OGH 1Ob94/21m

OGH1Ob94/21m22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L*****, geboren am ***** 2009 und der mj S*****, geboren am ***** 2014, beide *****, über den Revisionsrekurs der Mutter M*****, vertreten durch Mag. Daniel Liemberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. März 2021, GZ 42 R 471/20f‑105, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 19. November 2020, GZ 2 Ps 169/18h‑96, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00094.21M.0622.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Es besteht kein genereller Grundsatz, dass in einem Obsorge‑ bzw Kontaktrechtsverfahren stets ein Sachverständiger beizuziehen wäre (RIS‑Justiz RS0006319 [T7]). Dem Pflegschaftsrichter kommt vielmehr ein Beweisaufnahmeermessen zu (RS0006319 [T2]; RS0006272 [T3]). Gelangen die Vorinstanzen – wie hier – zum Ergebnis, dass die Stellungnahme der Familiengerichtshilfe im Zusammenhang mit den anderen Beweismitteln (im vorliegenden Fall der persönlichen Anhörung der Kinder sowie der Eltern) eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bildet, ist die Frage, ob im Einzelfall zusätzlich ein Sachverständigengutachten erforderlich gewesen wäre, als eine den Tatsacheninstanzen obliegende Frage vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (vgl RS0007236 [T9]; RS0108449 [T4]; RS0115719 [T10]).

[2] 2.1. Die Rechtsrüge lässt nicht klar erkennen, inwieweit sich die Mutter durch den angefochtenen Beschluss beschwert erachtet. Soweit ausgesprochen wurde, dass die Obsorge den Eltern weiterhin gemeinsam zukommt (was nach dem KindNamRÄG 2013 die Regel sein soll; vgl RS0128811), ist anzumerken, dass zuletzt weder die Mutter noch der Vater die Betrauung mit der alleinigen Obsorge beantragt hatten. Bei Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge und – wie hier – fehlender Vereinbarung, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird, ist dies vom Gericht festzulegen (RS0120492 [T11]), was regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft, solange auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird (RS0115719 [T14]).

[3] 2.2. Dass die hauptsächliche Betreuung im Haushalt des Vaters dem Kindeswohl widerspräche und den Vorinstanzen insoweit eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf.

[4] Sie übergeht, dass sich aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt eine ausreichende Erziehungsfähigkeit des Vaters ergibt und die Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse der Kinder auch in seinem Haushalt gewährleistet ist. Beide Elternteile vermögen aber ihre Handlungen – vor allem im Hinblick auf die zwischen ihnen bestehenden Konflikte – nur beschränkt zu reflektieren und die Bedürfnisse der Kinder nach (diesbezüglichem) Verständnis und Wertschätzung nur eingeschränkt zu erkennen; beide belasten die ältere Tochter außerdem durch Loyalitätskonflikte. Damit findet die Behauptung der Revisionsrekurswerberin, sie könne die Pflege und Erziehung der Kinder wesentlich besser wahrnehmen als der Vater und dieser sei „aufgrund seiner Persönlichkeit“ dazu nicht in der Lage, aber keine Deckung in den erstinstanzlichen Feststellungen.

[5] Dass die Kinder auch durch die mit dem Vater im gemeinsamen Haushalt wohnende Großmutter betreut werden, spricht nicht gegen eine hauptsächliche Betreuung durch diesen. Warum eine weitere familiäre Bezugsperson dem Kindeswohl abträglich sein und nicht vielmehr zur Stabilität der Familiensituation beitragen sollte, erschließt sich nicht und wird von der Revisionsrekurswerberin auch nicht näher dargelegt.

[6] Dem Argument der Mutter, die Kinder hätten den Wunsch geäußert, hauptsächlich von ihr betreut zu werden, ist entgegenzuhalten, dass sie in ihrem Rechtsmittel selbst davon ausgeht, dass ein solcher Wunsch nicht klar feststellbar war. Tatsächlich äußerte die ältere Tochter nur einmal (schriftlich) den Wunsch, bei der Mutter leben zu wollen, wobei sie dies (dem Vater gegenüber) damit erklärte, dass sich die Mutter dies wünsche. Vor Gericht sprach sie diesen Wunsch nicht mehr an, sondern schilderte die Lebenssituation bei beiden Elternteilen „neutral und gleichwertig“ und gab an, dass ihr „nichts dazu einfalle, was sie an ihrer aktuellen Situation [also der hauptsächlichen Betreuung durch den Vater] ändern wolle“. Das jüngere Kind ließ nach den Feststellungen keinen klaren Wunsch nach der hauptsächlichen Betreuung durch den einen oder anderen Elternteil erkennen. Dies wird von der Revisionsrekurswerberin ebenso übergangen, wie das Argument des Rekursgerichts, dass auch der Kontinuität der Betreuung Bedeutung zukomme (vgl RS0047928 [etwa T16]). Sie zeigt daher auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[7] 3. Zum Kontaktrecht der Mutter sowie zu der ihr (sowie dem Vater) aufgetragenen Eltern‑ bzw Erziehungsberatung enthält der Revisionsrekurs keine Ausführungen.

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