OGH 1Ob613/95

OGH1Ob613/9522.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Cornelia P*****, geboren *****1984, infolge Revisionsrekurses der durch die gemäß § 212 Abs 2 ABGB zum Sachwalter bestellten Bezirkshauptmannschaft Schwaz vertretenen Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 30.Juni 1995, GZ 52 R 121/95-82, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwaz vom 16.Mai 1995, GZ P 1081/95-77, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Cornelia P***** entstammt der seit September 1987 geschiedenen Ehe ihrer Eltern Johanna und Wilfried P*****. Nach der Ehescheidung stand die Obsorge für das Kind zunächst der Mutter allein zu. Mit Beschluß vom 17.8.1994 (ON 67) wurde die Obsorge dem Vater übertragen, weil die Mutter zur persönlichen Betreuung des Kindes nicht mehr in der Lage war. Die Mutter wurde gerichtlich nicht zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtet.

Am 23.3.1995 beantragte das Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG. Die Mutter habe auf Grund einer mündlichen Vereinbarung zunächst Unterhaltszahlungen für das Kind geleistet, die Alimentation aber seit einiger Zeit eingestellt; ihr Aufenthalt sei seit mehreren Monaten unbekannt. Demnach sei die Schaffung eines Unterhaltstitels nicht möglich und stünden dem Kind, das der Vater Sonja R***** in Pflege und Erziehung übergeben habe, Unterhaltsvorschußbeträge zu.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG bestehe kein Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, weil sich das Kind auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtsbehörde, nämlich des Bescheids vom 22.11.1994, in Pflege von Sonja R***** befinde.

Das Rekursgericht gab dem von der Minderjährigen dagegen erhobenen Rekurs nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Die Regelung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG solle sicherstellen, daß die Kosten der Fremdpflege eines Kindes nicht von den Trägern der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, die diese - zumindest vorerst und ungeachtet einer allfälligen Ersatzpflicht des Unterhaltspflichtigen - zu tragen haben, im Wege der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt werden. Im vorliegenden Fall habe der Jugendwohlfahrtsträger die Kosten der Fremdpflege zu bevorschussen, weil die Pflegepersonen gemäß § 23 Abs 1 des Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetzes (TirJWG) zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten gegenüber dem Land Tirol Anspruch auf Pflegegeld hätten. Daraus folge ungeachtet allfälliger Ersatzpflichten die primäre Kostentragungspflicht des Landes Tirol, die nicht im Wege der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt werden könne.

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG (idF des KindRÄG) besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nicht, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht unter anderem in einer Pflegefamilie (bei einer Pflegeperson) untergebracht ist. Nach den Materialien zum KindRÄG (RV, 172 BlgNR 17.GP, 24) sollte die genannte Bestimmung mit der Neufassung bloß an die geänderte Terminologie des neuen Jugendwohlfahrtsrechtes angepaßt werden, ohne damit auch eine wesentliche inhaltliche Änderung zu erfahren. Die Regelung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG (alter und damit auch neuer Fassung) soll nach dem Justizausschußbericht zum Stammgesetz (199 BlgNR 14.GP 5) sicherstellen, daß die Kosten der Unterbringung des Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht von den Trägern der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, die diese Kosten nach der geltenden Rechtslage - zumindest vorerst - zu tragen haben, im Wege der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt werden (RZ 1994/10).

Gemäß § 1 TirJWG hat die öffentliche Jugendwohlfahrt unter anderem die Aufgabe, die Entwicklung Minderjähriger durch Hilfen zur Pflege und Erziehung zu fördern und erforderlichenfalls durch Erziehungsmaßnahmen zu sichern. Gemäß § 12 TirJWG sind Hilfen zur Erziehung jene Maßnahmen, die im Einzelfall zum Wohl eines Minderjährigen erforderlich sind, wenn seine Pflege und Erziehung durch die Erziehungsberechtigten nicht ausreichend gewährleistet sind. Unter anderem stellt die „volle Erziehung“ eine solche Hilfe zur Erziehung dar, die sowohl als freiwillige Hilfe oder als Hilfe gegen den Willen des Erziehungsberechtigten gewährt werden kann. Im vorliegenden Fall wurde das Kind vom Vater Sonja R*****, der Mutter eines weiteren vom Vater der Minderjährigen gezeugten Kindes, übergeben. Auf Grund eines von dieser am 28.9.1994 gestellten Antrags wurde ihr gemäß § 20 TirJWG mit Bescheid vom 22.11.1994 die Bewilligung zur Übernahme des Kindes in deren Pflege erteilt. Die Minderjährige ist somit ein Pflegekind im Sinne des § 17 TirJWG, weil sie von Sonja R***** gepflegt und erzogen wird. Gemäß § 14 TirJWG umfaßt die volle Erziehung die Pflege und Erziehung eines Minderjährigen in einer Pflegefamilie (bei einer Pflegeperson); gemäß § 23 TirJWG haben die Pflegeeltern (Pflegepersonen) zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten gegenüber dem Land Tirol Anspruch auf Pflegegeld. Die Pflege und Erziehung eines Minderjährigen in einer Pflegefamilie gehört gemäß § 28 Abs 1 JWG zur vollen Erziehung, die der Minderjährigen bei Sonja R***** auch zuteil wird. Wenngleich diese Maßnahme vom Vater eingeleitet wurde, so wurde sie doch von dem dafür zuständigen Organ des Jugendwohlfahrtsträgers, wenn auch erst einige Zeit nach der tatsächlichen Übernahme des Kindes durch Sonja R***** in deren Pflege und Erziehung angeordnet. Wird ein Pflegekind - wie hier - mit Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 20 TirJWG in die Pflege und Erziehung einer Pflegeperson übernommen, dann steht dieser Pflegeperson - ungeachtet der Frage, ob bei Erteilung der Pflegebewilligung eine volle Erziehung im Sinne von § 14 TirJWG gewährt werden sollte - gegenüber dem Land Tirol ein Anspruch auf Pflegegeld zu. Die vom Jugendwohlfahrtsträger getroffene Maßnahme ist zumindest der Gewährung der vollen Erziehung im Sinne von § 14 des Tiroler Jugendwohlfahrtsgesetzes rechtlich gleichzuhalten (RZ 1994/10), sodaß der im § 2 Abs 2 Z 2 UVG verankerte Ausschluß des Anspruchs auf Unterhaltsvorschüsse wirksam wird. Die primäre Kostentragungspflicht des Landes Tirol im Sinne von § 23 TirJWG kann auch nicht durch Unterlassung der entsprechenden Antragstellung durch die Pflegeeltern (§ 23 Abs 3 TirJWG) auf den Bund überwälzt werden, würde das doch sowohl dem Wortlaut wie auch dem Zweck von § 2 Abs 2 Z 2 UVG zuwiderlaufen.

Ob der Jugendwohlfahrtsträger bei Erteilung der Pflegebewilligung gemäß § 20 TirJWG die gesetzlichen Voraussetzungen (so etwa die schriftliche Vereinbarung zwischen dem Land und dem erziehungsberechtigten Vater gemäß § 15 Abs 1 lit a TirJWG) beachtet hat, ist nicht maßgeblich, weil eine rechtswirksame Pflegebewilligung unbestrittenermaßen vorliegt.

Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

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