgesehen sei, beginne die Frist des § 57 Abs 1 EheG mit Rechtskraft des ausländischen Scheidungsurteils zu laufen. Eine Hemmung dieser Frist nach § 57 Abs 1 dritter Satz EheG, weil die häusliche Gemeinschaft nicht aufgehoben sei, komme nach Scheidung der Ehe nicht mehr in Betracht. Das Begehren der Klägerin sei daher verfristet.
Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ab welchem Zeitpunkt die Frist des § 57 Abs 1 EheG bei einer inzidenten Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Scheidungsurteils zu laufen beginne.
Die vom Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Ein zur Entscheidung über eine Scheidungsfolge angerufenes inländisches Gericht hat die maßgebliche Rechtsordnung zu ermitteln (RIS‑Justiz RS0077266). Die gesonderte Entscheidung über die Verschuldensfrage richtet sich dabei nach dem Scheidungsstatut (RIS‑Justiz RS0077266 [T1]). Im Revisionsverfahren wird zu Recht nicht in Frage gestellt, dass nach Art 8 der hier anzuwendenden Verordnung (EU) Nr 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 (Rom III‑VO), die insoweit § 20 IPRG verdrängt, österreichisches Recht zur Anwendung gelangt.
2. In der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0057050) und Lehre (Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 61 EheG Rz 5; Eichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 61 EheG Rz 12; Koch in KBB5 § 61 EheG Rz 4) ist anerkannt, dass dann, wenn ein ausländisches Gericht die Ehe aus einer dem § 55 Abs 3 EheG entsprechenden Norm einer ausländischen Rechtsordnung ohne Verschuldensausspruch geschieden hat, ein Rechtsschutzanspruch auf eine Entscheidung nach § 61 Abs 3 EheG besteht. Auf Antrag ist das rechtskräftige Urteil eines anderen Staats (nachträglich) durch einen Verschuldensausspruch zu ergänzen (7 Ob 116/12b).
3. Im Recht Bosnien‑Herzegowinas gilt für die Ehescheidung das Zerrüttungsprinzip. Die Scheidung erfolgt entweder auf Klage eines Ehegatten oder aber auf gemeinsamen Antrag beider Teile (Jessel‑Holst in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe‑ und Kindschaftsrecht, Bosnien und Herzegowina, 45). Unstrittig ist, dass das Scheidungsverfahren vor dem bosnischen Gemeindegericht über Klage des Beklagten eingeleitet worden ist; die Scheidung der Klägerin erfolgte gegen ihren Willen, wobei der Beklagte seinen Klagebehauptungen die bereits seit längerem andauernde Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zugrunde legte. Zu Recht ist damit im Revisionsverfahren nicht mehr fraglich, dass die Ehe der Streitteile aus einem dem § 55 EheG vergleichbaren Tatbestand geschieden wurde.
4.1 Nach der Rechtsprechung ist die Sechsmonatsfrist des § 57 Abs 1 EheG auch im Fall des Nachtrags eines Verschuldensausspruchs nach § 61 Abs 3 EheG in Ergänzung eines ausländischen Scheidungserkenntnisses zu beachten (RIS‑Justiz RS0057271).
4.2 Dazu wurde judiziert, dass diese Frist spätestens mit der österreichischen Anerkennung des ausländischen Scheidungsurteils zu laufen beginnt (2 Ob 521/95 = SZ 68/57). Diese Judikatur basierte auf der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des KindRÄG 2001, die ein obligatorisches Verfahren zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den ehelichen Status durch das Bundesministerium für Justiz vorsah. Dem lag zugrunde, dass die ausländische Entscheidung jene Wirkungen, die das inländische Sachrecht an die formelle Rechtskraft anknüpft, erst mit Eintritt der Rechtskraft der Anerkennungsentscheidung entfaltete; demzufolge traten die an die formelle Rechtskraft der ausländischen Ehescheidung angeknüpften inländischen Rechtswirkungen erst nach Zustellung der stattgebenden inländischen Anerkennungsentscheidung ein (1 Ob 544/93 [zum Beginn der Präklusivfrist des § 95 EheG]).
4.3 Mit dem KindRÄG 2001 wurden die Bestimmungen über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe in das Außerstreitgesetz 1854 eingefügt und damit die Verfahrensvorschriften an jene der vorher in Kraft getretenen Brüssel II‑VO angeglichen, ohne jedoch die in dieser Verordnung vorgesehene Inzidentanerkennung zu ermöglichen (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97 bis 100 AußStrG Rz 1). Nunmehr sieht § 97 Abs 1 Satz 2 AußStrG idgF auch außerhalb des Geltungsbereichs von EG‑Verordnungen eine Anerkennung inzidenter, also ohne Durchführung eines selbstständigen Verfahrens, vor (Fuchs aaO §§ 97 bis 100 AußStrG Rz 1; Deixler‑Hübner in Rechberger, AußStrG2 § 97 Rz 1; Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht § 97 AußStrG Rz 2). Entgegen der Rechtslage nach dem Außerstreitgesetz 1854 ist für die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen über den Bestand einer Ehe kein obligatorisches Verfahren mehr vorgesehen.
5. Anerkennung bedeutet die Erstreckung der Wirkungen, die der Entscheidung im Ursprungsland zukommen, auf den Anerkennungsstaat. Nach dem Grundsatz der „automatischen Anerkennung“ entfalten ausländische Entscheidungen ihre Wirkungen in Österreich grundsätzlich kraft Gesetzes und ohne besonderen Anerkennungsakt schon dann, wenn die nach § 97 AußStrG (oder nach einem allenfalls anwendbaren internationalen Rechtsakt) zu beurteilenden Voraussetzungen für eine Anerkennung vorliegen (Neumayr in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/ Schmaranzer, Internationales Zivilverfahrensrecht § 97 AußStrG Rz 17). Die (prozessualen) Wirkungen der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über den ehelichen Status treten daher nicht (mehr) erst mit Rechtskraft einer inländischen Entscheidung auf Anerkennung, sondern bereits mit der Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung selbst ein, sofern die Voraussetzungen für die Anerkennung bereits zu diesem Zeitpunkt vorliegen, also keine Versagungsgründe gegeben sind (Fuchs aaO Rz 13; Deixler‑Hübner aaO Rz 1; vgl auch Nademleinsky aaO Rz 1).
6. Im Revisionsverfahren ist zu Recht nicht strittig, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsurteils des bosnischen Gemeindegerichts gemäß § 97 AußStrG vorliegen, weil keine der in § 97 Abs 2 AußStrG genannten Versagungsgründe gegeben sind. Die Gleichstellung dieser Entscheidung mit einer gleichartigen inländischen Entscheidung über die Ehescheidung erfolgte damit kraft Gesetzes bereits mit ihrer Rechtskraft.
7. Für die Frist des § 95 EheG galt nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des KindRÄG 2001, dass sie bei einer im Ausland ergangenen Entscheidung über die Ehescheidung erst mit Rechtskraft der Anerkennungsentscheidung in Gang gesetzt wurde, weil diese erst mit Anerkennung jene Wirkungen entfaltete, die das inländische Sachrecht an die Rechtskraft knüpft (vgl 1 Ob 544/93). Bereits in der Entscheidung zu 1 Ob 17/05i hat der Oberste Gerichtshof – wenngleich noch ohne unmittelbare Bedeutung für das Verfahrensergebnis – aber zu erkennen gegeben, dass im Fall einer Inzidentanerkennung – alsodem Fehlen eines zwingenden förmlichen Anerkennungsverfahrens – diese Frist mit der Rechtskraft der ausländischen Entscheidung in Gang gesetzt wird. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften gilt danach gemäß § 97 Abs 1 AußStrG idgF nichts anderes, weil die ausländische Entscheidung gleichfalls (inzidenter) anerkannt wird, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf, falls ein Grund zur Verweigerung der Anerkennung nicht vorliegt. Wird eine Ehe im Ausland geschieden, beginnt die Präklusivfrist für ein in Österreich durchzuführendes Aufteilungsverfahren daher bereits ab Eintritt der formellen Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung auf Ehescheidung und nicht erst ab jener der (fakultativen: § 98 AußStrG) Entscheidung auf Anerkennung zu laufen (Fuchs aaO Rz 15; Deixler‑Hübner aaO Vor § 97 AußStrG Rz 2).
8.1 Ein Bedürfnis nach einer Ergänzung durch einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG besteht nur dann, wenn der nacheheliche Unterhalt nach Kollisionsrecht einem – etwa dem österreichischen – Sachrecht unterliegt, das den Unterhalt maßgeblich mit dem Verschulden an der Zerrüttung verknüpft. Die Frist des § 57 Abs 1 EheG ist – wie jene des § 95 EheG – eine Präklusivfrist (Koch aaO § 57 EheG Rz 1; Stabentheiner aaO § 57 EheG Rz 1) und kommt – wie dargestellt – auch bei Klagen auf Ergänzung des Verschuldensausspruchs nach § 61 Abs 3 EheG zum Tragen, wenn ein ausländisches Gericht die Ehe ohne Verschuldensausspruch geschieden hat. Die Statuierung einer derart kurzen Frist, die grundsätzlich mit der Kenntnis des Scheidungsgrundes zu laufen beginnt, bringt unter anderem zum Ausdruck, dass dem Gesetzgeber an einer möglichst raschen Klärung der Verschuldensfrage (und damit zugleich gewissen unterhaltsrechtlichen Fragen) gelegen ist. Liegen– wie im vorliegenden Fall – keine Gründe für die Versagung der Anerkennung der ausländischen Entscheidung über die Ehescheidung vor, erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit daher geboten, bei einer Klage auf Ergänzung des Verschuldensausspruchs den Beginn der sinngemäß anzuwendenden Frist des § 57 Abs 1 EheG – wie jenen für den Antrag auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse – an die formelle Rechtskraft der ausländischen Eheauflösungsentscheidung zu knüpfen. Da die Anerkennung als Vorfrage selbständig und ohne Bindungswirkung für ein späteres Verfahren zu beurteilen ist (Neumayr aaO Rz 17), läge es sonst im Belieben der Partei durch eine späte Antragstellung diese Frist auf unbestimmte Zeit zu verlängern und die Verschuldensfrage auch noch Jahre nach Auflösung der Ehe zum Gegenstand eines Verfahrens zu machen.
8.3 In Fortschreibung der Erwägungen in der Entscheidung zu 1 Ob 17/05i ist damit als Ergebnis festzuhalten, dass auch im Fall einer Klage auf Ergänzung des Verschuldensausspruchs nach § 61 Abs 3 EheG die kurze Präklusivfrist mit Rechtskraft der ausländischen Eheauflösungsentscheidung zu laufen beginnt, falls ein Grund zur Verweigerung der Anerkennung nicht vorliegt. Das Urteil des bosnischen Gemeindegerichts ist mit 10. 8. 2015 in Rechtskraft erwachsen, womit die Frist des § 57 Abs 1 EheG in Gang gesetzt wurde, sodass das Begehren der Klägerin verfristet ist. Der Revision ist damit ein Erfolg zu versagen.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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