OGH 1Ob76/65

OGH1Ob76/6528.6.1965

SZ 38/107

Normen

AHG §1
Arbeiterkammergesetz §2
AHG §1
Arbeiterkammergesetz §2

 

Spruch:

Die Beratung von Einzelpersonen über ihre Ansprüche aus Dienstverhältnissen gehört nicht zum gesetzlichen Aufgabenbereich der Kammern für Arbeiter und Angestellte. Für die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegen die Kammer wegen eines angeblichen Beratungsfehlers sind darum die Bestimmungen des AHG. nicht maßgebend

Entscheidung vom 28. Juni 1965, 1 Ob 76/65

I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Der Kläger belangte im vorliegenden Prozeß eine Kammer für Arbeiter und Angestellte auf Ersatz des Schadens in Höhe von 25.870 S s. A., den er dadurch erlitten habe, daß er anläßlich der Beratung über seine Ansprüche aus einem Dienstverhältnis bei einer Zweigstelle der beklagten Partei bzw. bei dieser selbst nicht auf die Verjährungsbestimmung des § 34 AngG. aufmerksam gemacht worden sei. Er bezeichnete seine beim Landesgericht Feldkirch eingebrachte Klage ausdrücklich als "Klage nach dem Amtshaftungsgesetz", führte in ihr aber auch aus, daß die beklagte Partei ihm den durch unrichtige Beratung verschuldeten Schaden "sowohl nach dem Amtshaftungsgesetz als auch nach den allgemeinen Schadenersatzgrunden" zu ersetzen habe.

Das Erstgericht wies die Klage ohne Beweisaufnahme mit der Begründung ab, daß sich der Kläger in diesem Verfahren nicht auf die allgemeinen Schadenersatzbestimmungen berufen könne, daß das Amtshaftungsgesetz aber nicht anwendbar sei, weil die Rechtsberatung des Klägers nicht in Vollziehung der Gesetze erfolgt sei; Rechtsberatung gehöre nämlich nicht zum gesetzlichen Aufgabenbereich der Arbeiterkammern.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Die Begründung seines Beschlusses läßt sich wie folgt zusammenfassen: Die Kammern für Arbeiter und Angestellte seien Rechtsträger im Sinne des § 1 AHG.; sie seien nach § 1 des Arbeiterkammergesetzes, BGBl. Nr. 105/1954, berufenen, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Dienstnehmer zu vertreten und zu fördern; wohl sei die Beratung und Vertretung von Dienstnehmern im § 2, der den Aufgabenbereich der Kammern näher bezeichne, nicht angeführt, doch stehe dies der Einbeziehung in ihren Aufgabenbereich nicht entgegen, weil die Aufzählung im § 2 nur demonstrativ sei; die Beratung und Vertretung von Dienstnehmern lasse sich zwanglos in die "Vertretung und Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Dienstnehmer" gemäß § 1 einreihen; gerichtsbekanntermaßen entfalten die Kammern auch eine umfangreiche Rechtsberatungs- und Vertretungstätigkeit; schließlich werde jeder mögliche Zweifel an ihrer diesbezüglichen Berechtigung durch die Bestimmung des § 18 (1) ArbGerG. beseitigt, in dem die Vertretung der Parteien im arbeitsgerichtlichen Verfahren durch Bevollmächtigte ihrer gesetzlichen Interessenvertretungen, also auch der Kammern für Arbeiter und Angestellte, ausdrücklich vorgesehen sei; die beklagte Partei sei auch mit dem Argument, Rechtsberatung gehöre nicht zur Hoheitsverwaltung, geschehe daher nicht in Vollziehung der Gesetze, nicht im Recht; falle nämlich die Rechtsvertretung, zu der auch die Rechtsberatung gehöre, in den gesetzlichen Aufgabenbereich der Kammern, geschehe sie in Vollziehung der Gesetze; eine unrichtige Auskunft oder ein schlechter Rat sei jedenfalls rechtswidrig und allenfalls auch schuldhaft; entgegen der von Loebenstein - Kaniak vertretenen Meinung könne dabei zwischen unrichtiger Auskunft und schlechtem Rat nicht unterschieden werden, weil nicht nur die Bestimmung des § 1300 ABGB., sondern auch jene des § 1299 ABGB. zu beachten sei und das Amtshaftungsgesetz keine Grundlage für die Annahme liefere, daß von den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes, auf die § 1 AHG. abgestellt sei, gerade jene ausgenommen sein sollte, die die Haftung des Inhabers eines "Amtes" (§ 1299 ABGB.) regle; das Vorbringen des Klägers sei aus diesen Gründen keineswegs ungeeignet, einen Amtshaftungsanspruch zu begrunden; verfehlt sei auch die Meinung des Erstgerichtes, daß der erhobene Anspruch in diesem Verfahren nicht auf das allgemeine Schadenersatzrecht gegrundet werden könne; das angerufene Gericht wäre nach der Höhe des geltend gemachten Anspruches auch dann zuständig, wenn es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch handelte, sondern um eine gewöhnliche Schadenersatzklage; das Amtshaftungsgesetz schließe nicht aus, daß gegen Rechtsträger auf Grund schuldhaften Verhaltens ihrer Organe bei Erfüllung rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen, zu denen auch Vertretungsleistungen gezählt werden könnten, erhobene Ansprüche hilfsweise auch auf das bürgerliche Recht gestützt würden; ob beim wertzuständigen Gericht Senat oder Einzelrichter zu entscheiden hätten, sei nur eine Frage der Gerichtsbesetzung, aber nicht der Zuständigkeit; es habe daher kein gesetzliches Hindernis bestanden, den geltend gemachten Anspruch auch auf seine Berechtigung nach den Bestimmungen des ABGB. zu prüfen.

Dagegen liegt der Rekurs der beklagten Partei vor, dessen Ausführungen zwar zum großen Teil beizupflichten, dem aber im Ergebnis ein Erfolg zu versagen ist.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Daß die Kammern für Arbeiter und Angestellte Rechtsträger im Sinn des § 1 AHG. sind, läßt sich zwar nicht aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SZ. XXVI 119 ableiten, die einen völlig anders gelagerten Amtshaftungsfall betraf, ist aber richtig und wurde auch schon vom Obersten Gerichtshof ausgesprochen (vgl. Loebenstein - Kaniak, S. 23 und 163, E. v. 30. Juni 1954, 1 Ob 454 - 511/54). Daran hat die Neuregelung der Materie durch das AKG. vom 19. Mai 1954, BGBl. Nr. 105/1954, nichts geändert.

Aus den Bestimmungen der §§ 1 und 2 dieses Gesetzes über Zweck und Aufgabenbereich der Kammern geht hervor, daß der Gesetzgeber dabei auf die Vertretung und Förderung der Interessen der Dienstnehmer im allgemeinen abgestellt hat. Daraus erklärt sich auch die Zwangszugehörigkeit aller Dienstnehmer laut § 5 (1), soweit nicht das Gesetz selbst Ausnahmebestimmungen normiert hat (§ 5 (2)). Die individuelle Betreuung einzelner Kammerzugehöriger durch Beratung und Vertretung gehört, handelt es sich auch um arbeits- und sozialrechtliche Fragen, nicht zum unmittelbar durch das Gesetz den Kammern zugewiesenen Aufgabenbereich. Hätten die Kammern den vom Berufungsgericht besonders hervorgehobenen umfangreichen Beratungs- und Vertretungsdienst nicht eingerichtet, sondern würden sie diese Tätigkeit den Gewerkschaften bzw. dem Gewerkschaftsbund - soweit es sich um Gewerkschaftsmitglieder handelt - und Anwälten, privaten Beratungsstellen usw. - soweit es sich nicht um Gewerkschaftsmitglieder handelt - überlassen, könnte ihnen auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie erfüllten die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben nicht. Aus der vom Berufungsgericht herangezogenen Bestimmung des § 18 (1) ArbGerG. kann nur abgeleitet werden, daß die Funktionäre der Kammern, die für Parteien im arbeitsgerichtlichen Verfahren auftreten, sich nicht der Winkelschreiberei schuldig machen, aber nicht, daß die Vertretung ihrer Klienten "in Vollziehung der Gesetze" geschieht. Das gleiche gilt bezüglich analoger Bestimmungen, welche die Vertretung von Parteien im Verfahren vor den Schiedsgerichten der Sozialversicherung regeln. Zutreffend verweist die beklagte Partei auf die E. d. OGH. vom 8. Oktober 1953, 1 Ob 675/53, in der ausgesprochen wurde, daß von Vollziehung der Gesetze nur dort gesprochen werden kann, wo der Rechtsträger Verfügungen oder Entscheidungen zur Durchführung eines Gesetzes trifft, nicht aber dort, wo er eine nur einer Einzelperson gegenüber bestehende Verpflichtung erfüllt, ohne etwa von Gesetzes wegen den Auftrag zu haben, die Erfüllung auch gegen den Willen des Betroffenen aus öffentlichem Interesse zu erzwingen. Damals handelte es sich um die Abgrenzung der Amtshaftung eines Sozialversicherungsträgers, die dahin gefunden wurde, daß der Sozialversicherungsträger bei Erlassung eines Bescheides über die Feststellung eines Anspruches in Vollziehung der Gesetze handle, nicht aber bei Erfüllung des hoheitsrechtlich festgestellten Anspruchs dem Berechtigten gegenüber.

Bei der Rechtsberatung, welche die beklagte Partei eingerichtet hat, hat sie den Personen, die sie in Anspruch nehmen, nichts vorzuschreiben; sie kann auch nichts entscheiden; sie ist auf diesem Gebiet nicht mit "imperium" (im weitesten Sinn) ausgestattet: sie hat nicht einmal eine Beratungs- und Vertretungspflicht und kein Vertretungsmonopol. Sie übt dabei eine Tätigkeit aus, die sich der Natur nach nicht von jener eines Anwaltes unterscheidet. Der Zusammenhang mit ihrem gesetzlichen Aufgabenbereich, der allgemeinen Vertretung der Interessen der Arbeiter- und Angestelltenschaft als solcher, ist rein äußerlich und lose. Ein Amtshaftungsanspruch im Sinn des § 1 AHG. läßt sich daraus nicht ableiten.

Die beklagte Partei ist auch damit im Recht, daß sich ein Amtshaftungsanspruch nur nach den Bestimmungen des AHG. und nicht auch nach jenen des ABGB. verfolgen läßt, ohne dabei auf das AHG. Bedacht nehmen zu müssen. So ist der Beschluß des Berufungsgerichtes aber wohl auch nicht zu verstehen. Diesem ist jedenfalls darin beizupflichten, daß die Erhebung eines Amtshaftungsanspruches den Kläger nicht hinderte, das gleiche Begehren nach bürgerlichem Recht zu verfolgen, falls Amtshaftung der beklagten Partei nicht vorläge. Voraussetzung war nur die Wahrung der Zuständigkeit. Daß das Berufungsgericht das einleitend wiedergegebene Vorbringen des Klägers dahin auslegte, dieser mache hilfsweise, also für den Fall des Versagens der Amtshaftung, einen gewöhnlichen Schadenersatzanspruch geltend, kann nicht als Gerichtsfehler gewertet werden.

Aus diesen Erwägungen ist der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes im Ergebnis zu bestätigen. Daß für das weitere Verfahren bezüglich des allein noch zu prüfenden Schadenersatzanspruches nach bürgerlichem Recht die Bestimmung des § 9 (3) AHG. nicht mehr gilt, hat der Sache nach bereits das Berufungsgericht hervorgehoben.

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