OGH 1Ob62/07k

OGH1Ob62/07k14.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Dr. Wilhelm S*****, und 2) Mag. Roswitha S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann und Dr. Haymo Modelhart, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1) Dr. Josef S*****, 2) Maria S*****, und 3) Mag. Stephan S*****, vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 8.720,-), infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2006, GZ 14 R 180/06y-12, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 16. August 2006, GZ 10 C 1983/05d-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien deren mit EUR 1.964,04 (darin EUR 327,34 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft, auf der ihr Wohnhaus steht. Die Liegenschaft mit dem Wohnhaus der Beklagten grenzt unmittelbar an jene der Kläger. An der östlichen Grundgrenze der Liegenschaft der Beklagten (angrenzend an das Grundstück der Kläger) befindet sich eine Baumreihe, bestehend aus 4 Fichten, 2 Säuleneichen und 2 hochgewachsenen Haselsträuchern, wobei ein Haselstrauch im Mai 2006 eine abgestorbene Baumkrone aufwies. Die genannten Pflanzen sind ca. 10 bis 12 Meter hoch und in vitalem Zustand.

Die Kläger begehrten - gestützt auf § 364 Abs 3 ABGB und nach erfolgloser Vornahme eines Vergleichsversuchs - die Unterlassung der massiven Beschattung ihres Grundstücks, und zwar dergestalt, dass bezogen auf den Sonnenstand zum 21. März und 21. September eines jeden Jahres zwischen 10.00 Uhr vormittags und 16.00 Uhr nachmittags jegliche Beschattung des Grundstücks der Kläger durch den Baumwuchs auf dem Grundstück der Beklagten an der Grenze zwischen diesen Grundstücken unterbleibe. Der südwestliche Gartenbereich ihres Grundstücks sei bereits um 14.00 Uhr völlig beschattet, der Terrassenbereich um 15.00 Uhr und die Liegewiese vor dem Schwimmbecken um 16.00 Uhr, während der Schwimmbeckenbereich um 16.00 Uhr halb beschattet sei. Die Beschattung ihres Grundstücks sei erst seit einigen Jahren gegeben. Davor seien die Bäume auf Grund einer Starkstromleitung stets zu kappen gewesen, was seit dem Bestehen einer Erdverkabelung entfalle. Den Beklagten entstünden durch die Bäume keine Vorteile, da deren Höhe weit über einen Sichtschutz hinausgehe; für die Kläger sei die Beeinträchtigung durch den Baumbestand an der Grenze der Grundstücke der Streitteile hingegen unzumutbar. Durch die von den Beklagten geforderten Maßnahmen würde den Klägern die dem Verwendungszweck eines Gartens entsprechende Nutzung wieder ermöglicht und darüber hinaus die Vermoosung ihres Grundstücks hintangehalten.

Die Beklagten wendeten ein, dass das Klagebegehren nicht bestimmt und nicht bestimmbar sei. Die Villa der Beklagten liege in einem Villenviertel mit sehr altem Baumbestand. Der Bewuchs auf dem Grundstück der Beklagten sei nicht ortsüblich und stelle keine wesentliche Beeinträchtigung für das Grundstück der Kläger dar. Das Erstgericht wies die Klage ab und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Das Grundstück der Kläger erleidet über mindestens zwei Drittel der täglich möglichen Sonnenscheindauer keine Einschränkung durch die Pflanzen auf dem Grundstück der Beklagten. Der wachsende Schatten führt erst in den Abendstunden zur Nutzungseinschränkung. Der Bewuchs der Siedlungszone „M*****" zeigt einen gemischten Bestand an Laub- und Nadelbäumen. Die Bäume sind nicht selten 20 bis 30 Meter hoch, einige Exemplare sind auch höher. Säuleneichen, Fichten und Hasel sind dort häufig anzutreffen. Fichten und Säuleneichen wachsen mit einem primären Leittrieb. Ein früherer Schnitt hätte bei beiden Baumformen eine Horstbildung zur Folge gehabt und wäre deutlich sichtbar; ein Schnitt der Höhe nach kann sohin nicht festgestellt werden. Eine Hasel ist gut schnittverträglich und kann sowohl im Höhenwachstum korrigiert als auch durch Stammentnahme verjüngt werden. Sowohl die Familie der Kläger als auch jene der Beklagten erwarben ihre jeweiligen Grundstücke vor 1984 und bauten etwa zu dieser Zeit ihre Häuser. An der Grundgrenze zwischen den beiden Liegenschaften waren damals überhaupt keine Pflanzen gesetzt. Die Kläger setzten entlang ihrer Grundgrenze eine Thujenreihe. Durch den Bau beider Häuser kam es zu Aufschüttungen für Terrassen und Stiegen. Beide Familien setzten auch zahlreiche Pflanzen auf ihren Liegenschaften, sowohl im Grenzbereich als auch im übrigen Bereich des Gartens. Dass die Vermoosung auf dem Grundstück der Kläger durch übermäßige Beschattung entstünde, kann nicht festgestellt werden. In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass die von den Bäumen und Pflanzen auf dem Grundstück der Beklagten ausgehenden Einwirkungen weder das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten, noch die ortsübliche Benutzung des Grundstücks der Kläger wesentlich beeinträchtigten. Von einer Unzumutbarkeit im Sinne des § 364 Abs 3 ABGB könne keine Rede sein. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Gründe das Gericht seine Feststellungen ausschließlich auf ein Privatgutachten, werde darin ein wesentlicher Verfahrensmangel gesehen. Dieser müsse aber abstrakt geeignet sein, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern. Es sei daher zu fragen, ob unter Zugrundelegung des Klagsvorbringens der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 3 ABGB gerechtfertigt wäre. Bei „negativen Immissionen" von Pflanzen sei das Interesse des Baumeigentümers an der Begründung seines Wohnraums dem Interesse des Beeinträchtigten an der uneingeschränkten Nutzung seines Grundstücks gegenüber zu stellen. Im Hinblick auf diese Interessenabwägung erscheine - unter Zugrundelegung der Klagebehauptungen - der geltend gemachte Abwehranspruch gerechtfertigt. Die Beklagten hätten kein Prozessvorbringen erstattet, warum ihnen „so viel" an den gegenständlichen Pflanzen liege. Sie würden sich ausschließlich darauf berufen, dass die Beschattung des Grundstücks der Kläger zumutbar und ortsüblich sei. Dem gegenüber stehe das Interesse der Kläger an einer ortsüblichen Gartenbenutzung vor allem während der warmen Jahreszeit. Je geringer das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des 10 bis 12 Meter hohen Baumbestands sei, umso eher erscheine eine durch diesen Baumbestand hervorgerufene Beschattung des Nachbargrundstücks als unzumutbar. Hinsichtlich der Ortsüblichkeit komme es nicht auf den Bewuchs der Siedlungszone „M*****" an, sondern nur auf die Ortsüblichkeit der Immission. Es sei daher maßgeblich, ob die von den Klägern geschilderte Beschattung ihres Grundstücks durch Bäume auf dem Nachbargrund ortsüblich sei. Schließlich seien Feststellungen zu den Beschattungsverhältnissen zum 21. März und 21. September eines jeden Jahres zu treffen, weil das Klagebegehren auf diese Zeitpunkte abstelle und als gerichtsbekannt unterstellt werden könne, dass die Lichtverhältnisse auf Grund des höheren Sonnenstands in der Zeit zwischen 21. März und 21. September ohnehin günstiger seien. Der Rekurs sei gemäß § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ZPO zuzulassen, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage existiere, ab welcher Intensität des Entzugs von Licht überhaupt ein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 3 ABGB gerechtfertigt sein könne und ob diese Zumutbarkeitsgrenze im Hinblick auf das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und der Interessenabwägung von Fall zu Fall unterschiedlich hoch angesetzt werden müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt. Die Kernfrage des gegenständlichen Rechtsstreits ist jene nach der Zumutbarkeit der Beeinträchtigung.

Die im § 364 Abs 2 ABGB genannten Immissionen können dem Nachbarn bereits dann untersagt werden, wenn sie die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Dem gegenüber normiert § 364 Abs 3 Satz 1 ABGB die Notwendigkeit einer „Unzumutbarkeit" der Beeinträchtigung. Die Gesetzesmaterialien (173 BlgNR 22. GP , 12) begründen diese Differenzierung zu Abs 2 damit, dass negative Immissionen (also vor allem der Schattenwurf, aber auch die Beeinträchtigung der Duchlüftung eines Grundstücks) in aller Regel weniger schwer wiegen als positive Einwirkungen, weshalb an sie, damit sie den selben Grad an Beeinträchtigung erreichen, ein strenger Maßstab angelegt werden muss. Eine unzumutbare Beeinträchtigung ist daher immer mehr als eine wesentliche Beeinträchtigung (siehe auch Kerschner in RZ 2004, 9).

Der Oberste Gerichtshof hatte sich erst jüngst mit einer auf § 364 Abs 3 ABGB gestützte Klage zu befassen (8 Ob 99/06a). Dort wies das von den Klägern in einem „sehr begrünten" Villenviertel einer Kleinstadt errichtete Einfamilienhaus überkragende Dächer mit schwarz-braun lasiertem Holz auf. Der dadurch bedingte Schattenwurf führte dazu, dass die Kläger im Haus selbst mittags künstliches Licht einschalten mussten. Auf dem der Beklagten gehörigen Nachbargrundstück standen 55 Fichten mit einer durchschnittlichen Höhe von 22 m, die alternativ 1,5 m bis 3 m vom bestehenden Zaun entfernt emporwuchsen. Diese Fichten beeinflussten den Lichteinfall auf dem Grundstück der Kläger zwischen November und Februar jeden Jahres wesentlich. Zwischen April und August wurde das Grundstück der Kläger durch die Fichten bei Höchststand der Sonne gar nicht beeinträchtigt. Vor dem 20. April und nach dem 23. August jeden Jahres begannen die durch die Bäume bedingten Schattenspitzen mittags langsam zu wachsen. Die Fichten beeinflussten an 95 bzw. 91 Tagen (je nach Sonnenhöhe) den Lichteinfall zu Mittag stark. Das auf eine Reduktion des Bewuchses der Nachbarliegenschaft gerichtete Begehren der Kläger blieb in allen Instanzen erfolglos. Der Oberste Gerichtshof leitete aus dem Wortlaut des mit 1. 7. 2004 in Kraft getretenen § 364 Abs 3 ABGB ab, dass nur unzumutbare Beeinträchtigungen des Nachbargrundstückes durch Entzug von Licht und Luft (sogenannte „negative Immissionen") untersagt werden könnten. Unzumutbarkeit sei im Einzelfall umso eher verwirklicht, als zeitlich und räumlich überwiegend (über 50 %) kein Sonnenlicht in Wohnräumen und/oder im Garten einfallen könne. Das sei im Anlassfall deshalb zu verneinen, weil der Lichtentzug im Haus (vorwiegend) aus dessen Bauweise resultiere und auch im Garten und auf der Terrasse selbst während der Wintermonate kein gänzlicher Lichtentzug durch die Fichten bewirkt werde.

Stellt man diesen Sachverhalt dem hier zu beurteilenden gegenüber, so ist zunächst festzuhalten, dass sich die Kläger (offensichtlich) über die Beeinträchtigung der Nachmittags-Sonne auf ihrer Liegenschaft beklagen. Der an das Grundstück der Beklagten angrenzende Gartenbereich sei ab 14 Uhr beschattet, der Terrassenbereich ab 15 Uhr, und der Schwimmbadbereich ab 16 Uhr.

Nach Kerschner (aaO) wäre ein eindeutiger Fall der unzumutbaren Beeinträchtigung etwa jener, dass zeitlich und räumlich überwiegend (über 50 %) kein Sonnenlicht in Wohnräume und/oder den Garten dringt. In allen anderen sonstigen Grenzfällen bedürfe es einer Abwägung beweglicher Elemente wie etwa die Sonnenlichtabhängigkeit der Nutzung. Dauer und Ausmaß der Beschattung, Dauer der betroffenen Nutzung, Schwierigkeit der Abhilfemöglichkeiten.

Im vorliegenden Fall kann bereits auf Basis des klägerischen Vorbringens - eindeutig festgehalten werden, dass (noch) keine zeitlich und örtlich überwiegende Beschattung des Grundstücks der Kläger gegeben ist.

Bei der Interessenabwägung schlägt die objektiv doch relativ geringe Beeinträchtigung (erst am [zum Teil späteren] Nachmittag und „nur" im „Freizeitbereich") maßgeblich zu Gunsten der Beklagten aus. Die für die Kläger sprechende Umstände (dass die Beklagten keine besondere Bedeutung der Pflanzen für das eigene Grundstück ins Treffen führen konnten, dass die Bäumen frühestens Mitte der 1980-er Jahre gepflanzt wurden und erst vor kurzem eine die Kläger störende Höhe erreichten) sind dem gegenüber nicht gravierend genug, um zu einer Gesamtbeurteilung im Sinne einer Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks iSv § 364 Abs 3 ABGB zu gelangen. Somit fehlt es (ebenso wie bei dem der oben angeführten Vorentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt) bereits an der grundlegenden Voraussetzung zur Gewährung des Unterlassungsanspruchs nach der zitierten Gesetzesstelle, nämlich an der unzumutbaren Beeinträchtigung. Auf die (grundsätzlich richtigen) Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage der Ortsüblichkeit ist nicht näher einzugehen, da - auch hier - zumindest feststeht, dass sich die Grundstücke in einem „sehr begrünten" Villenviertel mit starkem Baumwuchs befinden, sodass die Beeinträchtigungen noch im Bereich der Ortsüblichkeiten liegen. Ebenso bedarf es keines Eingehens auf die Frage der Bestimmtheit des Klagebegehrens, weil dieses jedenfalls abzuweisen ist. Es wird allerdings ausdrücklich festgehalten, dass die getroffene Beurteilung auf der derzeitigen Sachlage beruht, welche sich im Lauf der Zeit auf Grund eines verstärkten Baumwuchses anders darstellen könnte.

Dem Rekurs der Beklagten ist daher Folge zu geben und das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf §§ 50, 41 ZPO.

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