Normen
EO §42 Abs1 Z5
EO §349
Mietengesetz §39
Mietengesetz §40
Schutzverordnung Art6
ZPO §568
EO §42 Abs1 Z5
EO §349
Mietengesetz §39
Mietengesetz §40
Schutzverordnung Art6
ZPO §568
Spruch:
Spruchrepertorium Nr. 31.
Nach Art. 6 SchutzV. kann ein Räumungsaufschub nur mit Rücksicht auf die Interessen des Verpflichteten (Schuldners) bewilligt werden, nicht aber mit Rücksicht auf die Interessen dritter Personen, denen der Verpflichtete die Wohnung ganz oder teilweise vertraglich überlassen hat.
Entscheidung vom 22. September 1951, 1 Ob 614/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Judenburg; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Auf Grund eines Urteiles des Bezirksgerichtes Judenburg wurde gegen den Hauptmieter Exekution bewilligt. Oskar H., der in dem genannten Hause wohnt, behauptet, daß ihm der Verpflichtete diese Wohnung seinerzeit als Dienstwohnung eingeräumt hat; er hat Aufschiebung der Exekution auf Grund des Art. 6 der Schutzverordnung beantragt.
Das Exekutionsgericht bewilligte den Aufschub bis 1. September 1951.
Das Rekursgericht hat den Aufschiebungsantrag abgewiesen, weil Oskar H. in keinen rechtlichen Beziehungen zur betreibenden Partei, sondern nur zum Verpflichteten stehe. Er sei daher am Exekutionsverfahren als Partei nicht beteiligt. Als Unterbestandnehmer teile er das Schicksal des Hauptmieters. Oskar H. hat gegen diesen Beschluß Revisionsrekurs erhoben.
Der Oberste Gerichtshof hat den Revisionsrekurs des Oskar H. als unzulässig zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach Art. 6 Schutzverordnung kann das Vollstreckungsgericht (nach österreichischer Terminologie Exekutionsgericht) Maßnahmen der Zwangsvollstreckung (nach österreichischer Terminologie der Exekution) jeder Art ganz oder teilweise aufheben, untersagen (die Bewilligung der Exekution ablehnen) oder einstweilen einstellen (aufschieben), wenn es der Auffassung ist, daß dies im Interesse des Schuldners (nach österreichischer Terminologie Verpflichteten) dringend geboten ist und dem Gläubiger (nach österreichischer Terminologie dem betreibenden Gläubiger) nach Lage der Verhältnisse zugemutet werden kann. Der Wortlaut der Schutzverordnung bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Schutz über die Person des Verpflichteten (Schuldner nach deutscher Terminologie) hinaus auf dritte Personen, deren Interessen durch die Exekution berührt werden, erstreckt werden soll.
Gegen Ausdehnung des Schutzes auf Untermieter und andere Personen, die ihre Berechtigung zur Benützung der zu räumenden Lokalitäten vom Verpflichteten ableiten, spricht insbesonders auch die Analogie der §§ 39 und 40 MietG., die nur aus wichtigen Gründen in der Person des Mieters eine Verlängerung der Räumungsfrist zulassen.
Gegen die Erweiterung des Vollstreckungsschutzes auf dritte in der Wohnung befindliche Personen spricht weiter insbesonders die verfahrensrechtliche Erwägung, daß im Exekutionsverfahren par nicht festgestellt werden kann, ob der in der Wohnung befindliche Dritte auch nur dem Verpflichteten gegenüber berechtigt ist, dort zu wohnen. Auch im vorliegenden Fall liegt nicht mehr vor als die einseitige Behauptung des Rechtsmittelwerbers, der sich selbst als arbeitsunfähig und Fürsorgerentner bezeichnet, aber anderseits behauptet, daß er auf Grund eines Dienstvertrages mit dem Verpflichteten die Wohnung innehabe. Es würde den Grundsätzen des Exekutionsrechtes widersprechen, wenn man das Exekutionsgericht verpflichten wollte, jedesmal, wenn ein Dritter Rechte an der zu räumenden Wohnung behauptet, erst von Amts wegen zu erheben, ob diese Behauptung richtig ist oder nicht.
Das Räumungsverfahren richtet sich wie jedes Exekutionsverfahren gegen einen bestimmten im Exekutionstitel genannten Verpflichteten. Auf Grund des Exekutionstitels ist der betreibende Gläubiger berechtigt, alle in der Wohnung befindlichen Personen und Sachen, ohne Rücksicht auf angebliche Unterbestandrechte etc. (§ 349 EO.), exekutiv entfernen zu lassen. Wer ein Recht an der Wohnung behauptet, das dem betreibenden Gläubiger gegenüber wirksam sein soll, ist auf die Klage nach § 37 EO. gewiesen. Es geht nicht an, auf dem Umweg über den Vollstreckungsschutz die Exszindierungsvorschriften zu umgehen.
Der Senat hält daher an seiner bisherigen Praxis (Entscheidungen vom 10. Jänner 1951, 1 Ob 751/50; vom 17. Jänner 1951, 1 Ob 14/51) fest und lehnt die gegenteilige in den Entscheidungen vom 3. April 1950, 3 Ob 203/50 (MietSlg. II, Nr. 1596), 21. Februar 1951, 3 Ob 97/51, und 8. August 1951, 3 Ob 439/51, vertretene Auffassung ab. Der Senat kann sich den in diesen Entscheidungen angeführten Gründen nicht anschließen.
Der 3. Senat meint, daß gegen die Auffassung des 1. Senates der Umstand spreche, daß dann der Gattin und den Kindern jeder Räumungsaufschub verweigert werden müßte, wenn der mit der Familie entzweite Mieter den Mietvertrag gekundigt habe und weggezogen sei. Das ist wohl richtig, aber kein Argument gegen die hier vertretene Rechtsauslegung, denn diese Wirkung ist eine selbstverständliche Folge des Umstandes, daß der Hauptmieter imstande ist, das Bestandverhältnis ohne Bedachtnahme auf die Interessen seiner Familienangehörigen zur Auflösung zu bringen und sie so dauernd und endgültig um die Wohnung zu bringen. Dagegen gibt es keinen Schutz, es ist daher - arg. a maiori ad minus - nicht einzusehen, warum es untragbar sein soll, wenn der Hauptmieter durch sein Verhalten die Mitbewohner auch um einen kurzfristigen Räumungsaufschub bringen kann.
Ein weiteres Argument gegen die Auffassung des 1. Senates wird darin erblickt, daß sich nach der hier vertretenen Auffassung eine verschiedene Behandlung ergebe, je nachdem der Vermieter gegen den in der Wohnung verbliebenen Untermieter einen Räumungstitel erwirkt oder gemäß § 568 ZPO. vorgeht. Auch das ist richtig, aber nicht entscheidend; denn zu einem Räumungsurteil gegen den Untermieter kommt es in der Regel nur dann, wenn es strittig ist, ob dem Untermieter ein eigenes, vom Hauptmieter unabhängiges Recht an der Wohnung zusteht und wenn durch die Klage gegen den Untermieter ein drohender Exszindierungsprozeß von vornherein unmöglich gemacht werden soll. Da in diesem Fall das angebliche Sonderrecht des Untermieters Prozeßgegenstand war, so ist es nicht unbillig, daß ihm ebenso wie jedem anderen Räumungspflichtigen, der einen Räumungsprozeß verloren hat, die Möglichkeit, einen kürzeren Räumungsaufschub zu erwirken, gewährt wird; der betreibende Gläubiger tauscht dafür den Vorteil ein, einen Aufschub der Exekution während des drohenden Exszindierungsprozesses zu verhindern. Anders ist die Rechtslage aber dann, wenn der Untermieter (Dritter) ein eigenes Recht an der Wohnung nicht einmal behauptet und unbestritten ist, daß er die Exekution nach § 568 ZPO. über sich ergehen lassen muß. Hier steht dem betreibenden Gläubiger als Gegner ausschließlich der Mieter gegenüber; es ist daher für einen Aufschub der Exekution gegen den Untermieter (Dritten) kein Raum, weder nach § 42 Abs. 1 Z. 5 EO. noch nach dem Art. 6 Schutzverordnung. Es haben daher auch schon in der Zeit der deutschen Herrschaft in Österreich die Untergerichte - das Reichsgericht hatte keine Gelegenheit, sich mit dieser Frage zu befassen - überwiegend die Anwendung des Vollstreckungsschutzes auf Untermieter mit eingehender Begründung abgelehnt (Entscheidungen des Landgerichtes Wien vom 3. Mai 1940, DREvBl. 1940, Nr. 253, und 26. August 1941, DREvBl. 1941, Nr. 339); die entgegengesetzte Auffassung wurde nur in den nicht näher begrundeten Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien vom 30. Oktober 1943, DREvBl. 1944, Nr. 74, und 14. März 1944, DREvBl. 1944, Nr. 126, vertreten. Dieser Entscheidung hat sich nach der Befreiung das Landesgericht Graz in der Entscheidung vom 21. Oktober 1949, MietSlg. I, Nr. 1088, mit der offenbar rechts, irrigen Begründung angeschlossen, daß das Verfahren nach der Schutzverordnung ein außerstreitiges Verfahren sei, in dem jedermann, der sich durch eine Entscheidung beschwert erachte, zur Erhebung von Rechtsmitteln befugt sei. Das ist schon deshalb verfehlt, weil das Aufschiebungsverfahren ein Teil des Exekutionsverfahrens ist und daher den Verfahrensvorschriften des Exekutionsrechtes, bzw. des Zivilprozeßrechtes, nicht aber denen des Außerstreitverfahrens unterliegt. Das Landesgericht für ZRS. Wien hat dagegen auch nach der Befreiung an seiner Praxis in der Okkupationszeit festgehalten (vgl. die Entscheidungen in der MietSlg. I, Nr. 1084 ff.).
Im Schrifttum hat Michlmayr mehrfach, z. B. Hausbesitzerzeitung 20/49, gegen die Rücksichtnahme der Interessen von Untermietern bei der Entscheidung über Aufschiebungsanträge Stellung genommen; a. A. Hans Klein in der Bemerkung zu DREvBl. 1941, Nr. 339, der behauptet, daß im Hinblick auf § 568 ZPO. der Untermieter als Beteiligter im Exekutionsverfahren anzuerkennen sei, dem ein Antragsrecht zustehen müsse, um den Zweck der Schutzverordnung verwirklichen zu können. Diese Argumentation läuft auf eine petitio principii hinaus. Sie setzt voraus, daß die Schutzverordnung dazu bestimmt ist, die Interessen Dritter in der Wohnung Befindlicher zu schützen. Wird dies verneint - das Gesetz spricht nur vom Schutz der Schuldner (Verpflichteten), aber nicht von dritten Personen, die sich mit Recht oder Unrecht in der Wohnung befinden -, so kann auch keine Rede davon sein, daß der Untermieter Beteiligter nach § 66 EO. ist.
Aus allen diesen Erwägungen hält der 1. Senat an seiner Judikatur fest.
Kann aber unter Bedachtnahme auf die Interessen einer dritten Person, die ihr Recht vom Verpflichteten ableitet, ein Räumungsaufschub nicht bewilligt werden, so kann ihr folgerichtig auch kein Rekursrecht gegen die Verweigerung des Aufschubes zuerkannt werden.
Der Revisionsrekurs war demnach als unzulässig zu verwerfen. Der Kostenausspruch stützt sich auf §§ 40, 50 ZPO., 78 EO. Unter einem hat der 1. Senat beschlossen, nachstehenden Rechtssatz unter Nr. 31 in das Spruchrepertorium einzutragen: "Nach Art. 6 Schutzverordnung kann ein Räumungsaufschub nur mit Rücksicht auf die Interessen des Verpflichteten (Schuldners) bewilligt werden, nicht aber mit Rücksicht auf die Interessen dritter Personen, denen der Verpflichtete die Wohnung ganz oder teilweise vertraglich überlassen hat."
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