Normen
JN §7a
ZPO §477 Abs1 Z2
ZPO §503 Z1
JN §7a
ZPO §477 Abs1 Z2
ZPO §503 Z1
Spruch:
Die Einigung der Parteien auf den Einzelrichter (§ 7a Abs. 4 JN.) muß spätestens bis zum Beginn der mündlichen Streitverhandlung dem Gerichte nachgewiesen werden.
Eine erst im Laufe der fortgesetzten mündlichen Streitverhandlung nachgewiesene Einigung der Parteien auf den Einzelrichter ist ungültig.
Entscheidung vom 22. Dezember 1954, 1 Ob 943/54.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
In der am 9. Dezember 1952 beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten den Ersatz des ihr angeblich aus einer Vertragsverletzung des Beklagten erwachsenen Schadens in der Höhe des Gegenwerts von 9000 US-Dollar (234.000 S). Gemäß § 7 Abs. 1 JN. schritt beim Erstgericht in den Streitverhandlungen vom 16. April und 29. Oktober 1953 der Handelssenat ein. Bei der Streitverhandlung vom 21. Jänner 1954 erklärten die Parteien, sich auf den Senatsvorsitzenden als Einzelrichter zu einigen (§ 7a Abs. 4 JN.). Von dieser Streitverhandlung an verhandelte nicht mehr der Senat, sondern der Einzelrichter. Dieser fällte auch das Zwischenurteil, mit dem er den Klagsanspruch als dem Grund nach zu Recht bestehend erkannte.
Aus Anlaß der vom Beklagten erhobenen Berufung gegen das Zwischenurteil hob es das Oberlandesgericht Wien ebenso wie das vorangegangene Verfahren des Erstgerichtes bis einschließlich der Streitverhandlung vom 21. Jänner 1954 als nichtig auf und verwies die Rechtssache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Das Verfahren erster Instanz sei vor dem Senat begonnen und vom Einzelrichter fortgesetzt und mit Zwischenurteil abgeschlossen worden. Hiezu gebe das Gesetz keine Handhabe. Insbesondere sei es nicht zulässig, während des Verfahrens Senatssachen durch Vereinbarung der Parteien vor den Einzelrichter des Gerichtshofes zu bringen. Sei es, wie im vorliegenden Falle, doch geschehen, so sei das im weiteren Verfahren nur durch einen Einzelrichter des Gerichtshofes judizierende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt und das von ihm durchgeführte Verfahren und das von ihm gefällte Urteil nichtig (§ 477 Abs. 1 Z. 2 ZPO.).
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin vertritt die Meinung, daß der in erster Instanz nach dem Beginn der mündlichen Streitverhandlung vorgenommene Besetzungswechsel vom Senat auf den Einzelrichter möglicherweise einen prozessualen Verstoß darstelle, daß daraus aber noch keineswegs die Nichtigkeit des vom Mangel betroffenen Verfahrens folgen müsse. Das Berufungsgericht habe die Bestimmung des § 7a Abs. 4 JN. übersehen, wonach die Parteien berechtigt seien, sich auf den Einzelrichter zu einigen, wenn auch der Senat an sich zuständig wäre. Der Mangel der Vereinbarung sei nur dann zu beachten, wenn ihn die Parteien geltend machten, bevor sie sich in die Verhandlung zur Hauptsache eingelassen hätten. Es könne nicht angenommen werden, daß derselbe Gesetzgeber, der über das Fehlen einer Vereinbarung hinwegsehe, wenn dies die Parteien wollten, beim Vorhandensein einer Vereinbarung Nichtigkeit hätte eintreten lassen wollen, bloß weil die Vereinbarung nicht im gehörigen Zeitpunkt geschlossen worden sei.
Der Oberste Gerichtshof vermag der Argumentation der Rekurswerberin nicht beizutreten. So wie in Fragen der sachlichen Zuständigkeit der beim Beginn des Verfahrens maßgebende Sachverhalt entscheidet und für das weitere Verfahren maßgebend bleibt (§ 29 JN.), gilt dies auch für die Frage der Besetzung des Gerichtshofes erster Instanz (§ 60 Abs. 4 JN.). Dies ergibt sich auch aus § 7a Abs. 1 JN., wo die Senats- und die Einzelrichtergerichtsbarkeit in der Weise abgegrenzt wird, daß der Wert des Streitgegenstandes entscheidet, wie er sich spätestens am Beginn der mündlichen Streitverhandlung ergeben hat. Dabei ist unter der mündlichen Streitverhandlung nicht die einzelne Tagsatzung, sondern die einheitliche, sich über mehrere Tagsatzungen erstreckende Verhandlungstätigkeit zu verstehen. Für die Gerichtsbesetzung ausschlaggebend ist daher der Wert des Streitgegenstandes am Beginn des ersten Termins zur mündlichen Streitverhandlung.
So wie nach § 104 JN. die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen die Zuständigkeit eines an sich nicht zuständigen Gerichtes am Beginn des Verfahrens vereinbaren können, sind sie nach § 7a Abs. 4 JN. auch befugt, bei Vermögensstreitigkeiten mit einem Streitwert von über 100.000 S, für deren Entscheidung an sich der Senat berufen wäre, zu vereinbaren, daß die Sache vom Einzelrichter entschieden werde. Auch die die Zuständigkeit und die Gerichtsbesetzung beeinflussenden Parteienvereinbarungen sind an den Beginn des Verfahrens gestellt, damit der Grundsatz, daß der zu diesem Zeitpunkt für die Zuständigkeit und die Besetzung des Gerichtes maßgebende Sachverhalt für das weitere Verfahren von Bedeutung bleibt, nicht durchbrochen wird. Aus diesem Grund muß die Einigung der Parteien auf den Einzelrichter spätestens bis zum Beginn der mündlichen Streitverhandlung im oben angedeuteten Sinn dem Gerichte nachgewiesen werden. Spätere derartige Abmachungen sind nicht zulässig (so auch Pollak, System[2], S. 216, III, am Ende, und S. 217, vorletzter Absatz, Hermann, Die Zivilprozeßnovelle 1923, S. 104 unten). Während Einzelrichtervereinbarungen, die bis zum Beginn der mündlichen Streitverhandlung behauptet, aber nicht ordnungsgemäß nachgewiesen worden sind, durch das Stillschweigen der Parteien ersetzt werden können (vgl. OGH.-E. v. 14. November 1928, SZ. X/324) gilt dies von derartigen Abmachungen, die von vornherein wegen Verspätung oder aus einem sonstigen Gründe (OGH.-E. v. 28. November 1923, SZ. V/282) unzulässig sind, nicht. Daß der Gesetzgeber bei der Fassung des letzten Satzes des § 7a Abs. 4 JN. nur an Vereinbarungen gedacht hat, die ordnungsmäßig am Beginn des Verfahrens geltend gemacht wurden, ergibt sich daraus, daß der Mangel in der Besetzung des Gerichtes nur zu beachten ist, wenn die Parteien ihn geltend machen, bevor sie sich in die Verhandlung zur Hauptsache einlassen. Für den unzulässigen Fall, daß eine Einzelrichtervereinbarung erst im Laufe des vom Senat abgewickelten Verfahrens nachgewiesen wird, sieht das Gesetz eine Heilung des Besetzungsmangels durch Unterbleiben der Rüge einer Partei nicht vor. Es kann nicht gesagt werden, daß deshalb, weil das Fehlen einer Vereinbarung vom Gesetz bei Stillschweigen der Parteien als nicht relevant angesehen wird, unter gleichen Voraussetzungen umsomehr die gesetzwidrige Verspätung der zustande gekommenen Vereinbarung als saniert zu gelten habe. Denn im einen Fall genehmigen die Parteien durch ihr Stillschweigen eine vom Gesetzgeber ihnen zur Disposition gestellte Möglichkeit, die Besetzung des Gerichtes vom Beginn des Verfahrens an zu beeinflussen und damit zur Vereinfachung des gesamten Verfahrens beizutragen. Im anderen Falle hingegen würde der Parteienverfügung der Wechsel vom Senat zum Einzelrichter während des Verfahrens eingeräumt werden, was sogar der ausdrücklichen Vereinbarung entzogen ist und überdies der Prozeßökonomie widerspräche, weil die Senatsmitglieder mit der Sache bereits befaßt wurden.
Im vorliegenden Fall haben sich die Parteien erst in der dritten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung auf den Einzelrichter geeinigt. Diese Vereinbarung widersprach dem Gesetz und hatte die gesetzwidrige Besetzung des Erstgerichtes in der vorliegenden Senatssache mit einem Einzelrichter zur Folge. Der Mangel konnte nach § 7a Abs. 4 JN. durch die Unterlassung der Parteienrüge nicht behoben werden, sondern stellt, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z. 2 ZPO. dar, der von Amts wegen aufgegriffen werden konnte und zur Nichtigerklärung des erstgerichtlichen Urteils und des vorangegangenen Verfahrens, beginnend von der Verhandlung vom 21. Jänner 1954, führen mußte.
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