OGH 1Ob72/65

OGH1Ob72/6528.6.1965

SZ 38/106

Normen

ABGB §364
ABGB §364a
AHG §1
Wasserrechtsgesetz §26
ABGB §364
ABGB §364a
AHG §1
Wasserrechtsgesetz §26

 

Spruch:

Immissionsklage gegen eine Stadtgemeinde wegen eines Rohrbruches der unter der Straße liegenden Wasserleitung ist zulässig; kein Fall von Amtshaftung

Entscheidung vom 28. Juni 1965, 1 Ob 72/65

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien

Text

Die Kläger sind Eigentümer eines Hauses in der L.-Straße in Wien XIV. Am 2. Februar 1962 trat in nächster Nähe dieses Hauses am Hauptrohr der unter der L.-Straße verlegten Wasserleitung ein Rohrbruch auf; das austretende Wasser drang auch in das Haus der Kläger und verursachte verschiedene Schäden. Die Wasserleitung wurde in den Jahren 1907 - 1910 verlegt und steht im Eigentum der beklagten Stadt Wien; eine wasserrechtliche Bewilligung für diese Leitung wurde nicht erteilt, sie ist auch im Wasserbuch nicht eingetragen.

Gestützt auf die Behauptung, der durch den Rohrbruch verursachte Schaden habe bisher 141.933.17 S betragen, worauf sie von der beklagten Partei erst 28.000 S erhalten hätten, es seien aber auch noch weitere Schäden zu erwarten, begehrten die Kläger im vorliegenden, seit 9. November 1962 anhängigen Prozeß die Verurteilung der beklagten Partei auf Zahlung von 113.933.17 S samt gestaffelten Zinsen sowie die Feststellung, daß sie ihnen auch sämtliche künftige Schäden aus dem Rohrbruch vom 2. Februar 1962 zu ersetzen habe. Sie bezogen sich dabei außer auf die Bestimmungen des ABGB. auch auf jene des § 26 WRG. und des Amtshaftungsgesetzes, weiters auf die von der Judikatur entwickelten Grundsätze übe, die Haftung für gefährliche Betriebe bzw. für gefährliche Sachen, und schließlich behaupteten sie auch ein von der beklagten Partei oder ihren Organen abgegebenes Anerkenntnis.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, soweit aus dem Rechtsgrund der Amtshaftung ein 84.750.87 S übersteigender Betrag begehrt wurde, wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges mit der Begründung zurück, im Aufforderungsverfahren sei kein höherer Betrag begehrt worden. Im übrigen wies es das Klagebegehren ab.

Die Kläger ließen die Zurückweisung des Begehrens eines 84.750.87 S übersteigenden Betrages, soweit es sich um den Rechtsgrund der Amtshaftung handelt, unangefochten, im übrigen bekämpften sie aber die Abweisung ihres Begehrens.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und wies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Die Ersatzpflicht der beklagten Partei ergebe sich aus § 364 ABGB.; mangels Feststellungen über die Schadenshöhe, insbesondere auch in einem den schon erhaltenen Ersatz von 28.000 S übersteigenden Betrag, und die Möglichkeit eines weiteren künftigen Schadenseintrittes sei die Sache zur Verfahrensergänzung an die I. Instanz zurückzuverweisen.

Der Beschluß des Berufungsgerichtes wird von der beklagten Partei mit Rekurs bekämpft, wobei sie Spruchreife der Sache im Sinn einer Bestätigung des Urteils der I. Instanz geltend macht.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Errichtung und Instandhaltung einer Wasserleitung wird, auch wenn eine Gebietskörperschaft dafür verantwortlich ist, wohl nicht immer zum Bereich der Hoheitsverwaltung gehören; im Fall der Stadt Wien ist das Berufungsgericht aber mit zutreffender Begründung zu einer Bejahung dieser Frage gekommen, wobei es der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 12. Oktober 1960, 1 Ob 355/60 = ZVR. 1961, Nr. 179, folgen konnte, von der abzugehen kein Anlaß besteht. Wie dies zu verstehen ist, wird noch zu erörtern sein.

Im übrigen kommt dieser Entscheidung aber nicht jene Tragweite zu, die ihr das Berufungsgericht beigemessen hat. Sie bezog sich nämlich nur auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges, insoweit das gleiche Begehren nicht nur auf ein Verschulden von Organen der beklagten Partei auf dem Gebiet des Wasserversorgungswesens (Hoheitsverwaltung), sondern auch auf ein Verschulden von Organen der beklagten Partei auf dem Gebiet der Straßenverwaltung (Wirtschaftsverwaltung) gegrundet worden war. Aus der Zulässigkeit des Rechtsweges für ein nicht unter den Amtshaftungsbereich fallendes Begehren läßt sich aber für die meritorische Berechtigung des auf andere zivilrechtliche Haftungsgrunde gestützten Anspruches nichts ableiten.

Daß es an sich möglich ist, eine Gebietskörperschaft als Eigentümerin einer öffentlichen Straße nach den Grundsätzen des Nachbarrechtes haftbar zu machen, bestreitet die beklagte Partei zumindest für bestimmte Fälle nicht. Eine weitwendige Erörterung erscheint in diesem Belang auch entbehrlich, zumal der Oberste Gerichtshof in 6 Ob 83/63 = SZ. XXXVI 67 ebenfalls zu diesem Ergebnis gekommen ist.

Um das Problem einer Haftung der beklagten Partei nach § 364 ABGB. als Eigentümerin der L.-Straße als jenes Grundstückes, von dem die Immissionsschädigung ausging, nach allen Richtungen zuverlässig beurteilen zu können, muß aber zunächst davon abstrahiert werden, daß die in diesem Grundstück verlegte Wasserleitung auch ihr gehört und von ihr zur Erfüllung ihrer Wasserversorgungsaufgaben benützt wird. Unter dem Blickpunkt der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht ist also die Frage zu stellen, ob der Eigentümer einer Privatstraße, unter deren Oberfläche eine Wasserleitung der beklagten Partei verlegt ist, für einen durch ein Gebrechen an dieser Leitung auf einem Anrainergrundstück verursacht n Immissionsschaden nach § 364 ABGB. zu haften hätte oder ob die beklagte Partei als Eigentümerin der L.-Straße etwa für einen Immissionsschaden zu haften hätte, der durch ein Gebrechen an einer fremden, aber unter der L.-Straße verlegten Leitung für einen Immissionsschaden auf einem Anrainergrundstück nach dieser Gesetzesstelle aufzukommen hätte. Nach dem Haftungsgrund des § 364 ABGB. kann die beklagte Partei nicht schlechter und nicht besser gestellt sein als andere Privatrechtssubjekte.

Die Bestimmung des § 364 ABGB. gewährt dem durch eine Immission beeinträchtigten Nachbarn in erster Linie ein Untersagungsrecht. Es ist richtig, daß der Gründeigentümer, auch wenn die Einwirkung auf die Nachbarparzelle von einem anderen ausgeht, für sie verantwortlich sein kann. Es ist dies dann der Fall, wenn er sie duldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und imstande ist (Klang in Klang[2] zu § 364 ABGB. unter VI, 3 c, in Anlehnung an Dernburg[3], III, S. 242, vgl. dazu auch JBl. 1950, S. 164). Das setzt aber begrifflich voraus, daß die Immission noch andauert oder wenigstens eine Wiederholung der rechtswidrigen Einwirkung auf das Nachbargrundstück mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Duldung der Immission, die - soweit sie unter § 364/II fällt - unabhängig von einem Verbot des von ihr Betroffenen rechtswidrig ist (vgl. Klang a. a. O. unter VI, 3 f., Lachout in ÖJZ. 1953, S. 590), schaltet den Gründeigentümer in den Rechtwidrigkeitszusammenhang ein, was seine Passivlegitimation für das Verbot begrundet.

Das gleiche Kriterium ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes entscheidend, wenn es um die Passivlegitimation des Gründeigentümers für den Immissionsschaden geht. Die Tatsache, daß sich auf seinem Grund die Ursache der von einem Dritten ausgehenden Immission befindet, begrundet für sich allein seine Passivlegitimation noch nicht; legitimiert ist er aber dann, wenn er die Immission geduldet hat, obwohl er sie zu hindern berechtigt und imstande gewesen wäre, was jedenfalls Vorhersehbarkeit des Schadens voraussetzt (vgl. auch dazu Klang a. a. O. unter f). Selbst wenn man die Bestimmungen des § 1301 ABGB. hier für analog anwendbar hielte, könnte ohne diese Voraussetzungen doch nicht von einer "Teilnahme" an einer fremden Widerrechtlichkeit gesprochen werden (§ 1313 ABGB.).

Aus diesen Erwägungen erscheint dem Obersten Gerichtshof die Ansicht des Berufungsgerichtes, die beklagte Partei habe nachbarrechtlich schon deshalb zu haften, weil ihr die L.-Straße als sogenanntes öffentliches Gut gehört, nicht haltbar, zumindest nicht, solange nicht Feststellungen über die Vorhersehbarkeit des Schadens getroffen sind.

Damit ist für einen Rechtsmittelerfolg der beklagten Partei aber nichts wesentliches gewonnen, weil die aus § 364 ABGB. ableitbaren Ansprüche außer gegen den Gründeigentümer auch gegen den den Dritten gerichtet werden können, der die Immission verursachte (vgl. Klang a. a. O. unter VI, 3 c), sofern er nur den Grund für eigene Zwecke benützt (EvBl. 1964 Nr. 239, was hier der Fall ist. Die beklagte Partei ist also auch, wenn man jetzt von den Gründeigentumsverhältnissen an der L.-Straße abstrahiert und nur auf die Wasserleitung abstellt, immer noch "Nachbar" der Kläger im Sinn des § 364 ABGB.

Die Unterinstanzen haben richtig gesehen, daß die beklagte Partei nicht "Wasserberechtigter" im Sinn des WRG. ist, weil ihre Wasserleitungsanlage nicht auf Grund einer wasserrechtsbehördlichen Bewilligung errichtet wurde. Daher kommen die Bestimmungen des § 26 WRG., welche die Grundlagen für Ersatzforderungen im Zusammenhang mit bewilligten Wasserbenutzungsanlagen im Vergleich zu jenen des ABGB. teils erweitert, teils eingeschränkt haben, nicht zur Anwendung (vgl. Hartig - Grabmayr, Anm. 3 zu § 26 WRG.), obgleich eine Wasserleitung als Trink- und Nutzwasserversorgungsanlage gewiß auch - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte - zu den Wasserbenutzungsanlagen gehört (vgl. dazu auch Krzizek, S. 59). Daraus ergibt sich zunächst, daß - vom Standpunkt des Wasserrechtes aus gesehen - einer Heranziehung der nachbarrechtlichen Vorschriften des ABGB. nichts entgegensteht.

Nun muß allerdings auch noch berücksichtigt werden, daß die Tätigkeit der beklagten Partei auf dem Gebiet der öffentlichen Wasserversorgung - wie bereits einleitend festgehalten wurde - zum Bereich der Hoheitsverwaltung gehört. Das ist aber nur insofern bedeutsam, als die Kläger echte Schadenersatzansprüche, also Ansprüche im Sinne der §§ 1293 ff. ABG., erheben und die Amtshaftung der beklagten Partei für Verschulden ihrer Organe geltend machen. Die nachbarrechtlichen Ersatzansprüche nach §§ 364 ff. ABGB. sind aber keine Schadenersatzansprüche nach §§ 1293 ff. ABGB., sondern Ansprüche eigener Art, Ausgleichsansprüche, wie bereits das Berufungsgericht unter Heranziehung von Literatur und Judikatur hervorgehoben hat. Sie sind am ehesten mit dem Anspruch auf Entschädigung für Enteignung zu vergleichen. Besonders deutlich ist dies im Fall des § 364a ABGB., d. h. bei der nachträglichen Entschädigung von Immissionen, die von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen, weil hier - eben zufolge der behördlichen Bewilligung - nicht einmal von Rechtswidrigkeit gesprochen werden kann (vgl. Klang in Klang[2] zu § 364a unter 3a; Lachout in ÖJZ. 1953, S. 590). Im Fall einer nach § 364 ABGB. zu beurteilenden Immission nimmt die Lehre zwar Rechtswidrigkeit an, wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt wurde, ihren Standpunkt, es handle sich trotzdem nicht um einen Schadenersatz-, sondern um einen Ausgleichsanspruch, hat der Oberste Gerichtshof aber auch in seiner neuesten Rechtsprechung geteilt (SZ. XXXII 88).

Bei der Wasserleitung handelt es sich nicht um einen Teil des öffentlichen Gutes, wie dies bei der L.-Straße der Fall ist, sie gehört vielmehr zum sogenannten Verwaltungsvermögen der beklagten Partei; sie ist nämlich nicht der Allgemeinheit zum Gebrauch überlassen wie die Straße, sondern dient der beklagten Partei zur Erfüllung ihrer hoheitsrechtlichen Aufgaben auf dem Gebiet der öffentlichen Wasserversorgung (vgl. dazu Klang in Klang[2] zu §§ 287, 288 ABGB. unter I, B und C, 1, a). Damit scheidet sie aber nicht schlechthin aus dem Anwendungsbereich der Privatrechtsordnung aus. Eine Kaserne gehört gewiß zum Verwaltungsvermögen des Bundes und wird, wenn sie zur Unterbringung eines Truppenteiles dient, auch von ihrem Eigentümer zur Erfüllung von Aufgaben im Bereich der Hoheitsverwaltung verwendet. Deshalb bestehen zu den Eigentümern benachbarter Grundstücke doch auch gewisse nachbarrechtliche Beziehungen. Die Vorsorge, daß vom Kasernenbereich nicht Abwässer, Rauch usw. die Nachbargrundstücke beeinträchtigen, gehört nicht zum Bereich der Hoheitsverwaltung (Landesverteidigung). Hier kann der Staat als Eigentümer der Kaserne den Nachbarn gegenüber auch nicht mit Befehlsgewalt entgegentreten; diese brauchen sich solche Immissionen ebensowenig gefallen lassen wie der Staat, wenn von den Nachbargrundstücken Immissionen in den Kasernenbereich ausgingen. Loebenstein - Kaniak führen denn auch ausdrücklich Tätigkeiten auf nachbarrechtlicher Grundlage als Beispiel für die Annahme der Wirtschaftsverwaltung an (S. 45).

Ähnlich ist die Rechtslage auch bei der Wasserleitung der beklagten Partei. Ihr Betrieb und ihre Erhaltung gehören insoweit zum Bereich der Hoheitsverwaltung, als es sich um die Aufrechterhaltung einer ausreichenden und einwandfreien Versorgung der Bevölkerung mit Wasser handelt. Die Vorsorge und Verantwortung dafür, daß im Fall eines Defektes nicht Immissionen in benachbarte Privatgrundstücke erfolgen, dient nicht der Erfüllung von Aufgaben der Hoheitsverwaltung (öffentliche Wasserversorgung), sondern findet ihren rechtlichen Beurteilungsbereich zunächst in der Bestimmung des § 364 (1) und dann in § 364 (2) ABGB.

Für die Verfolgung des daraus ableitbaren Ausgleichsanspruches, bei dem es auf die Frage eines Verschuldens der beklagten Partei oder ihrer Organe nicht ankommt, besteht darum weder nach dem Amtshaftungsgesetz noch nach sonstigen Vorschriften ein Hindernis,

Im Ergebnis ist also dem Berufungsgericht beizupflichten, sein Aufhebungsbeschluß zu bestätigen.

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