OGH 1Ob674/88

OGH1Ob674/8811.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria W***, Hausbesitzerin, Krems a.d. Donau, Hafnerplatz 5, vertreten durch Dr. Heinrich Nesvadba, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ernst J***, Pensionist, Lengenfeld, Droß 130, vertreten durch Dr. Ferdinand Weber und Dr. Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems a.d. Donau, wegen Aufkündigung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgerichtes vom 21.April 1988, GZ R 87/88-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 30.Dezember 1987, GZ 2 C 1690/87-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.696,64 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 654,24 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kündigte dem Beklagten die im ersten Stock ihres Hauses Krems an der Donau, Hohensteinstraße 6 a, gelegene, über eine außen angebrachte Eisentreppe erreichbare Wohnung auf. Als Kündigungsgrund machte sie geltend, daß die Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Beklagten oder eintrittsberechtigter Personen regelmäßig verwendet werde. Der Beklagte erhob Einwendungen. Er bestritt den behaupteten Kündigungsgrund, der überdies verspätet geltend gemacht worden sei. Das Erstgericht sprach aus, daß die Aufkündigung rechtswirksam sei; es verurteilte den Beklagten zur Übergabe des Bestandgegenstandes an die Klägerin. Es stellte fest: Das Mietverhältnis zwischen den Streitteilen sei schon etwa 1951 begründet worden. Die Wohnung sei rund 86 m2 groß, der monatliche Bestandzins betrage derzeit S 600. Bis zum Tod seiner Ehegattin im Jahre 1982 habe der Beklagte die Wohnung regelmäßig benützt. Seither wohne er in einem Haus in dem nur wenige Kilometer von Krems an der Donau entfernten Droß, das je zur Hälfte ihm und seiner Tochter Gertrude L*** gehöre. Der Beklagte arbeite, obwohl bereits im Ruhestand, noch immer in dem von ihm seiner Tochter Gertrude L*** übergebenen Unternehmen in Krems an der Donau, Hohensteinstraße 4; die gekündigte Wohnung befinde sich in unmittelbarer Umgebung dieses Standorts. Seit 1983 suche Anneliese L***, die Ehegattin des Enkels des Beklagten, die aufgekündigte Wohnung an Tagen, an welchen das Geschäft der Tochter des Beklagten geöffnet sei, jeweils um 10 Uhr auf und bereite dort für alle im Geschäft tätigen Mitglieder der Familie das Mittagessen zu. Sie räume die Wohnung gleichzeitig auch auf und wasche dort fallweise die Wäsche. Gegen Mittag kämen der Beklagte, seine Tochter und deren Freund in die Wohnung, um dort gemeinsam mit Anneliese L*** und deren Kleinkind zu essen. Danach verließen die Genannten die Wohnung wieder. Zweimal wöchentlich werde die Wohnung von einer Bedienerin aufgeräumt. Das Essen bereite Anneliese L*** deshalb in der Wohnung des Beklagten zu, weil sie selbst bloß eine Garconniere bewohne, in der für so viele Personen nicht ausreichend Platz sei. Der Beklagte übernachte in der Wohnung nur selten dann, wenn er noch spät abends in Krems zu tun habe. Sonst wohne er im Haus in Droß, in dem er auch die Wochenenden zubringe. Auch seine Freizeit verbringe er - abgesehen vom Mittagessen - nicht in der aufgekündigten Wohnung. Mehr als viermal monatlich nächtige er in dieser Wohnung nicht. Gertrude L*** verfüge über eine Wohnung in Krems in der Göttweigergasse, in der das Mittagessen gleichfalls zubereitet werden könnte; die aufgekündigte Wohnung liege aber näher zum Geschäft. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Beklagte benütze die Wohnung nicht regelmäßig, weil er sie nur zur Zubereitung und Einnahme des Mittagessens und fallweise als Absteige verwende. Ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten an ihrer Erhaltung sei zu verneinen, weil ohnehin die nicht allzu weit entfernte Wohnung der Gertrude L*** zur Verfügung stehe, so daß es der Familie zugemutet werden könne, das Mittagessen dort zuzubereiten und einzunehmen. Die Behauptung des Beklagten, er beabsichtige, wieder in Krems zu wohnen, sollte sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtern, sei nicht zu berücksichtigen, weil die bloße Möglichkeit eines künftigen Bedarfes zur Verneinung des Kündigungstatbestandes nicht ausreiche. Die Klägerin habe den Kündigungsgrund auch nicht verwirkt. Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Begehren der Klägerin auf Übergabe des Bestandgegenstandes durch den Beklagten ab; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Der Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs.2 Z 6 MRG liege vor, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen regelmäßig verwendet werde. Das dringende Wohnbedürfnis sei nur zu prüfen, wenn der Mieter die aufgekündigte Wohnung nicht regelmäßig zu Wohnzwecken verwende. Benütze er sie hingegen regelmäßig hiezu, sei die auf § 30 Abs.2 Z 6 MRG gestützte Aufkündigung aufzuheben, ohne daß es noch weiterer Erwägungen zum Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses bedürfte. Der Mieter, dem mehrere Wohnungen zur Verfügung stehen, könne frei entscheiden, welche er regelmäßig benützen wolle. Die Aufkündigung der regelmäßig benützten Wohnung könne nicht darauf gestützt werden, daß der Mieter sein dringendes Wohnbedürfnis auch in einer anderen Wohnung befriedigen könnte. Die Verwendung zu Wohnzwecken sei dann regelmäßig, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraumes im Jahr als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt benütze, nicht jedoch, wenn die Wohnung als Absteige verwendet werde, was etwa dann zutreffe, wenn der Mieter die Wohnung nur zur Behebung der Post oder gelegentlich tagsüber zum Schlafen benütze oder im Winter in der Wohnung mitunter übernachte. Eine bloße Teilbenützung berechtige hingegen noch nicht zur Aufkündigung, weil der Kündigungstatbestand erst dann erfüllt sei, wenn das schutzwürdige Interesse zur Gänze und dauernd fehle. Es genüge somit, daß die Wohnung wenigstens noch teilweise einen wirtschaftlichen und familiären Schwerpunkt bilde, ohne daß dort auch geschlafen werden müßte. Dies gelte gerade für den Fall, daß die Wohnung - wie vom Beklagten - wegen der Nähe des Geschäftes, in dem Mitglieder seiner Familie tätig seien, tagsüber zum Kochen, Essen und zum Aufenthalt regelmäßig verwendet werde. Das schutzwürdige Interesse sei jedoch zu verneinen, wenn alle Wohnbedürfnisse anderweitig, besonders in einer anderen Wohnung im selben Ort, voll befriedigt werden könnten. Das Interesse des Mieters müsse nämlich über das einer bloßen Bequemlichkeit hinausgehen. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen werde die aufgekündigte Wohnung vom Beklagten und dessen Angehörigen, die durch die Essenszubereitung und Wäscheversorgung auch in dessen Interesse tätig würden, regelmäßig an allen Werktagen, an welchen das benachbarte Geschäft geöffnet sei, ab etwa 10 Uhr bis nach dem Mittagessen benützt. Damit sei die Wohnung teilweise wirtschaftlicher und familiärer Schwerpunkt, so daß der geltend gemachte Kündigungsgrund zu verneinen sei, selbst wenn der Beklagte die Wohnung sonst zwecks Übernachtung nur einige Male im Monat benütze. Die festgestellte Benützung der Wohnung diene auch nicht nur der bloßen Bequemlichkeit des Beklagten. Entscheidend sei in dieser Hinsicht, ob der Mieter über eine Wohnung verfüge, deren Benützung ihm zu den festgestellten Zwecken zumutbar sei; dabei müsse es sich aber um eine Wohnung handeln, an der dem Mieter Rechte aus welchem Titel immer zustehen. Über eine solche Wohnung verfüge der Beklagte in zumutbarer Nähe des Geschäftes, in dem er nach wie vor mitarbeite, nicht, sondern nur in Droß. Benütze der Beklagte die aufgekündigte Wohnung regelmäßig, wenn auch eingeschränkt zu Wohnzwecken, so sei die auf § 30 Abs.2 Z 6 gestützte Aufkündigung aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision ist berechtigt.

Die Klägerin stützt ihre Aufkündigung auf § 30 Abs.2 Z 6 MRG. Danach ist es als wichtiger Kündigungsgrund anzusehen, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters (oder eintrittsberechtigter Personen) regelmäßig verwendet wird, es sei denn, daß der Mieter zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken - also nicht etwa zur Freizeitgestaltung - wird von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beträchtlichen Zeitraumes im Jahr - worunter auch einige Tage in der Woche zu verstehen sind - als Mittelpunkt seiner Lebenshaltung benützt. Diesem Erfordernis wird die Benützung als bloße Absteige, nur während der freien Wochenenden bzw. als Urlaubsaufenthalt oder nur aus Bequemlichkeit tagsüber nicht gerecht (vgl. Würth in Rummel, ABGB, § 30 MRG Rz 32 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Das dringende Wohnbedürfnis des Mieters ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn es nicht anderweitig angemessen befriedigt wird (Würth aaO Rz 33 mwN).

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen benützt der Beklagte sowohl seine Wohnung in dem zur Hälfte ihm gehörigen Haus in Droß als auch - wenngleich sehr eingeschränkt - die aufgekündigte Wohnung. Während er jedoch nach Geschäftsschluß des von ihm seiner Tochter Gertrude L*** übergebenen Unternehmens in Krems, in dem er als Pensionist weiter tätig ist, sowie an den Wochenenden und sonst während seiner Freizeit das Haus in Droß benützt, hält er sich in der aufgekündigten Wohnung praktisch nur zur Einnahme des von der Ehegattin seines Enkels dort zubereiteten Mittagessens auf und nächtigt dort fallweise dann, wenn er noch spät abends in Krems bleibt. Danach kann nur die Wohnung in Droß Mittelpunkt seiner Lebenshaltung sein, die nur wenige Kilometer vom Geschäftsbetrieb seiner Tochter entfernt ist.

Liegt allerdings der wirtschaftliche (und familiäre) Schwerpunkt zum Teil auch in der aufgekündigten Wohnung, erfüllt auch die Benützung zweier Wohnungen nicht den von der Klägerin ins Treffen geführten Kündigungstatbestand (Würth aaO Rz 32 mwN). Wie der erkennende Senat in der Entscheidung vom 10.2.1988, 1 Ob 528/88, dargelegt hat, kommt als wirtschaftlicher Mittelpunkt als Merkmal der regelmäßigen Benützung gemieteter Wohnräume im Sinne des geltend gemachten Kündigungsgrundes nur der Haushalt als Element der außerberuflichen Lebenshaltung in Betracht; von einem "familiären" Mittelpunkt kann bei einer alleinstehenden Person schon begrifflich keine Rede sein. Für die Führung eines weiteren Haushaltes in der aufgekündigten Wohnung bieten die erstinstanzlichen Feststellungen aber keinen Anhaltspunkt. Weder die regelmäßige Einnahme des Mittagessens in unmittelbarer Nähe der Betriebsstätte, in welcher der Beklagte auch noch nach dem Übertritt in den Ruhestand mittätig ist, noch die doch nur seltenen Nächtigungen in der aufgekündigten Wohnung lassen auf die Führung eines zweiten Haushaltes als weiteren Lebensschwerpunkt schließen. Letztlich dient die aufgekündigte Wohnung nur als eine bequeme und damit günstige Möglichkeit für die Zubereitung und die Einnahme des Mittagessens in unmittelbarer Nähe des Geschäftes an jenen Tagen, an welchen das Geschäft der Tochter des Beklagten geöffnet ist, und gelegentlich als Absteige. Beide Verwendungszwecke rechtfertigen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht die Annahme eines weiteren Lebensmittelpunktes; diesen hat der Beklagte, wie schon erwähnt, nur in der Wohnung in Droß.

Auch die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Entscheidung MietSlg.32.393 stützt dessen Auffassung nicht. Abgesehen davon, daß der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung hervorgehoben hat, daß stets die Verhältnisse des Einzelfalls entscheiden, hat er auch dort gleich den Vorinstanzen die Aufkündigung für berechtigt erachtet, obwohl - bei sonst ähnlich gelagertem Sachverhalt - der Mieter sogar selbst Inhaber des in der Nähe der aufgekündigten Wohnung gelegenen Unternehmens war und die übrigen Mitglieder seiner Familie, die gemeinsam mit ihm die Wohnung benützten, bei ihm beschäftigt waren. Auch dort wurde letztlich verneint, daß die aufgekündigte Wohnung ein weiterer wirtschaftlicher (und familiärer) Schwerpunkt des Mieters war.

Da sohin der Kündigungstatbestand gemäß § 30 Abs.2 Z 6 MRG erfüllt ist, ist in Stattgebung der Revision das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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