Normen
ABGB §142 Abs1
ABGB §176 Abs1 nF
ABGB §177
ABGB §142 Abs1
ABGB §176 Abs1 nF
ABGB §177
Spruch:
Die einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte aus dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis dürfen nur dann auf den anderen übertragen werden, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 ABGB vorliegen
OGH 11. Oktober 1978, 1 Ob 704/78 (KG St. Pölten R 238/78; BG Ybbs P 18/75)
Text
Nach der Scheidung der Ehe ihrer Eltern mit Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 5. März 1974, 1 a Cg 1086/73, verblieben die minderjährigen Kinder Sigrid, geboren am 27. November 1961, sowie die am 16. August 1965 geborenen Zwillinge Hannes und Gunter nach einem zwischen den Eltern geschlossenen pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich in Pflege und Erziehung ihrer Mutter. Diese ist Angestellte des Fremdenverkehrsvereins L in W mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden; die Zeiteinteilung der Dienstverrichtung wird weitgehend ihr überlassen. Sie bewohnt mit ihren Eltern in dem 2 km von W entfernten P ein in ihrem Alleineigentum stehendes Zweifamilienhaus mit einem etwa 1000 m2 großen Garten, in dem ihr im ersten Stock eine aus Wohnküche, einem etwa 25 m2 großen Wohnzimmer, einem Schlafzimmer mit etwa 20 m2 und einem 8 m2 großen Kinderzimmer bestehende Wohnung zur Verfügung steht; im Keller des Hauses befindet sich noch ein Spielzimmer für die Kinder. Der Vater der Kinder ist Autobuschauffeur und wird hauptsächlich im Werksverkehr eingesetzt; nur fallweise hat er auch größere Fahrten an Wochenenden zu verrichten. Seit Jänner 1978 bewohnt er mit seiner Lebensgefährtin in Wien 21 eine neue 75 m; große Wohnung, die aus Wohnzimmer, Vorraum. WC, Bad, Schlafzimmer und einem 18 m2 großen Kinderzimmer besteht. In B steht dem Vater außerdem eine Wohnung mit einem Zimmer für die Kinder Hannes und Gunter zur Verfügung.
Im Jahre 1974 besuchten die Buben Hannes und Gunter die Volksschule in P. Ab dem Schuljahr 1976/77 brachte der Vater mit Zustimmung der Mutter die Buben in Internaten unter, zuletzt beide im D-Schülerheim in Wien. Die Eltern einigten sich am 14. Mai 1976 dahin, daß für die Zeit, während welcher sich die Kinder nicht bei der Mutter befinden, kein sonstiger Unterhalt durch den Vater zu bezahlen sei; grundsätzlich sollten aber die beiden Buben weiterhin in Pflege und Erziehung der Mutter verbleiben. Im vergangenen Jahr besuchten die beiden Buben die zweite Hauptschulklasse, Hannes hatte als schlechteste Note ein "Befriedigend", Gunter drei. Am 18. Oktober 1977 beantragte der Vater, die beiden Buben in seine Pflege und Erziehung einzuweisen.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters sowie einen Antrag, die Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Floridsdorf zu überweisen, ab. Die Erhebungen (Anhörung des Jugendamtes Melk und Befragung der beiden Kinder) gäben für eine Änderung keinen Anlaß. Niemand außer dem Vater wünsche, daß nunmehr die Pflege und Erzeihung auf ihn übergehen solle.
Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und den minderjährigen Kindern Hannes und Gunter erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung und Vertretung) nunmehr allein dem Vater zustunden und die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Hannes und Gunter zur Gänze an das Bezirksgericht Floridsdorf übertragen werde. Nach ergänzenden Erhebungen stellte das Rekursgericht fest, daß sich Hannes und Gunter seit der Heimunterbringung an den Wochenenden und während der übrigen schulfreien Zeit hauptsächlich beim Vater befänden. Seit der Heimunterbringung habe die Mutter Schwierigkeiten, die Kinder zu bekommen. Im Falle einer Unterbringung bei ihrer Mutter könnten Hannes und Gunter die Hauptschule in W besuchen, wohin sie die Mutter bringen und von wo sie sie auch abholen könnte; das Mittagessen könnten sie mit ihrer Mutter oder bei der Großmutter einnehmen. Die beiden Buben seien mit ihrer derzeitigen Situation (Heimunterbringung und Schulbesuch in Wien, Aufenthalt teilweise bei Vater und Mutter) zufrieden; sie möchten jeweils ein Wochenende im Monat und die Hälfte der Ferien bei der Mutter sein; zur Lebensgefährtin des Vaters stunden sie im guten Einvernehmen. Ein weiterer Besuch der Schule in Wien und ein weiterer Verbleib im Internat erscheine dringend angezeigt, um Umstellungsschwierigkeiten zu vermeiden; eine Umschulung werde auch von der Mutter nicht ernsthaft angestrebt. Bei dieser Situation erscheine aber schon auf Grund des örtlichen Naheverhältnisses der Vater als die geeignetere Erziehungsperson. Er sei es - und sei es auch in den beiden vergangenen Schuljahren gewesen - der unmittelbar am schulischen Geschehen Anteil nehme sowie bei schlechten Lernerfolgen oder Schwierigkeiten im Internat rasch informiert werden und schnell entsprechende Maßnahmen setzen könne. An ihn würden auch die wesentlichen Probleme und Fragen von den Buben herangetragen werden; vor allem müsse er Vertretungshandlungen gegenüber Schule und Heim sowie allenfalls Behörden gegenüber setzen. Auch sei es für ihn leichter, sich um verschiedene Bedürfnisse der Kinder wie etwa Anschaffung und Instandhaltung der Bekleidung, Betreuung bei Krankheit, Aufsuchen von Ärzten usw. zu kümmern, was er auch schon in der letzten Zeit getan habe. Die Entscheidung zugunsten des Vaters solle allerdings nicht zum Ausdruck bringen, daß vielleicht die Mutter zur Erziehung der Kinder nicht geeignet wäre; sie trage nur der bestehenden Situation im Sinne des Wohles der Kinder am besten Rechnung. Der gute Kontakt der Kinder zu ihrer Mutter solle unbedingt aufrecht erhalten bleiben bzw. vertieft werden. Sollte es zwischen den Eltern in dieser Frage zu keiner Einigung in der von den Kindern gewünschten Form kommen, werde die Mutter einen entsprechenden Antrag zu stellen und das Gericht darüber zu erkennen haben.
Über den Revisionsrekurs der Mutter änderte der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Rekursgerichtes dahin ab, daß er den Beschluß des Erstgerichtes wiederherstellte.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Auszugehen ist davon, daß die Eltern der Minderjährigen anläßlich der Scheidung ihrer Ehe eine pflegschaftsbehördlich genehmigte Vereinbarung über die Pflege und Erziehung der Kinder im Sinne des § 142 Abs. 1 ABGB alter Fassung trafen. Gemäß Art. XVII § 3 KindG gilt diese Vereinbarung nunmehr als Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 177 ABGB i. d. F. des Bundesgesetzes BGBl. 403/1977 an einen Elternteil allein. Nach § 142 Abs. 2 ABGB alter Fassung konnte das Gericht bei geänderten Verhältnissen ohne Rücksicht auf seine früheren Anordnungen oder die Vereinbarungen der Ehegatten die im Interesse der Kinder notwendigen neuen Anordnungen treffen. Die Rechtsprechung zu dieser Bestimmung stellte aber stets klar, daß ein Wechsel in der Person des Erziehungsberechtigten in aller Regel von Nachteil ist, weil ein wesentlicher Grundsatz jeder Erziehung ihre Stetigkeit und Dauer zu sein hat, so daß ändernde Maßnahmen nur dann als zulässig erachtet werden könnten, wenn sie im Interesse der Kinder dringend geboten erschienen (EvBl. 1972/244 u. a.; Wentzel - Plessl in Klang[2] I/2, 58) und besonders wichtige Umstände dafür sprächen (EFSlg. 26 567, 22 014 u. a.). Es wurde betont, daß ein besonders strenger Maßstab anzuwenden sei (EFSlg. 24 175 u. a.; Wentzel - Plessl a. a. O., 56), und sogar die Auffassung vertreten, daß eine Änderung nur dann in Erwägung zu ziehen sei, wenn der Elternteil, in dessen Pflege und Erziehung sich die Kinder befinden, seine Erziehungspflicht verabsäumt habe und daher eine Gefährdung des leiblichen, geistigen oder sittlichen Wohls der Kinder zu besorgen sei.
Es fällt nun auf, daß das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch in seiner neuen Fassung keine dem § 142 Abs. 2 ABGB entsprechende Bestimmung mehr enthält, obwohl in der Regierungsvorlage 144 BlgNR, XIII. GP vom 18. Jänner 1972 noch eine ausdrückliche Bestimmung vorgeschlagen war, daß das Gericht bei wesentlich geänderten Verhältnissen neu zu entscheiden habe. Die vorgeschlagene Regelung, daß die Verhältnisse sich wesentlich geändert haben müßten, wurde in den Erläuterungen damit begrundet, sie entspreche der Forderung, die im Begutachtungsverfahren von allen Gerichten erhoben worden sei. Das Gericht sollte die Möglichkeit haben, (nur) in diesem Fall dem Elternteil alle elterlichen Befugnisse, die ihm bisher zugeteilt gewesen waren, zu entziehen und dem anderen Elternteil zuzuteilen. Die spätere Regierungsvorlage 60 BlgNR, XIV, GP enthielt keinen ähnlichen Gesetzesvorschlag mehr, ohne hiefür eine Begründung zu geben. Sie mag sich aber aus der Begründung des damals vorgeschlagenen § 176 ABGB ableiten lassen, der allerdings nicht ganz dem Wortlaut entsprach, den diese Bestimmung tatsächlich erhalten hat. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage sollte eine Entziehung oder Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten stattfinden, wenn die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden seien oder die Eltern durch ihr gesamtes Verhalten das Wohl des Kindes gefährden. Der Ausschußbericht (587 BlgNR, XIV. GP) stellte klar, daß die Regierungsvorlage nur sprachlich einfacher werden sollte; auch in jenem wurde klargestellt, daß der Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohls sowohl die - bloß objektive - Nichterfüllung als auch ein Schuldelement enthaltende - Vernachlässigung der Pflichten durch Eltern erfassen sollte; ergänzt wurde noch, daß die Regelung selbstverständlich nicht anwendbar sei, wenn bloß ein Elternteil durch sein Verhalten das Wohl des Kindes gefährdet. Die Gründe, die gemäß § 176 Abs. 1 ABGB neuer Fassung zu einer Entziehung oder Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten führen können, entsprechen weitgehend den Gründen, die die Gerichte schon zuvor allein dafür anerkannten, daß die einem Elternteil einmal zuerkannte Pflege und Erziehung von Kindern auf den anderen übertragen werden konnte. Das Fehlen einer dem § 142 Abs. 2 ABGB alter Fassung ähnlichen Bestimmung im neuen Gesetz ist also dahin zu verstehen, daß nunmehr auch durch das Gesetz klargestellt werden sollte, daß eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollten, nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden solle, wenn das Wohl des Kindes oder der Kinder gefährdet ist, wenn also, wie es die Rechtsprechung bisher ausdrückte, besonders wichtige Gründe vorliegen und eine Änderung dringend geboten ist. Der schon bisher strenge Maßstab wird eher noch strenger anzulegen sein, weil das Gesetz bewußt die früher mögliche Zweiteilung der elterlichen Rechte und Pflichten (Ausübung der väterlichen Gewalt einerseits, die überwiegend übliche Pflege durch die Mutter andererseits) beseitigen und damit die Rechte desjenigen, dem sie nicht zuerkannt wurden, eher schwächen und ihn auf die Mindestrechte des § 178 ABGB beschränken wollte. Der OGH hat daher auch schon zur neuen Rechtslage, wenn auch ohne nähere Begründung, ausgesprochen, daß das Pflegschaftsgericht nur dann, wenn der Elternteil, den die rein persönlichen Rechte aus dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis allein zustehen, durch sein Verhalten das Wohl seines Kindes gefährdet, diese Rechte nach § 176 Abs. 1 ABGB neuer Fassung dem anderen geschiedenen Elternteil zuerkennen kann (7 Ob 637/78).
Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, daß zwar möglicherweise bei Scheidung der Ehe die rein persönlichen elterlichen Rechte und Pflichten, wäre damals die Lage so gewesen wie heute, dem Vater allein zugestanden worden wären, derzeit aber entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes keine rechtliche Handhabe besteht, der Mutter die ihr bereits zustehenden Rechte zu entziehen und sie dem Vater einzuräumen. Das Rekursgericht hebt selbst hervor, es wolle nicht zum Ausdruck bringen, daß die Mutter vielleicht zur Erziehung der Kinder nicht geeignet wäre; allein deswegen, weil die Zwillinge derzeit in Wien die Schule besuchen und daher eher ein örtliches Naheverhältnis zum Vater besteht, rechtfertigt es aber noch keineswegs, der Mutter die bereits eingeräumten Rechte zu entziehen. Der Vater ist ohnehin nicht gehindert, sich um das Wohl der Kinder zu bekümmern; die wesentlichen Entscheidungen stehen aber weiterhin der Mutter zu. Dies muß umsomehr gelten, als die Eltern sogar anläßlich der Vereinbarung des Schulbesuches der Kinder in Wien auch vereinbarten, daß die Pflege und Erziehung der Kinder weiterhin der Mutter verbleiben sollten. Da erfreulicherweise beide Elternteile an harmonischen Beziehungen zu ihren Kindern und an deren Wohl interessiert sind, geht es im wesentlichen nur darum, welcher Elternteil primär zu bestimmen hat, wo die beiden Buben ihre Wochenenden und Ferien verbringen. Daß die Mutter sich nicht ausreichend um die schulischen Belange kümmern würde, ist ohne Grundlage im Akt. Nur deswegen, weil der Vater in Wien wohnt, besteht jedoch kein Grund, nicht wie bisher die Entscheidung über den Aufenthalt der Kinder der Mutter zu überlassen und bei Nichteinigung den Vater auf eine gerichtliche Entscheidung zu verweisen. Schon aus rechtlichen Gründen erweist sich demnach die Entscheidung des Rekursgerichtes als verfehlt, so daß, ohne daß es ergänzender Erhebungen bedürfte, die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen ist. Die Belassung des Erstgerichtes als Pflegschaftsgericht ist die Folge dieses Ergebnisses.
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