Spruch:
Voraussetzung für den Erfolg einer auf einen Zinsrückstand gestützten Räumungsklage nach § 1118 ABGB gegen mehrere Mitmieter ist die Einmahnung des rückständigen Bestandzinses gegen jeden Mitmieter
OGH 27. 6. 1984, 1 Ob 616/84 (LGZ Wien 41 R 897/83; BG Döbling 5 C 185/83)
Text
Die Beklagten mieteten im Jahre 1979 gemeinsam die Wohnung Nr. 9 des Hauses der Klägerin Wien 19., H-Straße 3/9, die nur der Erstbeklagte, der der Sohn der Zweitbeklagten ist, bewohnt. Die Betriebskosten werden monatlich abgerechnet, sodaß die Zinshöhe schwankt; die Vorschreibungen werden regelmäßig in den Briefkasten eingeworfen.
Die Klägerin behauptet, die Beklagten hätten trotz wiederholter Mahnungen den Mietzins für die Monate November 1981 bis April 1982 nicht (vollständig) bezahlt, sodaß sie gemäß § 1118 ABGB die frühere Aufhebung des Vertrages fordern könne. Die Klägerin begehrte daher von den Beklagten Zahlung des aufgelaufenen Mietzinsrückstandes von 5 262.30 S sA und die Räumung des Bestandobjektes.
Gegen die Beklagten erging zunächst Versäumungsurteil. Dieses wurde, was die Zweitbeklagte betrifft, wegen Nichtigkeit der Klagszustellung zur Gänze aufgehoben. Gegen den Erstbeklagten blieb das Versäumungsurteil, was die Verpflichtung zur Zahlung des Mietzinsrückstandes betrifft, aufrecht. Die Zweitbeklagte bezahlte den aufgelaufenen Mietzinsrückstand vor Schluß der Verhandlung erster Instanz. Mit der Behauptung, es treffe sie an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden, beantragten die Beklagten Abweisung des Räumungsbegehrens.
Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das auf Räumung eingeschränkte Klagebegehren ab und traf folgende wesentliche Feststellungen: Die Miete für das Bestandobjekt sei bis 1982 von der Zweitbeklagten bezahlt worden. Der Erstbeklagte habe keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er sei seit Jahren arbeitslos und beziehe längst keine Arbeitslosenunterstützung mehr, sondern nur Sozialhilfe. Auch die Ehegattin des Erstbeklagten sei seit Juni 1982 arbeitslos. Der Erstbeklagte habe im Dezember 1981 einen Schlaganfall erlitten. Er sei bei mehreren Ärzten wegen Gedächtnisstörungen in Behandlung. Seither kümmere er sich um nichts mehr und stehe seinen finanziellen Verpflichtungen höchst gleichgültig gegenüber. Im März 1982 sei es zu einem Streit zwischen den Beklagten gekommen. Die Zweitbeklagte habe zum Erstbeklagten erklärt, daß sie künftig keine Zahlungen mehr leisten werde. Der Erstbeklagte solle sich an seinen Vater, den geschiedenen Ehemann der Zweitbeklagten, halten. Vor diesem Streit habe der Erstbeklagte der Zweitbeklagten noch die Vorschreibungen für die Mietzinse von Jänner bis März 1982 übergeben. Die Zweitbeklagte habe den Zins für Feber 1982 in der Höhe von 1 581.10 S am 31. 3. 1982, den Zins für März 1982 in der Höhe von 1 522 S am 30. 3. 1982 und den Zins für Jänner 1982 in der Höhe von 1 458.80 S am 22. 4. 1982 bezahlt. Der Erstbeklagte sei nicht in der Lage gewesen, den Zins selbst zu zahlen und habe sich auch nicht an seinen Vater um Bezahlung gewendet. Er habe sich um die (weiteren) Vorschreibungen nicht gekümmert, sodaß die Zweitbeklagte von deren Höhe und davon, daß keine Zahlungen geleistet wurden, nichts erfahren habe. Im Zeitpunkt der Klage (21. 4. 1982) sei noch der Mietzins für April 1982 in der Höhe von 1 946.50 S und ein Restbetrag (aus dem Vorjahr) in der Höhe von 202, 40 S offen gewesen. Im Laufe des gegenständlichen Verfahrens, von dem die Zweitbeklagte erst am 19. 10. 1982 (anläßlich der auf Grund des ursprünglich ergangenen Versäumungsurteiles bewilligten Delogierung) Kenntnis erhalten habe, seien weitere Mietzinsrückstände aufgelaufen, die die Zweitbeklagte ab 8. 11. 1982 jeweils unverzüglich nachgezahlt habe, sobald sie die Vorschreibungen vom Erstbeklagten erhalten habe. Per 1. 6. 1983 habe kein Rückstand mehr bestanden.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß zwar die Voraussetzungen des § 1118 ABGB gegeben seien, weil im Zeitpunkt der Klage noch ein Restbetrag aus einer früheren Zinsperiode offen gewesen sei, doch treffe beide Beklagten an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden. Der psychische Zustand des Erstbeklagten mildere sein Verschulden. Die Zweitbeklagte habe selbst keine Vorschreibungen erhalten und damit rechnen dürfen, daß der Erstbeklagte seinen Vater zur Zahlung heranziehen werde. Sie habe, als sie vom Rückstand erfahren habe, unverzüglich für die Nachzahlung gesorgt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die Beklagten zur Räumung der Wohnung verpflichtete, und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15 000 S, nicht aber 300 000 S übersteigt und die Revision nicht zulässig ist. Es könne dahingestellt bleiben, ob man die gleichgültige Haltung des Erstbeklagten wegen seines Gesundheitszustandes nicht als grobes Verschulden werte, weil jedenfalls die Zweitbeklagte ein grobes Verschulden am Mietzinsrückstand treffe, habe sie doch von der Zahlungsunfähigkeit des Erstbeklagten wissen müssen. Das grobe Verschulden auch nur eines Mitmieters schließe die Anwendung des § 33 Abs. 2 und 3 MRG ebenso aus, wie ein unbeteiligter Mitmieter den vom anderen Mitmieter gesetzten Kündigungsgrund gegen sich gelten lassen müsse.
Über die außerordentliche Revision der Beklagten änderte der Oberste Gerichtshof das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß er das Urteil des Erstgerichtes wiederherstellte.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung der Rechtsfrage des materiellen Rechts abhängt, wie die zur früheren Aufhebung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB erforderliche Einmahnung zu erfolgen hat, wenn mehrere Personen Bestandnehmer sind. Diese Frage kommt insbesondere zur Wahrung der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu, weil dazu Rechtsprechung des OGH fehlt.
Der Zulässigkeit der Revision steht auch nicht der Hinweis der Revisionsgegnerin entgegen, daß die Beklagten auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung in einem anderen, dasselbe Bestandobjekt betreffenden Mietrechtsstreit (Kündigung gemäß § 30 Abs. 2 Z 1 MRG) zur Räumung des Bestandobjektes verpflichtet seien. Der bereits in einem anderen Verfahren nach Schluß der Verhandlung erster Instanz rechtskräftig zur Räumung verurteilte Mieter hat immer noch ein Rechtsschutzinteresse an der Bekämpfung eines weiteren Räumungsurteils. Seine Beschwer ergibt sich schon aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit, die im anderen Verfahren ergangene Entscheidung mit einer Rechtsmittelklage oder einem anderen noch möglichen Rechtsbehelf erfolgreich zu bekämpfen (ähnlich EvBl. 1971/218). Ein Rechtsschutzinteresse der Beklagten liegt aber auch in der Bekämpfung der ihnen (hier vom Berufungsgericht) in vollem Umfang auferlegten erstinstanzlichen Prozeßkosten (JBl. 1977, 650; EvBl. 1971/218, vgl. auch EvBl. 1962/13), zu deren Tragung sie vom Erstgericht unter Anwendung des § 33 Abs. 2 zweiter Halbsatz, Abs. 3 MRG nur zum Teil rechtskräftig verpflichtet wurden.
Gemäß § 1118 ABGB kann der Bestandgeber die frühere Aufhebung des Vertrages fordern, wenn der Bestandnehmer nach geschehener Einmahnung mit der Bezahlung des Zinses dergestalt säumig ist, daß er mit Ablauf des Termins den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet hat. Mehrere Mitmieter haften für die Bezahlung des Mietzinses, soweit nichts anderes vereinbart ist, solidarisch (MietSlg. 19 063; SZ 30/17; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 285; Klang in seinem Komm[2] V 8; Ehrenzweig[2] II/1, 89, 97; Gamerith in Rummel, ABGB, Rdz. 7 zu § 891), sodaß ein Mitmieter auf Verlangen des Vermieters allein den ganzen Mietzins bezahlen muß (MietSlg 19 063). Jedem Mitmieter steht auch die Benützung des gesamten Bestandgegenstandes zu (Klang in seinem Komm aaO). Jeder ist Vollmieter und muß nur im Innenverhältnis auf die (Mit-)Mietrechte des anderen Bedacht nehmen. Soweit daher zur Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen - wie der Erklärung der vorzeitigen Aufhebung des Vertrages gemäß §§ 1118 ABGB - eine Einmahnung der Solidarschuld erforderlich ist, muß sie, um gegen den jeweiligen Mitmieter Rechtsfolgen zu bewirken, diesem gegenüber vorgenommen werden, weil bei Solidarschuldverhältnissen der Leistungsverzug, das Verschulden eines Verpflichteten und auch die Mahnung lediglich subjektiv wirken (SZ 54/119; JBl. 1960, 255; Ehrenzweig[2] II/1, 100 f.; Gschnitzer in Klang aaO 310 f.; Koziol-Welser, Grundriß[6] I 239; Gamerith aaO Rdz. 2 zu § 894 ABGB). Daß der von einem Mitmieter gesetzte Vertragsauflösungsgrund auch gegen den anderen Mitmieter wirkt, gilt entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht für die Nichtzahlung des Mietzinses; für dessen Zahlung ist jeder Mitmieter, wenn auch solidarisch mit dem anderen, voll verantwortlich, muß aber auch, wenn die Folgen des § 1118 ABGB abgeleitet werden sollen, nicht nur mitgeklagt, sondern zuvor auch persönlich und, wenn er die Wohnung nicht mitbenützt, sondern anderswo wohnt, gesondert gemahnt werden. Die bloße Mahnung seines Mitmieters muß er keineswegs ohne weiteres gegen sich gelten lassen.
Da die Zweitbeklagte die monatlichen Zinsvorschreibungen in wechselnder Höhe nicht übermittelt erhielt und, da sie von den Rückständen nicht wußte und bei deren Kenntnis sofort zahlte, auch nicht gemahnt war, liegen bei ihr die besonderen Voraussetzungen, die § 1118 ABGB für eine frühere Aufhebung des Vertrages aufstellt, nicht vor. Die mit der Räumungsklage verbundene Zinsklage konnte die "Einmahnung" iS des § 1118 ABGB nicht ersetzen, weil auch die Klage der Zweitbeklagten nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Zur Zeit der Behebung dieses Mangels war der der Klage zugrunde liegende Mietzinsrückstand bereits bezahlt.
Da das Verschulden und die Mahnung bei Solidarschuldverhältnissen, wie oben ausgeführt, nur subjektiv wirkt, kann sich die Zweitbeklagte darauf berufen, daß sie mangels Vorschreibung und Einmahnung des Zinses nicht säumig iS des § 1118 ABGB war, sodaß es für sie auf die weitere Voraussetzung, ob sie an dem (objektiv vorhandenen) Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft, nicht mehr ankommt. Wirksam gemahnt wurde wohl der Erstbeklagte, doch ist gegen ihn allein die Räumungsklage nicht möglich, weil das Mietverhältnis nur gegen beide Mitmieter gemeinsam aufgelöst werden kann. Gestaltungsrechte sind unteilbar; eine Teilauflösung, die nur einem Mitmieter gegenüber wirkt, ist unzulässig (Gschnitzer in Klang aaO, 281 f.; Gamerith in Rummel aaO, Rdz. 3 zu § 889). Der Erstbeklagte leitet im übrigen sein (Mit-)Benützungsrecht (auch) von der Zweitbeklagten ab und könnte schon aus diesem Grund nicht allein zur Räumung verhalten werden.
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