Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile, die österreichische Staatsbürger sind, schlossen am 17.8.1984 die Ehe. Aus der Ehe stammt die am 27.1.1985 geborene Martina. Vorerst lebten die Streitteile im Haus der Eltern der Klägerin in Patsch. Am 5.2.1986 übersiedelten sie in eine Mietwohnung nach Innsbruck. Am 27.12.1986 kam es zwischen dem Beklagten und seiner Arbeitskollegin Sieglinde H*** zum ersten Geschlechtsverkehr. Seit 14.1.1987 ist die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben. Der Beklagte lebt nunmehr mit Sieglinde H*** in Lebensgemeinschaft.
Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Der Beklagte unterhalte ehebrecherische Beziehungen zu Sieglinde H***. Er habe die Klägerin verlassen. Sie bestritt, selbst Eheverfehlungen begangen zu haben. Der Beklagte wendete überwiegende Mitschuld der Klägerin an der Zerrüttung ein. Die Klägerin habe sich ihm gegenüber lieb- und verständnislos verhalten, sie sei streitsüchtig, habe ihn psychisch fertiggemacht, ihn wiederholt geschlagen und schließlich aus der Wohnung geworfen.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die den Ausspruch des Alleinverschuldens des Beklagten anstrebte, nach Beweiswiederholung, die auch die Frage einer allfälligen Versöhnung der Streitteile umfaßte, nicht Folge. Es stellte fest: Bereits nach der Eheschließung sei es um die gemeinsame Gesprächsgrundlage nicht gut gestellt gewesen. Es habe jedoch ein beiderseitiges Interesse an der Verfestigung der Kommunikationsbasis bestanden. Es sei der Wunsch der Klägerin gewesen, im Haus ihrer Eltern zu verbleiben, dem Beklagten sei aber an einem eigenständigen Familienleben in Innsbruck gelegen gewesen. Er habe die Klägerin von seinem Wunsch überzeugen können. Die monatliche Miete der Innsbrucker Wohnung incl. Betriebskosten habe S 7.200 betragen. Der Beklagte habe als Pfleger monatlich ca. S 11.000 verdient. Es habe daher die Notwendigkeit wirtschaftlicher Einschränkungen bestanden. Aus diesem Grunde habe der Beklagte die Taxilenkerprüfung bestanden, um sich ein zusätzliches Einkommen von monatlich S 2.000 zu verschaffen und den Lebensunterhalt der Familie sicherstellen zu können. Der Umzug nach Innsbruck habe Unstimmigkeiten im ehelichen Zusammenleben zur Folge gehabt. Die Klägerin habe sich in Innsbruck nicht wohl gefühlt. Sie habe die persönlichen und ohnehin nur sehr eingeschränkt verfolgten Interessen des Beklagten (Fußball und Selbsterfahrungsgruppe) nicht teilen wollen. Sie habe den Anspruch gestellt, daß der Beklagte seine Freizeit ausnahmslos bei der Familie verbringe und seine Interessen gänzlich auf sie abstelle. Dies sei sogar so weit gegangen, daß sie dem Beklagten, der ohnehin nur gelegentlich habe ausgehen wollen, das Verlassen der Wohnung untersagt habe. Dadurch habe sich der Beklagte verständlicherweise in seiner persönlichen Sphäre eingeschränkt gefühlt. Obgleich die Klägerin für eine Untreue des Beklagten keinerlei Anhaltspunkte gehabt habe, habe sie die Vermutung gehegt, der Beklagte sei ihr untreu. Im Zusammenhang damit seien ihrerseits Gefühlsausbrüche gestanden, wenn es um Fragen des Haushaltsgeldes und der Kindererziehung gegangen sei. In solchen Belangen habe die Klägerin die dominante Rolle eingenommen, es sei zu lautstarken Auftritten ihrerseits gekommen. Die Klägerin habe dem Beklagten auch wiederholt zum Vorwurf gemacht, er sei beruflich ein Versager, er solle doch mehr verdienen. Diesen Vorwurf habe der Beklagte berechtigterweise als unbegründet gefunden. Er habe sein Einkommen zusätzlich noch durch Massagekurse aufgebessert. Der Beklagte habe sich wegen der Verhaltensweise der Klägerin immer mehr zurückgezogen. Er habe auch unter Depressionen gelitten. Dieses Verhalten des Beklagten habe die Klägerin gereizt. Sie sei dadurch noch aggressiver geworden. Die Klägerin habe sich auch wiederholt zu Tätlichkeiten (Schlägen) hinreißen lassen. Das genaue Ausmaß derselben und deren Intensität könne nicht festgestellt werden, wohl aber, daß diese Tätlichkeiten im Zusammenhang mit unterschiedlichen Auffassungen über die Freizeitgestaltung, mit die Person des Beklagten abwertenden Äußerungen der Klägerin und mit Vorhalten des Beklagten gegenüber der Klägerin über die Verköstigung seiner Person und des Kindes sowie der Haushaltsführung gestanden seien. Daß die Klägerin die Haushaltsführung in gröblicher oder zumindest in nennenswerter Weise vernachlässigt habe, könne nicht festgestellt werden. Es hätten allerdings divergierende Ansichten über die Verköstigung des Kindes bestanden. Der Beklagte habe seit Mitte 1986 vermehrt seine Mahlzeiten an seiner Arbeitsstelle eingenommen. Bedingt durch die Verhaltensweise der Klägerin hätten sich die Streitteile immer mehr entfremdet. Bereits im September 1986 habe zwischen ihnen ein vergiftetes Klima bestanden. Obgleich der Beklagte seine Ehe noch nicht endgültig als gescheitert betrachtet habe, habe er ab Spätherbst 1986 Anschluß bei seinen Arbeitskollegen gesucht, mit denen er einen Teil seiner Freizeit verbracht habe und denen gegenüber er sich über seine Gattin beklagt habe. In dieser Zeit, in der der Beklagte Zuneigung und Verständnis gesucht habe, habe er Sympathie für seine Arbeitskollegin Sieglinde H***, die in Scheidung gelebt habe, gefunden. Im Anschluß an eine Weihnachtsfeier am 21.12.1986 hätten sich beide ihr Leid geklagt. Sie verbrachten damals die Nacht bis in die Morgenstunden zusammen, es sei aber weder zu Zärtlichkeiten noch zu Intimitäten gekommen. Nach seiner Rückkehr in die Ehewohnung sei der Beklagte von der Klägerin zur Rede gestellt worden. Er habe der Klägerin erzählt, daß er bei Sieglinde H*** Trost gesucht habe, er habe aber mit ihr geschlechtlich nicht verkehrt; die Klägerin habe dem Beklagten Glauben geschenkt. Vom ersten Geschlechtsverkehr am 27.12.1986 habe der Beklagte der Klägerin Mitteilung gemacht. In der Folgezeit habe der Beklagte meistens bei Sieglinde H*** übernachtet. Die Klägerin habe den Beklagten, der zwischen den beiden Frauen schwankte, Ende Dezember 1986 unter Mitnahme des Kindes zu Sieglinde H*** zur Rückkehr bewegen wollen. Um den 6.1.1987 habe der Beklagte der Klägerin eröffnet, es sei zwischen ihm und Sieglinde H*** aus. Die Streitteile hätten sich damals versöhnt, es sei auch wiederum zu geschlechtlichen Beziehungen gekommen. Bereits am 14.1.1987 sei der Beklagte jedoch erneut unter Mitnahme seiner persönlichen Fahrnisse zu Sieglinde H*** zurückgekehrt, zu der er sich nunmehr mehr hingezogen gefühlt habe. Seitdem habe er nicht mehr bei der Klägerin übernachtet, er habe die Klägerin allerdings bisweilen aufgesucht. Die Klägerin habe auch noch in der Folgezeit versucht, den Beklagten zu einer Rückkehr zu bewegen, zumal sie neuerlich schwanger gewesen sei (nachfolgende Fehlgeburt). Im Zuge von Aussprachen habe sich die nunmehr völlig verzweifelte Klägerin auch zu Handgreiflichkeiten gegen Sieglinde H*** und den Beklagten hinreißen lassen, denen auch der Beklagte tätlich begegnet sei, wodurch beide Streitteile sich gegenseitig Verletzungen zugefügt haben. Mitte Februar 1987 habe der Beklagte die Klägerin aufgefordert, die eheliche Wohnung zum 1.3.1987 zu verlassen. Die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt bereits fest zur Scheidung entschlossen gewesen, sie sei auch termingerecht aus der Ehewohnung ausgezogen. In dieser wohnten nunmehr der Beklagte und seine Lebensgefährtin. Beweise dafür, daß die Klägerin den Beklagten aus der Ehewohnung hinausgeworfen hätte, lägen nicht vor. Was die Aussöhnung um den 6.1.1987 betreffe, so hätten beide Parteien von einer Versöhnung gesprochen, wenngleich der Beklagte dies im Zuge seiner weiteren Einvernahme wiederum als geschlechtliches Abreagieren habe abtun wollen.
Rechtlich legte das Berufungsgericht dar, daß bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens das Gesamtverhalten der Ehegatten in seinem Zusammenhang maßgebend sei. Die Verhaltensweise der Klägerin sei primär ursächlich für die Zerrüttung der Ehe gewesen. Das Unverständnis der Klägerin an ohnehin nur eingeschränkter persönlicher Interessenverfolgung des Beklagten, ihre grundlose Eifersucht und die hiemit im Zusammenhang gestandene aggressive Verhaltensweise, ihre den psychisch labilen Beklagten schwer treffenden Vorwürfe beruflichen Versagens sowie ihre wider den Beklagten gesetzten Tätlichkeiten hätten zwangsläufig zur Entfremdung der Streitteile und zur Zerrüttung der Ehe beigetragen, wenngleich das Bemühen beider Teile um eine Bewältigung der Ehekrise zumindest bis Herbst 1986 nicht in Abrede zu stellen sei. Die Eheverfehlungen der Klägerin seien es aber letztlich gewesen, die den Beklagten als deren Folge Verständnis und Zuneigung bei einer anderen Frau suchen und auch finden ließen. Wenngleich das ehebrecherische Verhalten des Beklagten als schwere Eheverfehlung anzusehen und nicht zu bagatellisieren sei, so erscheine es doch unter Bedachtnahme auf das vorausgegangene ehefeindliche Verhalten der Klägerin nicht in einem solchen Licht, um es als so gravierend ansehen zu müssen, daß es den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten rechtfertigen könnte. Was die in der Rechtsrüge der Klägerin aufgeworfene Frage der Verzeihung der durch sie gesetzten Eheverfehlungen zufolge der Versöhnung um den 6.1.1987 anlange, so sei darauf zu verweisen, daß sie diese im erstinstanzlichen Verfahren nicht geltend gemacht habe. Von Amts wegen sei aber das Vorliegen von Verzeihung auch dann, wenn sich hiefür auf Grund des in Erscheinung getretenen Verhaltens der Ehegatten Anhaltspunkte ergäben, nicht zu untersuchen und zu beachten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Durch die mit Art.VI Z 2 des Bundesgesetzes über die Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes, BGBl.1983/566, neu geschaffenen Bestimmung des § 460 Z 4 ZPO wurde die Untersuchungsmaxime nur mehr für das Verfahren über die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe aufrechterhalten. Für das Scheidungs- und Aufhebungsverfahren wurde dieser Grundsatz wegen der Möglichkeit, sich im Einvernehmen scheiden zu lassen, nicht mehr für sinnvoll gehalten und daher aufgehoben (AB 78, BlgNR 16.GP). Das bedeutet auch, daß das Gericht ohne entsprechendes Vorbringen nicht von Amts wegen zu prüfen hat, ob eine zur Stützung des Scheidungsbegehrens oder eines Mitschuldantrages vorgebrachte schwere Eheverfehlung in der Folge verziehen worden sei. Hat das Berufungsgericht aber auf Grund der Beweisergebnisse festgestellt, daß sich die Streitteile nach der Erklärung des Beklagten, "es sei zwischen ihm und Sieglinde H*** aus", versöhnten, der Beklagte mit der Klägerin darauf bis 14.1.1987 im gemeinsamen Haushalt lebte und es wieder zu geschlechtlichen Beziehungen der Streitteile gekommen sei, kann dieser Sachverhalt bei der rechtlichen Beurteilung, der das Verhalten der Ehegatten während der gesamten Ehe und insbesondere in letzter Zeit zugrundezulegen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Verzeihung liegt dann vor, wenn ein Ehegatte durch sein gesamtes Verhalten zum Ausdruck bringt, daß er das als Eheverfehlung empfundene Fehlverhalten seines Partners nicht mehr als solches betrachtet und damit vorbehaltlos bereit ist, mit ihm die Ehe fortzusetzen (EFSlg 48.805 mwN; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 56 EheG). Von einer solchen Verzeihung kann nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes keine Rede sein. Immerhin war die Ehe der Streitteile, vor allem durch das Verhalten der Klägerin, bereits seit einiger Zeit extrem gefährdet, sodaß der Beklagte das offenbar dringende Bedürfnis hatte, jemandem sein Leid zu klagen, was dann zum Ehebruch führte. Der Beklagte ist am 6.1.1987 nur zurückgekehrt, weil die Klägerin ihn dazu unter Mitnahme des Kindes zu bewegen vermochte. Die folgende "Versöhnung" war nichts anderes als ein beiderseitiger Versuch, die verfahrene Situation doch noch zu retten. Wenn dieser Versuch bereits nach acht Tagen beendet wurde, kann nicht gesagt werden, daß die Ehe mit der Aussprache am 6.1.1987 auf eine neue Basis gestellt worden wäre und auf dieser Ebene bereits wieder funktioniert hätte. Es handelte sich vielmehr um einen fehlgeschlagenen Versuch, der nicht zur Folge haben kann, daß die bereits zuvor gesetzten Ursachen für die Zerrüttung der Ehe rechtlich in einem ganz anderen Licht erblickt werden müßten. Unter diesem Gesichtspunkt muß auch das unterlassene Vorbringen der Klägerin, es sei zu einer Verzeihung vergangener Eheverfehlungen gekommen, gesehen werden: Sie selbst war offenbar davon überzeugt, daß es zu einer wirklichen Versöhnung nicht gekommen war; es war vielmehr nur ein letzter, offensichtlich hoffnungsloser Versuch, wie er bei bereits sehr gefährdeten Ehen immer wieder vorkommt, aber in vielen Fällen von Haus aus zum Scheitern verurteilt ist. Die weiter zurückliegenden Eheverfehlungen der Klägerin können daher wegen der "Versöhnung" vom 6.1.1987 nicht einer milderen Bewertung unterliegen. Nach § 60 Abs 2 EheG ist das überwiegende Verschulden eines Teiles auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 51.660, 48.834, 46.243 uva), so daß es subtiler Abwägungen nicht bedarf (EFSlg 51.662; Schwind, Eherecht2 251). Für die beiderseitige Verschuldensabwägung ist das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend (EFSlg 51.642, 48.815, 46.230, 46.231); zu berücksichtigen ist, wer den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg 51.643, 48.821, 46.234 ua); die Ursächlichkeit der Verfehlungen für den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung ist von ausschlaggebender Bedeutung (EFSlg 43.680, 43.677, 41.271 ua). Im Sinne dieser Rechtsprechung kann dem gewiß nicht zu vernachlässigenden Ehebruch durch den Beklagten nicht solches Gewicht beigemessen werden, um zu einem überwiegenden Verschulden des Beklagten oder gar zu dessen Alleinverschulden zu gelangen.
Der Revision ist demnach ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)