OGH 1Ob646/92

OGH1Ob646/9213.1.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. Ricarda K*****, und 2. Sylvia Lilith D*****, beide vertreten durch Dr.Erich Heliczer, Rechtsanwalt in Bad Vöslau, und der mitbeteiligten Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Herausgabe nach dem 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz infolge Revisionsrekurses der beiden Antragstellerinnen gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 15.September 1992, GZ 6 R 23/92-13, womit der Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19.November 1991, GZ 50 b Nc 1153/87-Pos. 192-7, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der rekursgerichtliche Beschluß wird aufgehoben und die Rechtssache zur allfälligen Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Schreiben vom 29.September 1986 meldeten die beiden Antragstellerinnen als Erben nach ihren Eltern beim Bundesministerium für Finanzen Ansprüche nach dem 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz (in der Folge kurz: 2. KKbG) an, darunter den Anspruch auf Herausgabe eines Gemäldes von Friedrich August Kaulbach, das in dem im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" vom 1.Februar 1986 verlautbarten Verzeichnis unter der Kurzbeschreibung: "2 Kinder in der Kleidung des 19. Jahrhunderts auf Gartenbank, Öl/Holz 17 x 24 sign. u. dat." angeführt war.

Da von der Verwaltungsbehörde unter anderem auch die Herausgabe dieses Gemäldes mit der Begründung verweigert wurde, daß es auch noch von anderen Personen in Anspruch genommen werde, machten die Antragstellerinnen ihre Ansprüche auf Herausgabe unter anderem auch dieses Gemäldes (Pos.Nr. 192) gerichtlich geltend.

Die Mitbeteiligte bestritt die Ansprüche mit dem Hinweis auf sechs weitere Anspruchswerber. Zuletzt wurde die Herausgabe des Bildes außer von den beiden Antragstellerinnen nur noch von einer weiteren Anspruchswerberin begehrt; beide Verfahren wurden zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Erstgericht wies alle Anträge ab.

Es stellte - soweit es um die beiden Antragstellerinnen geht - fest, deren Eltern hätten vor dem Zweiten Weltkrieg eine der bedeutendsten Kunstsammlungen Österreichs besessen; ihr gesamtes Vermögen sei vom Deutschen Reich eingezogen worden. Unter den zahlreichen abhanden gekommenen Gegenständen habe sich auch ein Ölbild von Kaulbach, das zwei Kinder zeigte, befunden. Dieses Gemälde sei jedoch mit dem in Anspruch genommenen Gemälde (Pos.Nr. 192) nicht identisch.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, die Antragstellerinnen bekämpften die erstinstanzliche Feststellung, daß das in Anspruch genommene Bild nicht zu den vom Deutschen Reich beschlagnahmten Gegenständen gehöre. Die Überprüfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung sei dem Rekursgericht jedoch verwehrt: Nach § 6 Abs 5 des 2. KKbG gälten für das gerichtliche Verfahren die Bestimmung der §§ 1 bis 19 AußStrG. An sich sei das Rekursgericht im Verfahren außer Streitsachen regelmäßig berechtigt, die in erster Instanz aufgenommenen Beweise anders zu würdigen. Die genannte Bestimmung sehe jedoch neben anderen Besonderheiten auch eine öffentliche Verhandlung vor; außerdem seien die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Beweis sinngemäß anzuwenden. Über das Rechtsmittel müsse ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Das ergebe sich schon aus der sinngemäßen Anwendung der Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über den Beweis und werde noch durch die Anordnung bekräftigt, daß die öffentliche Verhandlung dem Einzelrichter obliege, wogegen die Rekursinstanz regelmäßig als ein mit drei Richtern besetzter Senat entscheide. Vom Erstrichter in mündlicher Verhandlung aufgenommene Beweise seien dem in der Zivilprozeßordnung verankerten Unmittelbarkeitsgrundsatz unterworfen. Daraus folge aber, daß dem Rekursgericht im Verfahren nach dem 2. KKbG - ebenso wie im Verfahren nach der Zivilprozeßordnung - eine Umwürdigung vom Erstgericht in mündlicher Verhandlung unmittelbar aufgenommener Beweise verwehrt sei. Diese Besonderheiten seien als Ausnahme von der Bestimmung des § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG für das Rekursverfahren anzusehen, so daß die Anfechtung von auf Grund unmittelbarer erstinstanzlicher Beweisaufnahme getroffener Tatsachenfeststellungen ausgeschlossen sei. Das Erstgericht habe beide Antragstellerinnen bei der mündlichen Verhandlung eingehend vernommen und sei dem dabei gewonnenen persönlichen Eindruck zufolge zu den im Rekurs der Sache nach bekämpften Feststellungen über die mangelnde Identität des beanspruchten Gemäldes mit dem beschlagnahmten Bild (Pos.Nr. 192) gelangt. Diese Feststellungen könnten aber wegen der dargelegten Verfahrenslage nicht überprüft werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beiden Antragstellerinnen ist im Ergebnis berechtigt.

Das Gericht zweiter Instanz hat dem auf eine Beweisrüge beschränkten Rekurs der Antragstellerinnen gegen den erstinstanzlichen Beschluß allein schon deshalb einen Erfolg versagt, weil es über das Rechtsmittel ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden habe und daher die Feststellungen des Erstgerichtes nicht überprüfen könne. Dieser Auffassung kann jedoch bei Bedachtnahme auf die erklärten Ziele des

2. KKbG und der danach gebotenen Wertung der dort vorgesehenen besonderen Verfahrensbestimmungen nicht beigetreten werden:

Nachdem das Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz vom 27.Juni 1969, BGBl. 294, den erwarteten Erfolg nicht gezeitigt hatte, sollte mit dem 2. KKbG (BGBl. 1986/2) eine weitere Möglichkeit geschaffen werden, die Kunst- und Kulturgegenstände ihren rechtmäßigen Eigentümern oder deren Erben zurückzugeben, zumal die Republik Österreich, auf die das Eigentum nach den Bestimmungen des Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetzes BGBl 1969/294 übergegangen war, zu keinem Zeitpunkt die Absicht hatte, sich an dem ehemals herrenlosen Kunst- und Kulturgut zu bereichern (RV 790 BlgNR 17. GP, 6). Soll daher dem neuerlichen gesetzgeberischen Akt ein größerer Erfolg beschieden sein als dem schon vollzogenen Gesetz, so dürfen an den den Anspruchswerbern aufgebürdeten Beweis, vor dem Bund Eigentümer des in Anspruch genommenen Guts gewesen zu sein (§ 1 Abs 1 des 2. KKbG) noch dazu, wenn in Rechnung gestellt wird, daß seit dessen Verlust nahezu fünf Jahrzehnte verstrichen waren, keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Da das zur Durchsetzung der mit dem Gesetz eingeräumten Herausgabeansprüche bestimmte besondere gerichtliche Verfahren auch den Geboten des "fair trial" (Art. 6 Abs 1 MRK) gerecht werden sollte (RV 8), sieht das Gesetz im § 6 Abs 5 zwar vor, daß für das Verfahren die §§ 1 bis 19 AußStrG gelten, ordnet aber gleichzeitig an, daß die Verhandlung vor dem Erstgericht öffentlich ist (lit b), die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Beweis sinngemäß anzuwenden sind (lit d) und die Verweisung auf den Rechtsweg unzulässig ist (lit e). Für das Rechtsmittelverfahren sind dagegen - abgesehen vom Ausschluß der Vorstellung - abweichende Bestimmungen, die den Besonderheiten des Verfahrens erster Instanz Rechnung trügen, nicht vorgesehen.

Nun kommt aber gerade in diesem Verfahren der Tatfrage - vor allem dem Beweis, vor dem Bund Eigentümer der in Anspruch genommenen Gegenstände gewesen zu sein - die ganz überwiegende Bedeutung zu, so daß das Verfahren den Interessen der Anspruchswerber, die ohnedies mit einem außergewöhnlich schwer zu erbringenden Beweis belastet sind (vgl. EvBl 1978/146), gewiß nur dann entsprechen kann, wenn sie die Lösung der Tatfrage von der Rekursinstanz überprüfen lassen könnten. Mit den Zielen des 2. KKbG und dessen Verfahrensgarantien ganz und gar unvereinbar, wäre jedenfalls die vom Gericht zweiter Instanz gewählte Lösung, die in nahezu allen Fällen die Unüberprüfbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zur Folge hätte.

Zu Recht geht das Gericht zweiter Instanz davon aus, daß das Verfahren außer Streitsachen zwar anders als das Streitverfahren an sich nicht vom Grundsatz der Unmittelbarkeit beherrscht wird, so daß die Rekursinstanz grundsätzlich die in erster Instanz aufgenommenen Beweise anders würdigen kann als das Erstgericht (WBl 1990, 182; SZ 54/124 u.a.), daß dies aber nicht für jene besonderen außerstreitigen Verfahren gilt, in denen die Beweise vom Erstrichter nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung in mündlicher Verhandlung unmittelbar aufgenommen und daher auch der in diesem Gesetz (in § 276 ZPO) verankerte Unmittelbarkeitsgrundsatz zu beachten ist: Da auch das Verfahren nach dem 2. KKbG ein solches besonderes außerstreitiges Verfahren ist, könnte das Rekursgericht, auch wenn es gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung Bedenken hat, die vom Erstrichter unmittelbar bei der öffentlichen mündlichen Verhandlung aufgenommenen Beweise doch nur anders würdigen und dementsprechend von der angefochtenen Entscheidung abweichende Feststellungen treffen, wenn es selbst die betroffenen Beweisaufnahmen wiederholt bzw. ergänzt hat (vgl. § 488 ZPO). Dazu wäre das Rekursgericht - und hierin ist dem bekämpften Beschluß zu folgen - aber nur bei Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung (wie etwa nach § 37 Abs 3 Z 17 lit g MRG) in der Lage, eine solche Verhandlung ist jedoch im Rechtsmittelrecht des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen nicht vorgesehen. Da aber mit Rücksicht auf die Ziele des 2. KKbG und dessen Motive für die dort angeordneten besonderen Verfahrensbestimmungen, mit welchen der Gesetzgeber den Anspruchswerbern zweifellos zusätzlichen Rechtsschutz gewähren sollte, nicht angenommen werden kann, daß er die Überprüfung der Tatfrage durch die Rekursinstanz auszuschließen gedachte, muß wohl eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Verfahrensrechtes unterstellt werden, die nur im Wege der Analogie geschlossen werden kann (Bydlinski in Rummel, ABGB2 § 7 Rz 2 und 3 mwN). Hiefür kommen ausschließlich die einschlägigen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung in Betracht, deren Anwendung nicht nur schon das Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen in zahlreichen Bestimmungen (zB §§ 3 bis 8 sowie §§ 16 und 17) vorsieht, deren sinngemäße Anwendung in Teilbereichen des erstinstanzlichen Verfahrens aber vor allem bereits § 6 Abs 5 des 2. KKbG anordnet. Dabei sind aber die Bestimmungen über den Rekurs schon deshalb nicht heranzuziehen, weil mit diesem Rechtsmittel die Lösung der Tatfrage - im Bereich unmittelbarer Beweisaufnahmen - gleichfalls nicht bekämpft werden könnte (vgl. Fasching, LB2 Rz 1988), sondern die Vorschriften über die Berufung und im besonderen die Berufungsverhandlung sowie über die Voraussetzungen für die Wiederholung und Ergänzung der erstinstanzlichen Beweisaufnahmen (§ 488 ZPO) und über die Entscheidungsgrundlagen für das Berufungsgericht (§ 498 ZPO). Dies erscheint nicht nur deshalb gerechtfertigt, weil im Verfahren außer Streitsachen - wenn auch in Beschlußform - ebenso wie im Zivilprozeß über Rechtsschutzbegehren und Sachanträge abgesprochen wird, was allein schon in erhöhtem Ausmaß die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung auch im Bereich der Tatfrage erfordert, sondern weil im Streitverfahren mit wenigen Ausnahmen (Besitzstörungs- und Mahnverfahren) mittels Beschlusses bloß das Verfahren gestaltet wird (vgl. Fasching aaO Rz 1376), sodaß die Überprüfung der Tatfrage insoweit zugunsten rascher Erledigung des Rechtsmittels entbehrlich erscheint. Die analoge Anwendung des Berufungsrechts der Zivilprozeßordnung findet im übrigen ein treffliches Vorbild in der Regelung der Überprüfung von mietrechtsgesetzlichen Sachbeschlüssen durch das Rekursgericht, dem durch § 37 Abs 3 Z 17 lit f und g bei Bedenken gegen die erstinstanzlichen Feststellungen gleichfalls die Überprüfung der Tatfrage in mündlicher Rekursverhandlung aufgetragen ist.

So wie nach diesen Bestimmungen wird daher das Gericht zweiter Instanz, hat es gegen die im Rekurs ausdrücklich bekämpften Feststellungen Bedenken, im fortgesetzten Verfahren eine mündliche Rekursverhandlung anzuberaumen und durchzuführen und nach als erforderlich erachteter Wiederholung bzw. Ergänzung der in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweise eigene Feststellungen zu treffen haben.

Zur Sicherung des gerade auch in Art. 6 MRK verankerten rechtlichen Gehörs wird das Gericht zweiter Instanz aber auch - in sinngemäßer Anwendung des § 468 ZPO und des § 37 Abs 3 Z 17 lit c und d MRG - der Mitbeteiligten Gelegenheit zu geben haben, eine Rekursbeantwortung zu erstatten.

Nach diesen Grundsätzen wird sodann das Gericht zweiter Instanz eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.

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