European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00055.20Z.0416.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
Die Kläger nehmen das beklagte Luftfahrtunternehmen aus dem Titel des Schadenersatzes in Anspruch, weil ihnen dieses – unmittelbar vor dem Einsteigen in das Flugzeug – zu Unrecht die Beförderung mit der Begründung verweigert habe, dass für ihre mitreisende minderjährige Tochter eine Geburtsurkunde im Original vorzuweisen sei. Den Klägern seien dadurch Aufwendungen für einen Ersatzflug entstanden. Die Beklagte habe außerdem das bereits aufgegebene Gepäck der Kläger verloren, es stehe auch ein Ersatz für entgangene Urlaubsfreude zu. Die Kläger hätten mit einer (in Österreich ansässigen) GmbH zu einem Pauschalpreis einen Reisevertrag über kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen abgeschlossen, wobei die Beförderung mit einem Flug der beklagten Partei erfolgen sollte.
Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts wurde auf Art 17 Abs 1 (ersichtlich: lit c) EuGVVO 2012 gestützt, „weil eine Pauschalreise vorliege“.
Die zunächst durch einen deutschen Rechtsanwalt vertretene Beklagte brachte einen Schriftsatz (ON 14) ein, in dem sie die Abweisung der Klage beantragte, weil diese „unzulässig und unbegründet“ sei. Das angerufene Gericht sei „unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt“ zuständig. Die Beklagte betreibe bloß ein Luftfahrtunternehmen und biete ausschließlich Luftbeförderungen an, sodass die Vorschriften über besondere Gerichtsstände keine Anwendung fänden. Zu Beginn der Streitverhandlung wurde protokolliert, dass der erschienene Beklagtenvertreter (ein österreichischer Anwalt) „wie in ON 14 vorträgt“.
Das Rekursgericht bestätigte den die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurückweisenden Beschluss des Erstgerichts, weil der Verbrauchergerichtsstand des Art 17 EuGVVO 2012 mangels Vertragsverhältnisses zwischen den Klägern und der Beklagten nicht in Anspruch genommen werden könne. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Qualifizierung eines Luftfahrtunternehmens, das Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters ist, als „Vertragspartner“ [des Verbrauchers] iSd Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen diesem,
den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
1. Hängt die Entscheidung – wie hier – von der Lösung einer Frage des Unionsrechts ab, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Nachprüfung dessen Anwendung auf den Einzelfall auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine klare Fehlbeurteilung unterlief ( https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0117100&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Eine solche wird von den Revisionsrekurswerbern nicht aufgezeigt.
2. Art 17 Abs 1 EuGVVO 2012 (VO [EU] 1215/2012) normiert als Voraussetzung des Verbrauchergerichtsstands, dass ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den der Verbraucher geschlossen hat, den Gegenstand des Verfahrens bilden. Dieses Erfordernis eines zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags wurde vom EuGH mehrfach hervorgehoben (vgl etwa C‑375/13, Kolassa , Rn 23 ff; C‑180/06, Ilsinger , Rn 53; jeweils zur vergleichbaren Bestimmung des Art 15 Abs 1 EuGVVO „alt“ [VO {EG} Nr 44/2001]). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss es sich um eine direkte vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen handeln (6 Ob 18/17s; zum Erfordernis eines zwischen den Verfahrensparteien bestehenden Vertrags vgl auch 1 Ob 158/09f).
3. Dass das Rekursgericht auf Basis des Wortlauts des Art 17 Abs 1 EuGVVO 2012 sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung davon ausging, dass sich die Kläger – mangels mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrags (die Kläger behaupten auch in dritter Instanz nur, dass die Beklagte Erfüllungsgehilfin des Reiseveranstalters gewesen sei) – nicht auf diese Bestimmung berufen können, bedarf keiner Korrektur. Die Rechtsmittelwerber verkennen auch, dass – worauf bereits das Rekursgericht hinwies – dieser Zuständigkeitstatbestand, der eine Abweichung von den allgemeinen Zuständigkeitsregeln enthält, eng auszulegen ist (vgl RS0128703). Sie übersehen vor allem, dass der Abschnitt der EuGVVO 2012 über die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen gemäß Art 17 Abs 3 leg cit nicht auf Beförderungsverträge anzuwenden ist, womit ihr Argument, Verbraucher sollten im Rahmen des Art 17 EuGVVO 2012 als schwächere Vertragspartner stets gegenüber „Luftfahrtunternehmen“ geschützt werden, ins Leere geht. Die in dieser Bestimmung genannte Ausnahme für Reiseverträge, die für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsehen, kann hinsichtlich der Beklagten, die bloß eine Flugleistung zu erbringen hatte, keinesfalls zur Anwendung gelangen.
4. Soweit die Revisionsrekurswerber behaupten, dass das Rekursgericht „eindeutige“ Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des deutschen Bundesgerichtshofs unberücksichtigt gelassen habe, betrifft die dazu ins Treffen geführte Judikatur (RS0019726; BGH VIII ZR 210/84) jeweils die Frage, wann ein Vertreter bzw Verhandlungsgehilfe dem Vertragspartner seines Geschäftsherrn aufgrund eines bei den Vertragsverhandlungen unterlaufenes Verschuldens direkt haftet. Dem kommt aber keine erkennbare Bedeutung für den vorliegenden Fall zu. Inwieweit die Beklagte als Vertreterin des Reiseveranstalters tätig geworden sein soll, bleibt ebenso unerfindlich, wie die Ableitung der Zuständigkeit für eine solche Vertreterhaftung aus Art 17 EuGVVO 2012.
5. Auch aus der Entscheidung des EuGH zu C‑478/12 ( Maletic ) ist für die Kläger nichts zu gewinnen, zumal es dort nicht um Ansprüche aus einem reinen Beförderungsvertrag ging, für die ja nach Art 17 Abs 3 EuGVVO 2012 gerade kein Verbrauchergerichtsstand besteht (dazu Punkt 3.). Zwar sprach der EuGH dort – worauf sich die Revisionsrekurswerber stützen – aus, dass der Begriff „anderer Vertragspartner“ in Art 16 Abs 1 der VO (EG) Nr 44/2001 dahin auszulegen sei, dass er „unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens“ auch den im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ansässigen Vertragspartner des Wirtschaftsteilnehmers bezeichnet, mit dem der Verbraucher den betreffenden Vertrag geschlossen hat. Nach den vom EuGH hervorgehobenen „Umständen des Ausgangsverfahrens“ war der „Wirtschaftsteilnehmer, mit dem der Verbraucher den betreffenden Vertrag geschlossen hat“ (dort der Betreiber einer Online-Reiseplattform) aber bloß Reisevermittler, wohingegen die vermittelte Pauschalreise von der dort beklagten Partei veranstaltet wurde. Im Unterschied zum vorliegenden Fall, bei dem die Kläger zur Beklagten in keiner Vertragsbeziehung standen, war das für die Inanspruchnahme des Verbrauchergerichtsstands normierte Erfordernis eines (auch) zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens geschlossenen Vertrags, nämlich des (Reise‑)Vermittlungsvertrags einerseits und des (Reise‑)Veranstaltungsvertrags andererseits, im Fall der Entscheidung zu C‑478/12 für beide (dort) Beklagten erfüllt (vgl Rn 20: „beide Vertragspartner“).
6. Dass die Kläger nun sowohl Ansprüche gegen das beklagte Luftfahrtunternehmen als auch gegen den Reiseveranstalter behaupten und aus der – bei unterschiedlichen Gerichtsständen – (stets) bestehenden Gefahr divergierender Entscheidungen die (für eine Klage gegen den in Österreich ansässigen Reiseveranstalter ohnehin gegebene) internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auch für die vorliegende Klage ableiten möchten, überzeugt nicht. Wenngleich der EuGH in der Entscheidung C‑478/12 (ergänzend) mit den in (nunmehr) Erwägungsgrund 21 genannten Zielsetzungen der EuGVVO argumentiert, wonach „Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden sollen“, so kann aus dem genannten Erwägungsgrund kein (in der EuGVVO 2012 nicht vorgesehener) Gerichtsstand der Streitgenossenschaft am Wohnsitz des Verbrauchers abgeleitet werden.
7. Soweit die Revisionsrekurswerber behaupten, die Beklagte habe sich rügelos in das Verfahren eingelassen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass der Beklagtenvertreter zu Beginn der Streitverhandlung den Inhalt jenes Schriftsatzes vortrug (womit dem Mündlichkeitsprinzip entsprochen wurde; vgl Brenn in Fasching / Konecny ³ § 177 ZPO Rz 20), in dem erkennbar die Einrede der fehlenden örtlichen und internationalen Zuständigkeit erhoben worden war. Ob die Beklagte schon bei Einbringung des Schriftsatzes im Hinblick auf die sich aus § 5 Abs 2 EIRAG ergebende Verpflichtung zum Nachweis der Herstellung des Einvernehmens mit einem österreichischen Rechtsanwalt wirksam vertreten war, spielt damit keine Rolle. Soweit die Revisionsrekurswerber „im Übrigen“ auf ihre Rekursausführungen verweisen, ist dies unzulässig und damit unbeachtlich (RS0043616 [T12]).
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