OGH 1Ob557/90

OGH1Ob557/9021.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Helga H***, Haushalt, Wien 3, Lorbeergasse 6/11, vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Walter H***, Pensionist, Wien 22, Schödlbergergasse 18/25, vertreten durch Dr. Susanne Jilke, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11.Dezember 1989, GZ 14 R 5/89-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27.Juli 1989, GZ 35 Cg 200/86, 35 Cg 267/86-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 617,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Sie schlossen am 6.Juli 1957 die beiderseits erste Ehe, der vier Kinder entstammen. Die Streitteile wohnten gemeinsam mit den Kindern in einer 51 qm großen Wohnung in Wien 3, Lorbeergasse 6/11, bis der Beklagte und Widerkläger (im folgenden Beklagter) 1986 - während des bereits anhängigen Scheidungsverfahrens - endgültig aus der Wohnung auszog. Am 13.Dezember 1987 verpflichtete sich der Beklagte zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 8.500 S an die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden Klägerin) und von je 5.250 S an seine Söhne.

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Dieser zeige keinerlei Interesse an einer gemeinsamen Lebensführung, mißachte sie, weigere sich, mit ihr zu sprechen und konsumiere lediglich die von ihr im Rahmen der Haushaltsführung erbrachten Leistungen. Er weigere sich auch, mit ihr seine Freizeit zu verbringen. Sein Verhalten sei extrem lieblos. Seit Jahren bestünden keine sexuellen Beziehungen mehr.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und begehrte seinerseits die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin. Er wendete im wesentlichen ein, bis zu seiner Pensionierung habe er als technischer Leiter in den Bundestheatern gearbeitet und danach beim Hauptverband der Sparkassen als Portier gearbeitet. Sein dadurch erzieltes hohes Einkommen habe er an die Familie weitergegeben; trotzdem werfe ihm die Klägerin Arbeitsscheu vor. Sie sei auch grundlos eifersüchtig, beschimpfe ihn und setze ihn vor den Kindern herab. Dadurch sei eine gemeinsame Freizeitgestaltung unmöglich geworden. Jeder Versöhnungsversuch seinerseits sei von der Klägerin zurückgewiesen worden.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile und stellte dabei im wesentliche fest: Die Ehe sei wegen des verschiedenartigen Naturells der Streitteile schon lange Zeit unharmonisch verlaufen. Immer wieder sei es wegen Alltagskleinigkeiten zu Streitereien gekommen. Während die Klägerin mit ihrem lebhaften Naturell leicht aus der Ruhe geraten sei und mit ihrer Neigung zur Eifersucht dem Beklagten Vorwürfe gemacht und ihn beschimpft habe ("Hurenbock" etc), habe der Beklagte Auseinandersetzungen durch längere Perioden des Schweigens abzublocken versucht. Die Klägerin habe zwar über die beengten Wohnverhältnisse nie Klage geführt, doch sei die Wohnung ab 1971 sicher zu klein gewesen. Im Jahre 1971 habe sich der Beklagte um eine größere Wohnung beworben, die jedoch erst 1977 nach dem Auszug der älteren Tochter und nach der infolge eines Lungeninfarktes erfolgten Pensionierung des Beklagten zugeteilt worden sei. Die Streitigkeiten über alltägliche Kleinigkeiten hätten sich in der Folge immer mehr gehäuft. Der Beklagte, der die Familie finanziell großzügig versorgt habe, habe erst nach immer länger währenden Schweigeperioden das Gespräch mit der Klägerin gesucht. Um Ruhe zu haben und teilweise auch erschüttert durch einen aus Liebeskummer unternommenen Selbstmordversuch seiner jüngeren Tochter sei der Beklagte 1984/85 für etwa zwei Monate in die Wohnung der älteren Tochter gezogen, um sie für die jüngere Tochter zu adaptieren. 1985 habe der Beklagte der Klägerin, die ihm im Garten vor Nachbarn eine Szene gemacht habe, eine Ohrfeige gegeben. Seit Jänner 1986 bestünden zwischen den Streitteilen keine sexuellen Beziehungen mehr. Im Oktober 1986 habe die Klägerin bei Gericht den Zuspruch von Unterhalt vom Beklagten begehrt. Trotz eines, ein großzügiges Entgegenkommen des Beklagten dokumentierten Unterhaltsvergleiches habe die Klägerin von ihm auch noch das Schulgeld (für die Söhne) verlangt. Daraufhin sei der Beklagte endgültig aus der Ehewohnung ausgezogen, um die finanzielle Situation endgültig zu bereinigen. Der Auszug des Beklagten sei auch aus der Sicht der Klägerin richtig gewesen, weil auch sie wegen des zerrütteten Zustandes der Ehe ein weiteres Zusammenleben (mit dem Beklagten) nicht ausgehalten hätte. In rechtlicher Hinsicht vertrat die Erstrichterin die Auffassung, daß bei Würdigung des maßgeblichen Gesamtverhaltens beide Ehegatten im gleichen Maße zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten. Der Beklagte habe auf Beschimpfungen und die eifersüchtigen Bemerkungen seiner Gattin nicht reagiert, seine Reaktionen zu unterdrücken versucht und sich zunehmend zurückgezogen. Dies sei wieder von der Klägerin als zunehmend unerträglich empfunden worden. Die Ehegatten hätten sich immer mehr auseinandergelebt. Die Ehe der Streitteile sei beim Auszug der ältesten Tochter im Jahre 1977 längst zerrüttet gewesen. Der vorübergehende Auszug des Beklagten 1984/85 sei lediglich Ausdruck der bereits damals unerträglich gewordenen ehelichen Situation gewesen und habe nicht weiter zur Zerrüttung der Ehe beigetragen. Auch der endgültige Auszug des Beklagten im Jahre 1986 sei von der Klägerin als richtig empfunden worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die sich nur gegen den Verschuldensausspruch wendete, nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte im wesentlichen dessen rechtliche Beurteilung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin strebt den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten an. Sie ist nicht berechtigt.

Nach § 60 Abs 2 EheG ist bei einer Scheidung wegen Verschulden das überwiegende Verschulden eines Teiles auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 51.660, 48.334 ua). Für die beiderseitige Verschuldensabwägung ist grundsätzlich das Gesamtverhalten beider Ehegatten im Zusammenhang, nicht eine Gegenüberstellung der einzelnen Eheverfehlungen maßgebend (EFSlg 57.211, 54.455, 51.642 uva); dabei sind auch verziehene oder verfristete Eheverfehlungen zu berücksichtigen (EFSlg 52.468, 51.668 ua). Vor allem ist bei der Abwägung der Mitschuld maßgeblich, wer mit der schuldhaften unheilbaren Zerrüttung der Ehe den Anfang machte (EFSlg 57.212, 54.456, 51.643 uva); die Ursächlichkeit der Verfehlungen für den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung ist von ausschlaggebender Bedeutung (EFSlg 43.680, 41.271 ua). Im Sinn dieser Grundsätze ist die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung zu billigen. Unter Berücksichtigung der Verfehlungen beider Streitteile kann von einem überwiegenden Verschulden des Beklagten entgegen den Revisionsausführungen keine Rede sein. Wie schon im Berufungsverfahren läßt die Klägerin auch jetzt noch in ihrer Revision eine ausreichend kritische Auseinandersetzung auch mit ihrem eigenen Fehlverhalten, ihrer Eifersucht und den Beschimpfungen des Beklagten, die wohl erst sein Schweigen, sein Abkapseln und sein Zurückziehen aus dem Familienverband ausgelöst haben, vermissen; sie entfernt sich insoferne auch vom festgestellten Sachverhalt, als sie ihr eigenes Verhalten nur als entschuldbare Reaktion beurteilt. Daß der Beklagte schwere Eheverfehlungen gesetzt hat, ist zweifellos richtig, doch treten demgegenüber die der Revisionswerberin nicht völlig in den Hintergrund.

Der Revision ist daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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