OGH 1Ob811/52

OGH1Ob811/528.10.1952

SZ 25/258

Normen

ABGB §879
ABGB §1444
EheG §56
ABGB §879
ABGB §1444
EheG §56

 

Spruch:

Eine Vereinbarung der Ehegatten, wonach der eine Teil bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses auf die Einbringung der Scheidungsklage verzichtet, ist möglich und rechtswirksam, sofern diese Vereinbarung nicht dem Wesen der Ehe widerspricht oder den guten Sitten widerstreitet.

Entscheidung vom 8. Oktober 1952, 1 Ob 811/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht hat die auf § 55 EheG. gestützte Scheidungsklage, gegen die die beklagte Partei Widerspruch erhoben hat, abgewiesen.

Es wurde folgender Sachverhalt als erwiesen angenommen:

Die Streitteile haben am 26. Mai 1948 die Ehe geschlossen. Schon am 22. November 1948 brachte der Kläger zu 5 Cg 614/48 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien gegen die Beklagte eine Scheidungsklage nach § 49 EheG. ein, die darauf gestützt wurde, daß die Streitteile infolge geschlechtlicher Unerfahrenheit und Unberührtheit nicht imstande seien, den normalen Geschlechtsverkehr durchzuführen.

Das Erstgericht hat dieses Klagebegehren abgewiesen, da wenn auch die Streitteile trotz ihrer normalen und gesunden Veranlagung bisher nicht imstande waren, den Geschlechtsverkehr durchzuführen, die Beklagte dem Kläger aus diesem Umstand keinen Vorwurf gemacht und überhaupt keine Eheverfehlungen gesetzt habe.

Bevor noch die klagende Partei die gegen dieses Urteil erhobene Berufung zurückzog, kam zwischen den Streitteilen im April 1950 eine Vereinbarung zustande, wonach der Kläger solange auf sein Recht, eine Scheidungsklage einzubringen, verzichtet, bis die Ehe von dem kirchlichen Ehegerichte aufgelöst sei.

Eine Anfrage an das Metropolitan- und Diözesangericht Wien hat ergeben, daß die Beklagte eine Ehenichtigkeitsklage eingebracht hat, über die noch nicht entschieden wurde. Seit 7. August 1948 hat der Kläger mit dem Willen, nicht mehr zur Beklagten zurückzukehren, die häusliche Gemeinschaft aufgehoben und wurde diese bisher auch nicht wieder aufgenommen.

Die Beklagte ist mit der Scheidung einverstanden, aber erst in dem Zeitpunkt, in dem das kirchliche Verfahren beendet sein wird.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht folgendes aus: Wenn auch die häusliche Gemeinschaft mehr als drei Jahre aufgehoben sei und daher die Voraussetzungen für eine Scheidung nach § 55 EheG. gegeben wären, so könne ein solcher Ausspruch mit Rücksicht auf die Vereinbarung der Streitteile vom April 1950 nicht erfolgen. Die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Vereinbarung, wonach der Kläger darauf verzichtete, eine Scheidungsklage einzubringen, bis die kirchlichen Gerichte die Ehe aufgelöst haben, sei verbindlich und beachtlich. Genau so wie die Ehegatten in einem anhängigen Prozeß Ruhen des Verfahrens vereinbaren können, müsse den Ehegatten das Recht zugebilligt werden, eine rechtsgültige Vereinbarung zu treffen, wonach ein Teil für eine bestimmte Zeit auf die Einleitung eines Scheidungsprozesses verzichtet. Da aber dieser Prozeß von den kirchlichen Behörden noch nicht entschieden sei, habe der Kläger nicht das Recht, derzeit schon eine Scheidungsklage einzubringen.

Der Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht unter Rechtskraftvorbehalt zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht stellte sich auf den Standpunkt, daß die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung, eine Scheidungsklage nicht früher einbringen zu dürfen, bevor das Eheband kirchlich nicht aufgelöst ist, unverbindlich sei, weil es im Belieben des einen Ehegatten stehe, eine solche Klage vor dem kirchlichen Gericht einzubringen oder fortzusetzen und weil es überdies völlig ungewiß sei, ob durch das kirchliche Gericht die Ehe tatsächlich aufgelöst werden wird. Wäre dies nicht der Fall, so käme das Versprechen, vor der kirchlichen Auflösung der Ehe keine Scheidungsklage einzubringen, einem dauernden Verzicht gleich, was nach bürgerlichem Recht im Hinblick auf die Unverzichtbarkeit der Persönlichkeitsrechte unzulässig erscheine.

Im übrigen hat das Berufungsgericht das angefochtene Urteil gemäß § 496 Z. 2 ZPO. aufgehoben, da über die Frage, ob der Kläger die Zerrüttung der Ehe ganz oder überwiegend verschuldet habe bzw. der erhobene Widerspruch zulässig und beachtlich sei, nähere Feststellungen nicht vorgenommen worden seien.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Verhandlung und Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Ehegesetz kennt zwei Gruppen von Ausschließungsgrunden der Scheidung, nämlich, daß ein Eheteil die Verfehlung des anderen Teiles verziehen oder sie nicht als ehezerstörend empfunden hat, anderseits den Fristenablauf.

Neben diesen Scheidungsausschließungsgrunden wird sowohl in der Lehre (Volkmar - Antoni, Ehegesetz S. 211; Godin, Ehegesetz S. 250 ff.; Hoffmann - Stephan, Ehegesetz S. 242) wie auch in der Rechtsprechung (RG., Höchstrichterliche Rechtsprechung 1942, Nr. 751) der Verzicht auf einen Scheidungsanspruch als weiterer Ausschließungsgrund anerkannt. Denn der Scheidungsanspruch ist ein materiellrechtlicher Anspruch, woraus folgt, daß auch auf diesen Anspruch verzichtet werden kann.

Der Verzicht unterscheidet sich von der Verzeihung dadurch, daß der verzichtende Ehegatte im Gegensatz zum verzeihenden nicht willen sein muß, die Eheverfehlungen nicht mehr als solche zu behandeln und die Ehe fortzusetzen. Deshalb liegt wohl in jeder Verzeihung ein Verzicht auf das Scheidungsrecht, nicht aber in jedem Verzicht eine Verzeihung.

Der Verzicht ist ein reiner Willensvorgang oder eine Willenserklärung, die unabhängig vom Willen des anderen Teiles abgegeben wird, aber auch den Gegenstand eines Vertrages zwischen den Parteien bilden kann.

Ist der Verzicht auf Grund einer Vereinbarung der Ehegatten möglich, dann sind auf diesen Vertrag alle Vorschriften über Verträge und Willenserklärungen anwendbar. Die materiellrechtliche Wirkung eines derartigen Verzichtes besteht darin, daß der Scheidungsanspruch im Rahmen des Verzichtes verloren geht und dieser Verlust des Anspruches auch vom Gegner im Prozeß eingewendet werden kann.

In der Lehre, der sich auch der Oberste Gerichtshof anschließt, ist der erklärte Verzicht hinsichtlich aller Scheidungstatbestände möglich und findet nur dort seine Grenze, wo er nach seinem Inhalt und den Begleitumständen dem Wesen der Ehe widerspricht oder den guten Sitten widerstreitet (Hoffmann - Stephan, S. 242; RGR. Komm.,

4. Band, S. 355; RG. vom 8. Juli 1942, IV B 20/42; ZBl. 1929 Nr. 136).

Steht auf Grund dieser Ausführungen fest, daß auf einen bestimmten Scheidungsgrund oder auf den Scheidungsanspruch überhaupt verzichtet werden kann, so ist auch eine Vereinbarung der Parteien, daß der eine Teil bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses auf die Einbringung der Scheidungsklage verzichtet, möglich und kommt dieser Vereinbarung Rechtswirksamkeit zu, vorausgesetzt, daß diese vertragliche Vereinbarung nicht dem Wesen der Ehe widerspricht oder den guten Sitten widerstreitet.

Wird von diesen Grundsätzen ausgegangen, so erweist sich das bisherige Verfahren insofern als mangelhaft, als nur festgestellt wurde, daß der Kläger auf die Einbringung einer Scheidungsklage verzichtet, bis die Ehe auf Grund eines kirchlichen Erkenntnisses aufgelöst werde, aber nicht geklärt worden ist, ob und welche Vereinbarung die Parteien für den Fall getroffen haben, daß das kirchliche Gericht die Nichtigerklärung der Ehe nicht aussprechen sollte. Diese Feststellung ist aber für die Beurteilung des Umstandes, ob die Parteienvereinbarung dem Wesen der Ehe widerstreitet oder gegen die guten Sitten verstößt, nötig, zumal die beklagte Partei im bisherigen Verfahren immer behauptet hat, daß mit dem Verzicht des Klägers nur dessen Scheidungsbegehren auf eine bestimmte Zeit, nämlich bis zur Beendigung des kirchlichen Rechtstreites, hinausgeschoben werden sollte, während nach kirchlicher Nichtigerklärung der Ehe der Klagseinbringung kein Hindernis im Wege stehe.

Wenn das Beweisverfahren die Richtigkeit dieser Behauptung ergeben sollte, dann wäre das Klagebegehren abzuweisen, da in diesem Falle der Kläger auf die Geltendmachung seines Scheidungsgrundes bis zum Eintritt des Ereignisses, nämlich der Beendigung des kirchlichen Prozeßverfahrens, wirksam verzichtet hätte.

Es war daher dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

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