Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 6.171,90 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.028,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 3.März 1961 vor dem Standesamt Wien-Floridsdorf die beiderseits erste Ehe geschlossen, der zwei volljährige und selbsterhaltungsfähige Kinder entstammen; eine Tochter ist verstorben.
Der Kläger und Widerbeklagte (im folgenden kurz Kläger) begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten und Widerklägerin (im nachstehenden kurz Beklagte). Infolge des Todes der gemeinsamen Tochter sei es zu einer Ehekrise gekommen. Der Kläger habe der Beklagten die gesamte finanzielle Gebarung überlassen, diese habe aber über Gebühr an Glückspielautomaten gespielt. In der Folge sei sie zunehmend spät nach Hause gekommen, ohne ihn über ihren Verbleib zu unterrichten. Als er ihr eines Tages im Jänner 1987 deshalb Vorhaltungen gemacht und sie zur Wiederaufnahme einer normalen Ehe oder zur Rückkehr dorthin, woher sie gekommen sei, aufgefordert habe, sei sie aus der Ehewohnung ausgezogen. Am 3.Februar 1987 habe sie ohne sein Wissen von seinem Konto S 25.000 abgehoben und diesen Betrag zur Anschaffung einer eigenen Wohnung verwendet. Überdies habe er noch in Erfahrung gebracht, daß sie von seinem Konto mittels Dauerauftrages ab 5.März 1978 monatlich S 435 abbuchen und auf ein auf ihren Namen lautendes Sparbuch einzahlen habe lassen.
Die Beklagte, die zunächst einen Mitschuldantrag gestellt hatte, erhob später eine Widerklage, mit der sie die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Klägers begehrte. Dieser habe zunehmend dem Alkohol zugesprochen und sie in betrunkenem Zustand beschimpft und geschlagen. Versprechungen, sich zu bessern, habe er nicht eingehalten. Deshalb sei sie aus der Ehewohnung ausgezogen. Sie habe zwar auch dann noch auf eine Besserung des Klägers gehofft, habe aber in Erfahrung bringen müssen, daß der Kläger in der Zwischenzeit mit einer anderen Frau eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden des Klägers (ohne dessen Klagebegehren abzuweisen). Es stellte fest:
Die anfangs harmonisch verlaufene Ehe sei "relativ bald" dadurch beeinträchtigt worden, daß der Kläger dem Alkohol zugesprochen und die Beklagte in betrunkenem Zustand gröblich beschimpft habe. Dieses Verhalten habe die Beklagte viele Jahre hindurch nur deshalb hingenommen, um den gemeinsamen Kindern die Familie zu erhalten. 1986 sei die Tochter der Streitteile verstorben; außerdem habe die Beklagte damals auch noch ihre kranke Mutter pflegen müssen. Angesichts dieser schweren seelischen Belastung habe sie die laufenden Auseinandersetzungen mit dem Kläger nicht mehr ertragen können. Als es eines Tages Ende Jänner 1987 wieder einmal zu einem heftigen Streit gekommen sei und sie der Kläger mit den Worten "...Schleich dich..." zum Verlassen der Ehewohnung aufgefordert habe, sei sie tatsächlich ausgezogen, habe einige Tage bei einer Freundin gewohnt und schließlich eine eigene Wohnung bezogen. Der Kläger habe danach zwar noch einmal versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen, die Beklagte habe aber abgelehnt, weil sie seinen Beteuerungen, sich zu ändern, keinen Glauben mehr habe schenken können. Seit etwa Mai 1987 unterhalte der Kläger zu Emilie K*** geschlechtliche Beziehungen.
Die Streitteile seien übereingekommen, daß die Beklagte über das Konto des Klägers verfügungsberechtigt sein und die erforderlichen Zahlungen für die Familie davon vornehmen sollte. Sie habe 1978 mittels Dauerauftrages die monatliche Abbuchung von S 435 vom Konto des Klägers und die Überweisung auf ein auf ihren Namen lautendes Sparbuch verfügt. Die damit angesparten Beträge habe die Beklagte als Notgroschen der Familie betrachtet und für deren außergewöhnlichen Aufwendungen verwendet. Von diesem Dauerauftrag habe der Kläger, der sich bis zur Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft nie über die finanzielle Lage der Familie gekümmert habe, erst 1987 nach dem Auszug der Beklagten aus der Ehewohnung Kenntnis erlangt. Im Februar 1987 habe die Beklagte vom Konto des Klägers ohne dessen Wissen S 25.000 behoben und diesen Betrag zur Anschaffung einer neuen Wohnung verwendet.
Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesem Sachverhalt, der Kläger habe durch seinen laufenden Alkoholmißbrauch und die damit zusammenhängenden Beschimpfungen eine schwere Eheverfehlung begangen. Die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch die Beklagte sei nur als Reaktionshandlung auf sein Verhalten und daher nicht als Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG aufzufassen. Die eigenmächtigen finanziellen Verfügungen der Beklagten über das Konto des Klägers hätten, da sie erst nach der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erfolgt bzw bekannt geworden seien, keinen Einfluß mehr auf die schon vorher eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe nehmen können. Die Ehe sei deshalb aus dem Alleinverschulden des Klägers zu scheiden.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und schied die Ehe bloß aus seinem überwiegenden Verschulden. Welche rechtliche Bedeutung dem Auszug der Beklagten aus der Ehewohnung beizumessen sei, sei nicht bloß aufgrund des unmittelbar vorausgegangenen Verhaltens des Klägers, sondern auch der Entwicklung der Ehe, die dorthin geführt habe, zu beurteilen. Der Auszug sei nämlich keineswegs Ergebnis eines isoliert zu betrachtenden Vorfalles. Die hartnäckige Neigung des Klägers zum Alkohol sowie die gröblichen Beschimpfungen der Beklagten seien durchaus geeignet, die Ehe zu zerstören, selbst wenn der Kläger auch positive Eigenschaften aufweise. Die Beklagte habe nur deshalb so lange ausgeharrt, weil sie ihren Kindern die Familie habe erhalten wollen; habe sie das Verhalten des Klägers u.a. im Hinblick auf ihre psychische Belastung infolge des Todes ihrer Tochter und die Krankheit ihrer Mutter nicht mehr ertragen, komme ihrem Auszug aus der Ehewohnung keineswegs jene Bedeutung zu, die ihr der Kläger beimessen wolle. Der ohne Wissen des Klägers erteilte Dauerauftrag sei schon deshalb keine schwere Eheverfehlung der Beklagten, weil die Ersparnisse ohnedies für die Familie verwendet worden seien. Soweit der Auftrag erst nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft widerrufen worden sei, dürfe nicht übersehen werden, daß der Beklagten auch noch damals ein Unterhaltsanspruch gegen den Kläger zugestanden sei. Für die Abhebung des Betrages von S 25.000 hätte die Beklagte im Hinblick auf den Verwendungszweck zwar die Zustimmung des Klägers nicht erwarten dürfen, der darin erkennbare Vertrauensbruch sei deshalb auch eine schwere Eheverfehlung, die auch noch nach dem Auszug der Beklagten ins Gewicht gefallen sei, diese Verfehlung trete aber gegenüber dem ehewidrigen Verhalten des Klägers derart in den Hintergrund, daß das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Der Kläger strebt auch in dritter Instanz den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Beklagten, hilfsweise den Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens an. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens von Ehegatten ist vor allem zu berücksichtigen, wer von ihnen die Zerrüttung der Ehe eingeleitet hat, aber auch von wem der entscheidende Beitrag dazu stammt, daß die Zerrüttung unheilbar wurde (EFSlg 54.456, 54.461 ua). Dabei sind die Umstände in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (EFSlg 54.455 ua). Hingegen ist Eheverfehlungen und selbst dem Ehebruch zu einer Zeit, da die Zerrüttung bereits unheilbar geworden ist und keiner der Ehegatten auf die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft erhoffen konnte, für die Frage, welchen der Ehegatten das überwiegende Verschulden trifft, keine entscheidende Bedeutung beizumessen (EFSlg 54.465 ua). Das überwiegende Verschulden eines Ehegatten ist nur anzunehmen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (EFSlg 54.470 ua); das Verschulden des einen Ehegatten muß also erheblich schwerer wiegen als das des anderen, so daß das Verschulden dieses Teiles geradezu in den Hintergrund tritt (EFSlg 54.471 ua).
Bei Bedachtnahme auf diese Grundsätze kann sich der Kläger über die Verschuldensabwägung durch das Gericht zweiter Instanz nicht beschwert erachten. Auszugehen ist von den vorinstanzlichen Feststellungen, wonach der Kläger die bis dahin harmonisch verlaufene Ehe durch seinen Alkoholmißbrauch und durch schwere, ordinäre Beschimpfungen der Beklagten in betrunkenem Zustand beeinträchtigte; trotz seiner Beteuerungen, sein Verhalten zu ändern, verharrte er weiterhin in diesen Verfehlungen. Die Beklagte ertrug diese Exzesse jahrelang, um ihren Kindern die Familie zu erhalten. Infolge der Krankheit ihrer Tochter und deren Todes geriet die Beklagte jedoch allmählich in eine derart schwere seelische Beeinträchtigung, daß sie außerstande war, das Verhalten ihres Mannes weiterhin zu erdulden. Als er sie im Zuge einer der häufigen Auseinandersetzungen unmißverständlich zum Verlassen der Wohnung aufforderte, zog sie tatsächlich aus und kehrte nicht mehr in die Ehewohnung zurück. Der Kläger hat daher ohne Zweifel durch sein jahrelanges Fehlverhalten die Zerrüttung der Ehe nicht nur eingeleitet, sondern zu deren Eintritt auch den maßgeblichen Beitrag geleistet. Daß die zudem psychisch schwer belastete Beklagte unter diesen Umständen seiner - gewiß nicht ernstlich
gemeinten - Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, nun tatsächlich Folge leistete und seinen Beteuerungen, sich wenigstens ab nun zu ändern, keinen Glauben mehr schenkte, weil er seine Versprechungen auch bisher nicht gehalten hatte, kann ihr unter diesen Umständen, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, nicht als schwere Eheverfehlung angelastet werden.
Aber auch der Dauerauftrag, mit dem die Beklagte monatlich S 435 auf ein auf ihren Namen lautendes Sparkonto umbuchen ließ, fällt ihr nicht als Verfehlung im Sinne des § 49 EheG zur Last. Der Kläger hat der Beklagten die finanzielle Gebarung für die Familie zur Gänze überlassen und sich um diese Belange nie gekümmert. Die Beklagte hat die Ersparnisse keineswegs für eigene Sonderinteressen, sondern als Notgroschen für die Familie angespart und auch verwendet. Die Tatsache, daß die Beklagte den Dauerauftrag nach ihrem Auszug aus der Ehewohnung nicht sogleich widerrief, fällt ebenso wie die gewiß treuwidrige Abhebung eines Betrags von S 25.000 vom Konto des Klägers erst in die Zeit nach dem Auszug der Beklagten, mit welchem sie im Hinblick auf das Verhalten des Klägers die eheliche Gemeinschaft endgültig aufgehoben hat. Sie war fest entschlossen, nicht mehr zurückzukehren, und wies deshalb auch sein Ansinnen, es noch einmal mit ihm zu versuchen, zurück. Hat die geistig-seelisch-körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die sittliche Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens auf einer Seite - hier der Beklagten - auch subjektiv zu bestehen aufgehört, so ist die Ehe als unheilbar zerrüttet anzusehen (Schwind, EheR2 ,202 und in Klang2I/1, 764; stR, zuletzt wieder EFSlg 54.384 ff). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes wurde die Zerrüttung der Ehe durch den Auszug der Beklagten in Wahrheit besiegelt. Es kann zwar keinem Zweifel unterliegen, daß die treuwidrige Verfügung über das Konto des Klägers an sich eine schwere Eheverfehlung ist, weil die Beklagte damit das Vertrauen des Klägers mißbrauchte. Das Verhalten der Beklagten erscheint aber deshalb in einem milderen Licht, weil ihr der Kläger während der fraglichen Zeit nach wie vor unterhaltspflichtig und sie infolge des unzumutbaren Gesamtverhaltens des Klägers genötigt war, eine andere Wohnung anzuschaffen. Da überdies schweren Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG, soweit sie erst begangen wurden, nachdem die unheilbare Zerrüttung der Ehe bereits eingetreten war, für die Verschuldensabwägung keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zukommen kann (EFSlg 54.464 f; vgl. Schwind, EheR2, 251 ff), treten die genannten Verfehlungen der Beklagten gegenüber dem für die unheilbare Zerrüttung der Ehe maßgeblichen Gesamtverhalten des Klägers derart in den Hintergrund, daß der Ausspruch seines überwiegenden Verschuldens gerechtfertigt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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