OGH 1Ob589/88

OGH1Ob589/8819.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna A***, Hauseigentümerin, Wien 6., Köstlergasse 11, vertreten durch Ewald R*** Gesellschaft mbH, Wien 2., Glockengasse 1/8, diese vertreten durch Dr. Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang G***, Student, Wien 6., Köstlergasse 11/13, vertreten durch Dr. Werner Masser, Dr. Ernst Grossmann, Dr. Eduard Klingsbigl und Dr. Robert Lirsch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 27. Jänner 1988, GZ 41 R 628/87-30, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. August 1987, GZ 42 C 584/85-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.673,92 bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten S 648,72 Umsatzsteuer und S 1.538,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 28. Jänner 1985 verstorbene Otto G*** war der Großvater des am 2. April 1968 geborenen Beklagten. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 7. Mai 1969, 1 P 73/69-4, war Otto G*** zum Vormund des Beklagten bestellt worden. Mit vormundschaftsbehördlich genehmigten Übergabsvertrag vom 25. Februar 1982 hatte Antonia G***, die Großmutter des Beklagten, an diesen die aus zwei Zimmern, Küche, Vorzimmer, Bad, WC und Abstellraum bestehende, neben der Eigentumswohnung der Mutter des Beklagten liegende Eigentumswohnung Wien 14.,

Linzerstraße 160/III/16 übergeben. Nach dem Tod der Antonia G*** hatte Ilse G***, die Mutter des damals noch

minderjährigen Beklagten, im August oder September 1984 diese Wohnung möbliert auf ein Jahr an Catherine V*** vermietet. Am 13. September 1985 schloß Ilse G*** einen neuen Mietvertrag über die Eigentumswohnung des Beklagten mit Catherine V*** auf die Dauer eines Jahres (bis 15. September 1986). Bei dem Vordruck, wann der Mietvertrag ohne weitere Aufkündigung ende, sind die Worte eingefügt "Mietvertrag wird neuerlich verlängert". Der Mietzins beträgt wertgesichert S 3.000,-- monatlich. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 18. September 1985, 1 P 73/69-32, wurde Ilse G*** zum Vormund des Beklagten bestellt. Eine vormundschaftsbehördliche Genehmigung der Mietverträge erfolgte nicht. Der Beklagte verfügte in der Wohnung seiner Mutter Wien 14., Linzerstraße 160/III/17, über ein kleines Zimmer, das derzeit mit Möbeln seiner Großmutter vollgeräumt ist. Mit Einantwortungsurkunde des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 2. Oktober 1985, 3 A 130/85-26, wurde der Nachlaß nach Otto G*** auf Grund des Testamentes vom 13. Juli 1981 dem Beklagten zur Gänze eingeantwortet. Die Klägerin kündigte am 18. Oktober 1985 die (aus drei Zimmern, drei Kabinetten, Küche, Bad und Vorzimmer bestehende) Wohnung Wien 6., Köstlergasse 13/11, deren Mieter Otto G*** war, für den 31. März 1986 auf. Die vermieteten Wohnräume dienten nach dem Tod Otto G*** nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen. Der Beklagte habe seinen Großvater kaum besucht, geschweige denn habe er in der aufgekündigten Wohnung gewohnt. Er habe auch kein dringendes Wohnbedürfnis, da er Eigentümer der Wohnung Wien 14., Linzerstraße 160/III/16, sei. Die Vermietung dieser Eigentumswohnung an Catherine V*** sei nur auf ein Jahr erfolgt.

Der Beklagte wendete ein, er habe seit vielen Jahren die Wohnung mit seinem Großvater Otto G*** bewohnt und verwende sie nun als Eintrittsberechtigter zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses. Dem Vorbringen der Klägerin, der Mietvertrag über die Eigentumswohnung in Wien 14 sei nur auf die Dauer eines Jahres abgeschlossen worden, erwiderte der Beklagte, daß der Mietvertrag verlängert worden sei.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für wirksam und gab dem Räumungsbegehren statt. Die Mutter des Beklagten sei 1984 nicht sein Vormund gewesen. Der von ihr namens des Beklagten abgeschlossene Mietvertrag sei daher unwirksam. Zum Zeitpunkt des Todes Otto G*** habe somit kein aufrechter Mietvertrag über die Eigentumswohnung des Beklagten bestanden, Catherine V*** habe die dem Beklagten gehörige Eigentumswohnung titellos benützt. Es sei daher dem Beklagten zum Zeitpunkt des Todes Otto G*** möglich gewesen, sein Wohnbedürfnis durchaus angemessen in der ihm gehörigen Eigentumswohnung zu befriedigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes komme es nicht darauf an, in welcher Rechtsform die weitere Wohngelegenheit des Eintrittswerbers weitergegeben worden sei. Maßgeblich für die Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses sei vielmehr das Kriterium der Eignung der Wohngelegenheit zur sofortigen Befriedigung des Wohnbedürfnisses, weil nur in einem solchen Fall die Gefahr der Obdachlosigkeit bei Verlust der aufgekündigten Wohnung abgewendet wäre. Eine Wohnung sei dann nicht zur sofortigen Befriedigung des Wohnbedürfnisses geeignet, wenn sie erst nach einem erfolgreich durchgeführten Rechtsstreit bezogen werden könnte. Von einer sofortigen Verfügbarkeit der von Catherine V*** als Mieterin in Anspruch genommenen Wohnung könne auch dann keine Rede sein, wenn ein wirksames Mietverhältnis nicht zustande gekommen sei. Dem Verhalten Catherine V***, den ursprünglich auf ein Jahr abgeschlossenen, nach dem Tode des Otto G*** endenden Mietvertrag auf ein weiteres Jahr zu verlängern, lasse sich ihr klarer Wille entnehmen, nicht nur zum maßgeblichen Zeitpunkt des Todes, sondern auch danach an den allenfalls schwebend unwirksamen Vertrag gebunden zu sein. Angesichts des Bestehens einer vertraglichen Bindung komme es daher ebensowenig wie im Falle der Vermietung auf die faktische Benützung der Wohnung durch den Berechtigten an, solange dieser sich auf ihm eingeräumte, nicht widerrufene oder durch nachträgliche Versagung unwirksam gewordene Rechte berufe. Der Feststellung, daß die vermeintliche Mieterin die Wohnung tatsächlich benütze, habe es daher nicht bedurft. Die Tatsache, daß der Beklagte Wohnungseigentümer einer weiteren Wohnung sei, lasse somit die Verneinung seines dringenden Wohnbedürfnisses an der aufgekündigten Wohnung nicht zu. Das Erstgericht habe allerdings auch die Feststellung getroffen, daß der Beklagte in der Wohnung seiner Mutter über ein kleines Zimmer verfüge, so daß auch diese Unterkunft bei Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses in die Betrachtungen einzubeziehen sei. Soll der Eintrittswerber auf familienrechtliche Ansprüche verwiesen werden, so müsse ihm eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehen. Ob dies der Fall sei, müsse zwar grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Ablebens des bisherigen Mieters und den bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Wohnverhältnissen beurteilt werden, jedoch seien dabei auch Änderungen der Familienverhältnisse, die nach den im Zeitpunkt des Todes des bisherigen Mieters gegebenen Umständen für die nächste Zeit zu erwarten gewesen seien, zu berücksichtigen. Es mangle dem Urteil am erforderlichen, für die Beurteilung der Gleichwertigkeit der Wohnmöglichkeiten unerläßlichen sachlichen Substrat. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren daher Feststellungen zu treffen haben, die eine Beurteilung in die Richtung zuließen, ob die in der mütterlichen Wohnung zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten für den Beklagten als ausreichend anzusehen seien. Im Hinblick darauf, daß der Beklagte zum Zeitpunkt des Ablebens seines Großvaters das 17. Lebensjahr beinahe vollendet gehabt habe, werde das Erstgericht auch zu berücksichtigen haben, daß ein Verweis des Eintrittswerbers auf familienrechtliche Wohnmöglichkeiten dann nicht zulässig sei, wenn die im Zeitpunkt des Ablebens des Mieters bereits für die nächste Zeit zu erwartende Selbsterhaltungsfähigkeit in der Folge eingetreten sei oder nahe bevorstehe, weil nach Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit kein den Verbleib sichernder Anspruch gegen die Mutter bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der klagenden Partei ist berechtigt.

Nach § 14 Abs 3 MRG setzt jeder Eintritt in den Mietvertrag nach dem Tod des Hauptmieters u.a. ein dringendes Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten voraus. Der Grundsatz, daß das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Todes des bisherigen Mieters zu beurteilen ist, wird dahin verstanden, daß nachträgliche Änderungen insoweit berücksichtigt werden müssen, als sie zum Zeitpunkt des Todes des Mieters für die nächste Zeit zu erwarten waren (MietSlg. 38.317 mwN; Würth aaO Rz 10). Der Beklagte war auch schon zum Zeitpunkt des Todes seines Großvaters Wohnungseigentümer der Wohnung in Wien 14. Diese Wohnung war zwar am 28. Jänner 1985, falls man überhaupt annehmen wollte, daß der Vertrag wirksam zustandegekommen sei, vermietet, der Mietvertrag war aber - gemäß § 29 Abs 1 Z 3 lit b MRG zulässigerweise - auf eine Vertragsdauer von einem Jahr abgeschlossen, so daß er jedenfalls im August oder September 1985, ohne daß es einer Aufkündigung bedurft hätte, aufgelöst war. Der Beklagte hätte daher, wie schon zum Zeitpunkt des Todes seines Großvaters verläßlich beurteilt werden konnte, in absehbarer Zeit (MietSlg. 9712) sein Wohnbedürfnis in seiner Eigentumswohnung decken können. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzung für das Eintrittsrecht trifft denjenigen, der es in Anspruch nimmt (MietSlg. 33.377, 33.372; Würth in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 14 MRG). Daß es dem beweispflichtigen Beklagten aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht gelungen wäre, nach Ablauf der Vertragsdauer die eheste Räumung seiner Eigentumswohnung zu erreichen, behauptete er nicht einmal.

Ist aber dringendes Wohnbedürfnis des Beklagten an der aufgekündigten Wohnung zu verneinen, ist der angefochtene Beschluß dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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