OGH 1Ob522/85

OGH1Ob522/858.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria A, Hausfrau, Wien 9., Liechtensteinstraße 3, vertreten durch Dr.Inge Fucik, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Mag. Michael A, Lehrer, Wien 9., Galileigasse 4/7, vertreten durch Dr.Margarethe Spitzer-Reinelt, Rechtsanwalt in Wien, wegen Leistung von Unterhalt infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 19.Oktober 1984, GZ 43 R 2112/84-82, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11. Dezember 1983, GZ 7 C 10/83-50, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung 1.) den Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen den die Entscheidung des Erstrichters bestätigenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet, zurückgewiesen;

2.) zu Recht erkannt:

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 9.358,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon 850 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 16.Juli 1975 in Dubowka, UdSSR, die Ehe geschlossen. Sie emigrierten im Dezember 1975 mit ihren beiden Söhnen Dipl.Ing.Ruslan B und Dipl.Ing.Nikolai C aus der Sowjetunion nach Österreich; sie sind österreichische Staatsbürger. Die Ehe der Streitteile verläuft schon seit langem nicht mehr harmonisch; in den letzten Jahren kam es immer wieder zu Streitigkeiten und Auseinandersetzungen. Im September 1977 und am 24.Dezember 1979 kam es zwischen den Streitteilen zu Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf die Klägerin verletzt wurde; das gegen den Beklagten eingeleitete Strafverfahren wurde gemäß § 42 StGB eingestellt. Am 14. November 1982 fügte der Beklagte der Klägerin im Zuge eines Streits eine Radiusfraktur am linken Arm zu, worauf die Klägerin die eheliche Wohnung verließ. Sie wohnt seither im Frauenhaus Wien 9., Liechtensteinstraße 3. Der Beklagte wurde in dem gegen ihn wegen dieses Vorfalls eingeleiteten Strafverfahren 1 e Vr 3531/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien rechtskräftig freigesprochen. Die Klägerin wurde in einem gegen sie eingeleiteten Strafverfahren von dem gegen sie erhobenen Strafantrag, sie habe am 15.März 1983 den Beklagten durch einen Schlag mit dem Schuh derart verletzt, daß er einen Nasenbeinbruch erlitt, ebenfalls freigesprochen. Die Klägerin arbeitete nach ihrer Einreise nach Österreich ein bis zwei Monate in einer Schneiderei, sonst führte sie den Haushalt. Sie erhält seit Jänner 1983

vom Sozialamt eine Zahlung von 2.000 S monatlich. Der Beklagte ist Lehrer am Theresianum mit einem monatlichen Einkommen von 23.195 S; weiters ist er als Sprachlehrer bei der Israelitischen Kultusgemeinde mit einem Monatsbezug von netto 6.602,25 S tätig. Am 19. Dezember 1979 schlossen die Streitteile zu 24 C 1298/79 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien einen Vergleich, wonach sich der Beklagte verpflichtete, der Klägerin während aufrechter Ehe den Unterhalt in natura und überdies ein Taschengeld im Betrag von 1.000 S monatlich zu leisten. Der Beklagte überwies der Klägerin vom Mai 1983 bis November 1983 monatlich je 1.000 S; er ist nur für die Klägerin sorgepflichtig.

Die Klägerin begehrte mit der am 11.März 1983 eingebrachten Klage den Zuspruch eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 8.166 S; sie schränkte am 7.Juli 1983 das Klagebegehren infolge von zwei Teilzahlungen des Beklagten für die Monate Mai und Juni 1983 für diese beiden Monate um 1.000 S ein und dehnte es am 24.Oktober 1983 auf Leistung von 10.000 S ab dem Klagstag aus. Sie führte zur Begründung des Begehrens aus, es sei ihr auf Grund gegebener Sprachschwierigkeiten sowie ihres Alters von 57 Jahren und der derzeit angespannten Lage auf dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht möglich, eine Beschäftigung zu finden. Sie sei daher ausschließlich auf den Unterhalt des Beklagten angewiesen. Die Leistung des geforderten Unterhaltsbetrages sei dem Beklagten im Hinblick auf seine Einkommensverhältnisse zumutbar. Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, die Klägerin sei aggressiv, zanksüchtig und provozierend, sie führe den Haushalt nicht ordnungsgemäß. Die Klägerin erhalte ihren Unterhalt in Naturalien, zu einer Unterhaltsleistung in Geld sei er nicht verpflichtet, weil die Klägerin den gemeinsamen Haushalt grundlos verlassen habe.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin ab dem Klagstag einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 8.166 S, für die Monate Mai und Juni 1983 jedoch nur 7.166 S und ab 24.Oktober 1983 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 9.833 S abzüglich geleisteter Teilzahlungen für Juli bis November von je 1.000 S zu bezahlen. Das darüber hinausgehende Begehren, den Beklagten ab Antragstag zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 10.000 S zu verpflichten, wies es ab. Das Erstgericht stellte fest, die Klägerin habe den Beklagten im Zuge wiederholter Auseinandersetzungen bespruckt und als 'Saujude' bezeichnet, sie habe auch den Haushalt nur mangelhaft geführt. In rechtlifher Hinsicht führte der Erstrichter aus, daß ein Ehegatte den Unterhaltsanspruch nur dann verliere, wenn er sich besonders schwerer Eheverfehlungen wie Ehebruch, fortgesetzter empfindlicher Verletzung der ehelichen Treue, schwerer körperlicher Mißhandlungen und Drohungen schuldig mache. Die erwiesenen Verfehlungen der Klägerin seien nicht so gravierend, daß eine Verwirkung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs gerechtfertigt wäre. Da den Beklagten keine weiteren Sorgepflichten treffen, sei ihm die Leistung eines Unterhaltsbetrages von 33 % seines Durchschnittseinkommens zumutbar. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren auf Leistung von Unterhalt ab dem Klagstag sei abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der gegen den dem Klagebegehren stattgebenden Teil dieses Urteils erhobenen Berufung des Beklagten teilweise Folge. Es bestätigte die Entscheidung des Erstrichters, soweit eine Unterhaltsverpflichtung des Beklagten für die Zeit vom 11. März 1983 bis 23.Oktober 1983 ausgesprochen wurde, und änderte es im übrigen dahin ab, daß der Beklagte schuldig erkannt wurde, der Klägerin ab 24.Oktober 1983 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 8.900 S zu leisten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, gemäß § 94 Abs 2 ABGB habe der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt, gegen den anderen Anspruch auf Unterhalt. Dies gelte nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zugunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes geführt haben, ein Mißbrauch des Rechtes wäre. Daraus folge, daß bei besonders schweren Eheverfehlungen oder bei Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft ohne hinreichenden Grund der Anspruch auf Unterhalt verlorengehe. Die Annahme einer Unterhaltsverwirkung sei jedoch nur in besonders krassen Fällen gerechtfertigt. Der schuldlose Ehegatte könne auf Grund des Fehlverhaltens des anderen eine Scheidungsklage einbringen, er solle aber nicht dem anderen durch die Verweigerung des Unterhalts die Lebensgrundlage entziehen. Die Klägerin habe die häusliche Gemeinschaft nach einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf sie einen Knochenbruch erlitten habe, verlassen. Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei demnach gerechtfertigt, sodaß dadurch der Unterhaltsanspruch nicht verwirkt worden sei. Die festgestellten Beschimpfungen, mögen sie auch insgesamt gesehen auch äußerst verwerflich sein, rechtfertigen gleichfalls nicht den Verlust des Unterhaltsanspruchs. Da das Erstgericht auf die vom Beklagten für die Einkünfte aus dem zweiten Dienstverhältnis zu entrichtende Lohnsteuer nicht Bedacht genommen habe, sei der Unterhalt neu zu bemessen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Beklagte den die Entscheidung des Erstrichters bestätigenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichtes bekämpft, ist die Revision unzulässig, weil dieser Teil des Streitgegenstandes 60.000 S nicht übersteigt (§ 502 Abs 3 ZPO); in diesem Umfang ist die Revision zurückzuweisen.

Der gegen den die Entscheidung des Erstrichters abändernden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobenen Revision kommt Berechtigung nicht zu.

Die Beurteilung der Frage, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches im Sinne des § 94 Abs 2 zweiter Satz ABGB rechtsmißbräuchlich ist, betrifft den Grund des Unterhaltsanspruchs, so daß § 502 Abs 2 Z 1 ZPO der sachlichen Erledigung des Rechtsmittels nicht entgegensteht (EFSlg. 44.060, 44.061, 41.738, 41.739 u.a.). Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ist nach Lehre und Rechtsprechung zu bejahen, wenn die Geltendmachung und Gewährung des Unterhalts wegen des Verhaltens des anderen Ehegatten grob unbillig wäre (EFSlg. 42.556, 42.555, 42.552, 42.551, 35.189 u.a.). Dies trifft dann zu, wenn sich der andere Eheteil besonders schwerer Eheverfehlungen wie Ehebruchs, fortgesetzter empfindlicher Verletzungen der ehelichen Treue, schwerer körperlicher Mißhandlungen oder Drohungen schuldig gemacht hat oder wenn er ohne zureichende Gründe die eheliche Gemeinschaft verläßt (EFSlg. 42.551, 42.550, 39.974 u.a.). Bei Beurteilung des Gewichts der einem Ehegatten zur Last gelegten Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bei aufrechtem Bestand der Ehe herbeizuführen, darf das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden; stets ist auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen (EFSlg. 42.551, 35.191, 35.190, 30.648 u.a.). Es ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß die der Klägerin anzulastenden Verfehlungen vor allem im Hinblick auf die gravierende Eheverfehlung des Beklagten, der die Klägerin schwer mißhandelt hat, die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht rechtfertigen. Daß eine strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten nicht erfolgte, ist ohne Belang.

Im Hinblick auf die schwere Mißhandlung war die Klägerin auch berechtigt, die häusliche Gemeinschaft aufzuheben. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist gemäß § 94 Abs 2 zweiter Satz ABGB nicht verwirkt, so daß der Revision der Erfolg zu versagen ist. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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