Spruch:
Die Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums ist auch dann möglich, wenn die Aufhebung des Vertrages nach § 932 ABGB, weil der Mangel behebbar ist, ausgeschlossen ist.
Stimmt die im Typenschein eines Kraftfahrzeuges eingetragene Motornummer mit der am Motor angebrachten nicht überein und kann der Verkäufer nicht aufklären, ob der Motortausch im Inland oder im Ausland erfolgte, liegt ein im Hinblick auf § 42 Abs. 2 KFG wesentlicher Irrtum vor
OGH 13. Jänner 1982, 1 Ob 808/81 (LGZ Wien 45 R 469/81; BG Innere Stadt Wien 37 C 928/80)
Text
Der Beklagte verkaufte dem Kläger am 3. April 1980 das Kraftfahrzeug Type Mercedes 220 D/8, Fahrgestell Nr. 11511010023263, Motornummer 615912100021919, "wie besichtigt und probegefahren ohne Garantie und Gewährleistung" zum Preis von 15 500 S. In der von den Streitteilen unterfertigten Verkaufsbestätigung heißt es: "Für die Richtigkeit und Echtheit der Motor- und Fahrgestellnummer sowie der Fahrzeugpapiere haftet der Verkäufer und bestätigt, daß das Fahrzeug sein alleiniges Eigentum ist und von keiner Seite irgendwelche Forderungen an dasselbe bestehen." Bei der ersten Fahrt des Klägers mit dem Fahrzeug am 9. 4. 1980 trat ein Motorschaden auf.
Ursache des Motorausfalles war die Verreibung des Pleuellagers und der Kurbelwelle, besonders im ersten Zylinder. Anläßlich der Besichtigung des Motors stellte der Sachverständige Erich P fest, daß die Motornummer nicht mit der in den Fahrzeugpapieren genannten übereinstimmt. Aus dem Typenschein ergibt sich, daß das Fahrzeug sieben Vorbesitzer hatte; von einem dieser Vorbesitzer wurde der Motor ausgetauscht, der Austausch wurde aber im Typenschein nicht vermerkt. Dem Beklagten war nicht bekannt, daß der Motor ausgetauscht worden war. Für ein verkehrssicheres Fahrzeug dieses Alters ist der vereinbarte Kaufpreis von 15 500 S angemessen.
Mit der am 24. 9. 1980 bei Gericht eingelangten Klage begehrt der Kläger die Bezahlung des Betrages von 15 500 S Zug um Zug gegen Rückstellung des gekauften Kraftfahrzeuges. Der Beklagte habe ausdrücklich die Haftung für die Richtigkeit der Motornummer übernommen; tatsächlich sei im Fahrzeug aber ein anderer Motor eingebaut als aus den Fahrzeugpapieren ersichtlich.
Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben. Der Kaufvertrag werde daher wegen Irrtums angefochten. Weiters liege auch Verletzung über die Hälfte vor. Letztlich werde das Klagebegehren auf Gewährleistung gestützt, weil eine ausdrücklich zugesagte Eigenschaft nicht vorliege.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Über die Motornummer sei im Zuge der Verkaufsverhandlungen nicht gesprochen worden.
Der Beklagte habe das Fahrzeug nach Besichtigung und Probefahrt erworben.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Auf Gewährleistungsansprüche habe der Kläger im Kaufvertrag verzichtet, Verletzung über die Hälfte liege nicht vor, weil der geforderte Kaufpreis dem gemeinen Wert des Fahrzeuges entsprochen habe. Daß die Motornummer nicht mit der im Typenschein eingetragenen übereinstimme, sei für den Kaufentschluß des Klägers nicht entscheidend gewesen. Eine Haftung des Beklagten könne nur zum Tragen kommen, wenn der Kläger tatsächlich bei einem Grenzübertritt Schwierigkeiten gehabt hätte, was nicht zutreffe.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge und änderte das angefochtene Urteil iS der Klagsstattgebung ab. § 30 KFG normiere, daß bei Genehmigung einer Kraftfahrzeugtype der Erzeuger dieser Type verpflichtet sei, für jedes in den Handel gebrachtes Fahrzeug einen Typenschein auszustellen. Der Typenschein sei die Bestätigung, daß ein durch die Fahrgestellnummer, bei Kraftfahrzeugen auch durch die Motornummer bestimmtes Fahrzeug der genehmigten Type entspreche. Gemäß § 37 Abs. 1 lit. a KFG sei die Vorlage des Typenscheines Voraussetzung für die Zulassung, die Motornummer sei gemäß § 41 Abs. 2 lit. e KFG in den Zulassungsschein einzutragen. Wenn in ein Fahrzeug ein anderer Motor derselben Type eingebaut werde, habe der Zulassungsbesitzer die neue Motornummer der Behörde anzuzeigen; die neue Motornummer sei in den Typenschein einzutragen und auch der Zulassungsschein entsprechend zu ändern. Werde diese Änderung unterlassen, mache sich der Besitzer nach § 134 KFG eines Verwaltungsstrafdeliktes schuldig. Für die Neueintragung der Motornummer im Typenschein sei auf Grund interner Dienstanweisung der Zulassungsbehörde Voraussetzung, daß der Zulassungsbesitzer einen Nachweis über den Erwerb des Motors im Inland (Rechnung, Kaufvertrag usw.) erbringe, da nur auf diese Weise sichergestellt werden könne, daß die Maschine ordnungsgemäß verzollt worden sei; sei der Motor im Ausland erworben worden, sei über den Nachweis des Erwerbes hinaus noch eine Bestätigung des Zollamtes vorzulegen, daß der Motor einem entsprechenden Zollverfahren unterzogen worden sei. Der Beklagte habe nach dem Inhalt des Kaufvertrages die Identität der Motornummer mit der im Typenschein eingetragenen ausdrücklich zugesagt. Im Hinblick auf diese Zusage sei der Kläger auch nicht verpflichtet gewesen, eine Kontrolle in dieser Richtung vorzunehmen. Da der Beklagte dem Kläger keinerlei Unterlagen über den Motortausch zur Verfügung stellen könne, sei der Kläger nicht in der Lage, das Fahrzeug ordnungsgemäß anzumelden. Hätte er die Anmeldung auf Grund des Typenscheins und der dort eingetragenen Motornummer vorgenommen, hätte er sich eines strafbaren Verhaltens schuldig gemacht. Einem Antrag auf Änderung der Motornummer wäre mangels entsprechenden Nachweises über den Erwerb des Motors von der Behörde nicht entsprochen worden. Demnach stelle aber die Abweichung der Motornummer im Typenschein von der Nummer des im Fahrzeug eingebauten Motors einen wesentlichen Mangel dar, der den Kläger berechtige, die Aufhebung des Kaufvertrages zu begehren.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht erachtete das Klagebegehren für begrundet, weil die Abweichung der im Typenschein eingetragenen und der am eingebauten Motor aufscheinenden Nummer einen wesentlichen unbehebbaren Mangel darstelle, der die Wandlung des abgeschlossenen Kaufvertrages rechtfertige. Dem Wandlungsbegehren stunde im vorliegenden Fall zwar nicht der vom Beklagten erklärte Verzicht auf Gewährleistungsansprüche entgegen, weil der Kläger in der "Verkaufsbestätigung" die Haftung für "Richtigkeit und Echtheit" der Motornummer übernommen hatte und im Falle der Zusage bestimmter Eigenschaften der Verkäufer auch im Falle des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses zu haften hat (JBl. 1981, 203; SZ 49/124; JBl. 1972, 531; SZ 42/180; Koziol - Welser[5] I 218).
Es kann aber fraglich sein, ob von einem unbehebbaren Mangel gesprochen werden mußte. Dem Klagebegehren kommt aber jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der ebenfalls geltend gemachten Irrtumsanfechtung, die auch möglich ist, wenn die Aufhebung eines Vertrages nach § 932 ABGB, weil der Mangel behebbar ist, nicht in Betracht kommt (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 516; vgl. im übrigen über das Wahlrecht zwischen beiden Rechtsbehelfen Koziol - Welser[5] I 221 f. mwN in FN 47), Berechtigung zu.
Gemäß § 871 Abs. 1 ABGB kann der Irrende das abgeschlossene Rechtsgeschäft anfechten, wenn ein wesentlicher Geschäftsirrtum vorliegt und der Irrtum vom anderen Teil veranlaßt wurde. Unter Veranlassung des Irrtums ist dessen Verursachung zu verstehen; nicht erforderlich ist ein Verschulden des Geschäftspartners (SZ 46/84; EvBl. 1971/117; SZ 28/103; Koziol - Welser[5] I 109; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 128). Durch die Aufnahme der Motornummer in den abgeschlossenen Kaufvertrag hat der Beklagte den Irrtum des Klägers darüber veranlaßt, daß die darin aufscheinende und im Typenschein eingetragene Motornummer mit der am Motor angebrachten übereinstimmt. Darauf, ob auch dem Beklagten bekannt war, daß dies nicht zutrifft, kommt es, wenn Verschulden nicht Voraussetzung für die Anfechtung ist, nicht an. Entscheidend ist allein, ob der Irrtum des Klägers als wesentlich angesehen werden muß. Ein wesentlicher Irrtum liegt vor, wenn der Erklärende ohne ihn das Rechtsgeschäft nicht geschlossen hätte, was nach dem hypothetischen Parteiwillen, hilfsweise nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen ist (JBl. 1976, 646; Koziol - Welser aaO 108; Gschnitzer aaO 124). Der Motornummer kommt nach den Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes für die Zulassung des Fahrzeuges, wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte, Bedeutung zu. Gemäß § 42 Abs. 2 KFG hat der Zulassungsbesitzer der Behörde, die den Zulassungsschein ausgestellt hat, anzuzeigen, daß in das Fahrzeug ein anderer Fahrzeugmotor derselben Type eingebaut wurde. Die Behörde hat die neue Motornummer in den Zulassungsschein und in den Typenschein einzutragen. Wurde ein Motor im Ausland eingebaut, ist gemäß § 42 Abs. 2 KFG die Bestätigung des Zollamtes vorzulegen, daß der Motor einem Zollverfahren unterworfen wurde. Der Beklagte räumt selbst ein, nicht aufklären zu können, wann, von wem und wo der Motor eingebaut wurde. Gerade bei einem Kraftfahrzeug der Type Mercedes liegt die Annahme nahe, daß der Motortausch unter Umständen im Ausland vorgenommen worden sein könnte, weshalb ein Verlangen der Zulassungsbehörde, den Nachweis zu erbringen, daß entweder der Motortausch im Inland vorgenommen oder aber der im Ausland eingebaute und in das Inland eingeführte Motor einem Zollverfahren unterworfen wurde, nicht ausgeschlossen werden kann. In Anbetracht derartiger möglicher Schwierigkeiten kann nicht angenommen werden, daß der Kläger das Fahrzeug auch bei Kenntnis der wahren Sachlage erworben hätte; nach der Verkehrsauffassung muß diesem Umstand dann wesentliche Bedeutung beigemessen werden, sodaß die Aufhebung des Kaufvertrages wegen wesentlichen Irrtums gerechtfertigt ist.
Die Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums verjährt gemäß § 1487 ABGB in drei Jahren. Das Gesetz nimmt es im Interesse des Irrenden demnach in Kauf, daß es auch nach einem verhältnismäßig langen Zeitraum zu einer Aufhebung des Vertrages kommt und der Verkäufer eine unter Umständen in ihrem Wert verminderte Sache zurückerhält. Hat der Erwerber inzwischen aus der Sache Nutzen gezogen, könnte dies zu einem Verwendungsanspruch des Verkäufers führen; die Möglichkeit der Vertragsanfechtung wird dadurch aber grundsätzlich nicht berührt. Ein Sachverhalt, der die Annahme zuließe, der Kläger habe stillschweigend (§ 863 ABGB) auf das Recht zur Anfechtung des Vertrages verzichtet, liegt nicht vor.
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