OGH 1Ob599/90

OGH1Ob599/902.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Nina und Lydia F***, infolge ao. Revisionsrekurses des Vaters Harald F***, Angestellter, Wels, Quergasse 35, vertreten durch Dr. Ernst Rohrauer und Dr. Josef Hofer, Rechtsanwälte in Wels, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 15.Februar 1990, GZ 44 R 836/89-59, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 15.November 1989, GZ 1 P 200/83-54, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 4.11.1983, 1 Sch 96/83-6, einvernehmlich geschieden. Die Obsorge für die Kinder steht der Mutter zu. Zuletzt war der vom Vater zu leistende monatliche Unterhalt mit Beschluß des Erstgerichtes vom 28.1.1988, ON 37, mit S 4.100 (mj. Nina) und S 3.700 (mj. Lydia) festgesetzt worden.

Die Mutter beantragte am 5.4.1989, den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbetrag auf monatlich S 6.000 (mj. Nina) und S 5.000 (mj. Lydia) zu erhöhen. Die Bedürfnisse der Kinder und das Einkommen des Vaters hätten sich erhöht.

Der Vater seinerseits beantragte, den von ihm zu leistenden Unterhaltsbetrag auf monatlich S 3.380 (mj. Nina) und S 2.850 (mj. Lydia) herabzusetzen. Er verdiene weniger als früher. Er beabsichtige, eine selbständige Tätigkeit im Gastronomiebereich zu entfalten und wolle im Ausland eine Existenz gründen. Sein Dienstverhältnis sei daher einvernehmlich aufgelöst worden. Er verfüge derzeit über kein Einkommen. Er unternehme Vorbereitungshandlungen zur Existenzgründung. Ein Einkommen werde er erst erzielen können, wenn die neue Erwerbsquelle erschlossen sei. Das Erstgericht erhöhte den vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt vom 5.4.1989 bis 31.5.1989 auf S 5.600 (mj. Nina) und S 5.000 (mj. Lydia) sowie ab 1.6.1989 für die mj. Nina auf S 5.100 und für die mj. Lydia auf S 4.200. Das Mehrbegehren und den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters wies es ab. Es stellte fest, der Vater habe in der Zeit vom 1.1.1989 bis 30.4.1989 über ein monatliches Nettoeinkommen von rund S 28.200 verfügt. Er selbst habe sein Dienstverhältnis mit 30.4.1989 aufgekündigt. Er sei noch für seine bis 31.5.1989 berufstätige Ehefrau sorgepflichtig. Die festgesetzten Unterhaltsbeiträge überschritten jeweils den statistischen Durchschnittsbedarf gleichaltriger Kinder von S 3.380 und S 2.850 bis 30.6.1989 und von S 3.470 und S 2.930 ab 1.7.1989, entsprächen jedoch der Prozentkomponente. Der Umstand, daß der Vater seinen gut dotierten Arbeitsplatz aufgegeben habe, könne den Kindern nicht zum Nachteil gereichen. Es sei auch für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses jenes Einkommen als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, das der Vater zuletzt zu erzielen imstande gewesen sei. Seinem Vorbringen, er beabsichtige, selbständige Tätigkeiten im Gastronomiebereich zu entfalten und im Ausland eine Existenz zu gründen, sowie er verfüge derzeit über kein Einkommen, sei entgegenzuhalten, daß die freie Wahl des Arbeitsplatzes bzw. einer freiberuflichen Tätigkeit bei Vorhandensein von Sorgepflichten kein unbeschränktes Recht darstelle. Ein ordentlicher Familienvater nehme nicht einen zeitlich nicht näher präzisierten Zeitraum der Einkommenslosigkeit bis zur Existenzgründung in Kauf.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters, mit dem er seinen Herabsetzungsantrag aufrecht erhielt, nicht Folge. Es sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof sei nicht zulässig. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Dagegen richtet sich der ao. Revisionsrekurs des Vaters, in dem er seine Rekursanträge wiederholt. In seinem Rechtsmittel bekämpft er zwar nicht mehr die Ansicht der Vorinstanzen, es sei nicht von seinem tatsächlichen, sondern von seinem fiktiven Einkommen auszugehen, er führt aber unter Hinweis auf veröffentlichte Rechtsprechung des Rekursgerichtes aus, dieses wäre von einer nicht mehr als drei Jahre zurückliegenden Rechtsprechung insofern abgewichen, als es ihn bei Anwendung der Anspannungstheorie zu einem den Durchschnittsbedarf der Kinder übersteigenden Unterhalt verhalten habe. Sein Rechtsmittel ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG iVm Art. XLI Z 9 WGN 1989 zwar zulässig, es ist aber nicht berechtigt. Schon vor der Familienrechtsreform war anerkannt, daß der Unterhaltsschuldner alle Kräfte anzuspannen habe, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können (ZBl. 1928/229; ZBl. 1922/180; GlUNF 5851; vgl. Petrasch in ÖJZ 1989, 748; Pichler in ÖA 1976, 53 ff). Der Gesetzgeber der Familienrechtsreform brachte die Geltung dieses Grundsatzes dadurch zum Ausdruck, daß er in § 140 Abs. 1 ABGB anordnete, die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften beizutragen (RV 60 BlgNR 14. GP 21 f; AB 587 BlgNR 14. GP 3 f). Den Unterhaltspflichtigen trifft demnach die Obliegenheit, im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können. Das Rekursgericht sprach daher auch wiederholt aus, daß Bemessungsgrundlage für einen Unterhaltspflichtigen, der seine Arbeit grundlos aufgebe, sein zuletzt erzieltes Einkommen sei (EFSlg. 50.502, 47.797 uva); andererseits wurde aber, wie der Revisionsrekurs zutreffend aufzeigt, von Senaten des Rekursgerichtes wiederholt ausgesprochen, ein Unterhaltspflichtiger sei bei Zugrundelegung eines fiktiven Einkommens nur verpflichtet, den "Durchschnittsbedarf" des unterhaltsberechtigten Kindes zu decken (EFSlg. 56.154, 53.359, 50.534, 47.787, 47.790, 45.099 f, 42.846 ua). Der Senat 44 des Rekursgerichtes, dessen Entscheidung bekämpft wird, vertrat dagegen in seiner Entscheidung EFSlg. 53.366 nicht die Rechtsansicht, daß über den Durchschnittsbedarf hinaus nicht angespannt werden könne:

Diese Judikatur beziehe sich auf Fälle, bei denen kein Beruf ausgeübt werde und keine erlernte Beschäftigung vorliege. Seien aber bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse bekannt, habe der Unterhaltspflichtige sie entsprechend einzusetzen und es sei daher von dem in seinem Beruf erzielbaren Einkommen auszugehen. Es erschiene unbillig, wenn sich zB das Kind eines Arztes mit dem durchschnittlichen Unterhaltsbetrag zufriedengeben müßte, weil der Vater es vorziehe, nicht zu arbeiten.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist zu folgen. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß ein Unterhaltspflichtiger mit überdurchschnittlichen persönlichen Fähigkeiten zur Bedarfsdeckung nur insoweit beizutragen habe, daß mit seiner Leistung der statistisch erhobene Durchschnittsbedarf von Kindern der betreffenden Altersgruppe gedeckt werden könnte. Jedes Kind hat vielmehr das Recht, daß seine Bedürfnisse gemäß den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen gedeckt werden (Pichler in Rummel2 Rz 5 und 5 a zu § 140 mwN). Dieser Verpflichtung darf sich ein Unterhaltsschuldner weder dadurch entziehen, daß er ohne triftigen Grund seine überdurchschnittlich honorierte Stellung aufgibt, noch daß er von vornherein eine solche Beschäftigung, die ihm möglich und zumutbar ist, nicht anstrebt und dadurch in beiden Fällen die Teilnahme der unterhaltsberechtigten Kinder an den adäquaten Lebensverhältnissen der Eltern hindert. Auch der geschiedene eheliche Vater darf Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die mit Einschränkungen seiner Unterhaltspflichten verbunden wären, nur insoweit vornehmen, als dies bei gleicher Sachlage ein pflichtbewußter Familienvater in aufrechter Ehe getan hätte (Pichler in ÖAV 1976, 55). Dieser wird eine gut dotierte unselbständige Tätigkeit nicht wegen der nicht näher konkretisierten Hoffnung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Ausland aufgeben und einen nicht absehbaren Zeitraum der Einkommenslosigkeit auf sich nehmen. Nahm das Kind auf Grund der sozialen Stellung des Unterhaltsschuldners an einer Lebensgestaltung teil, die durschnittliche Verhältnisse übertraf, so handelt dieser pflichtwidrig, wenn er durch unbegründete Einkommensminimierung den Lebensstandard seiner Kinder senken will. Ein solches Vorhaben darf durch die Rechtsprechung nicht unterstützt werden.

Das Rekursgericht hat daher zutreffend ausgehend von dem der Höhe nach nicht bestrittenen fiktiven Einkommen des Vaters den Kindern einen höheren als den durchschnittlichen Unterhaltsbetrag zuerkannt.

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