Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile schlossen am 3.Mai 1968 vor dem Standesamt Wien-Penzing die Ehe. Sie sind österreichische Staatsbürger. Aus der Ehe entstammen die am 7.März 1969 und 22.Oktober 1970 geborenen Kinder Ursula und Thomas. Die häusliche Gemeinschaft zwischen den Streitteilen ist seit Dezember 1983 aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine weitestgehende Entfremdung der Streitteile eingetreten. Seit vielen Jahren bestand zwischen ihnen keine Geschlechtsgemeinschaft mehr. Der Kläger lebt nunmehr mit Dr.Claudia P***, einer Ärztin aus seinem Operationsteam, in Lebensgemeinschaft.
Der Kläger begehrte in erster Instanz die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten.
Die Beklagte bestritt, Eheverfehlungen begangen zu haben. Mit ihrem weiteren Vorbringen machte sie geltend, daß die Voraussetzungen nach § 55 Abs 1 EheG nicht gegeben seien. Die Scheidung träfe sie auch härter als den Kläger.
Das Erstgericht schied die Ehe nach § 55 EheG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und hob in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 27.Oktober 1987 das Urteil des Erstgerichtes auf und beschloß, in der Sache selbst zu verhandeln. Der Kläger habe die Scheidung der Ehe nach § 49 EheG beantragt. Das Erstgericht habe aber die Ehe nach § 55 EheG geschieden, ohne Feststellungen zu treffen, die eine Beurteilung des Sachverhaltes nach § 49 EheG zuließen. Es läge daher ein Feststellungsmangel nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vor.
Im fortgesetzten Verfahren stützte der Kläger sein Scheidungsbegehren ausschließlich auf die Bestimmung des § 55 EheG. Die Beklagte wiederholte ihr in erster Instanz gemachtes Vorbringen. Die Streitteile hätten 15 Jahre lang eine vorbildliche Ehe, außergewöhnlich harmonische Ehe geführt. Zu einer Änderung sei es erst durch das Dazwischentreten von Dr.Claudia P*** gekommen. Die Beklagte träfe die Scheidung äußerst hart, weil sie auf sexuellem Gebiet gravierende Einschränkungen in Kauf genommen und über ausdrücklichen Wunsch des Klägers ihren Beruf als Krankenschwester nicht weiter ausgeübt habe. Sie beantragte, gemäß § 61 EheG das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung auszusprechen.
Das Berufungsgericht schied die Ehe nach § 55 EheG und sprach aus, daß der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet habe. Es stellte fest, der Kläger habe der Beklagten gegenüber zugegeben, daß er mit Dr.Claudia P*** bereits ein Verhältnis gehabt habe, als er aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei. Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet sei. Es sei einhellige Rechtsprechung, daß nur ganz besonders schwerwiegende Umstände die Verweigerung des Scheidungsrechtes nach § 55 Abs 1 EheG rechtfertigen könnten. Eine besondere Härte werde unter anderem darin erblickt, daß ein Ehegatte durch die Scheidung überrascht werde. Moralische und religiöse Gründe allein seien nicht hinreichend, um dem Scheidungsbegehren die Berechtigung zu versagen. Die Beklagte habe in ihrer Parteienvernehmung ausdrücklich angegeben, daß weder wirtschaftliche noch soziale oder gesellschaftliche Überlegungen sie zum Festhalten an der Ehe bewegten; für sie sei die rein menschliche Seite bestimmend, sie liebe den Kläger noch immer und möchte aus diesem Grunde an der Ehe festhalten. So achtenswert dieser Standpunkt der Beklagten sei, so könnten doch die von ihr geltend gemachten Umstände nicht zu einer Abweisung des Scheidungsbegehrens des Klägers führen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Beklagte vom Scheidungsbegehren überrascht worden sei. Auf Grund der Aufnahme einer Lebensgemeinschaft durch den Kläger mit einer anderen Frau habe sie mit einer derartigen Entwicklung rechnen müssen. Die häusliche Gemeinschaft sei nunmehr schon fast vier Jahre aufgehoben. Daß die Beklagte als schuldloser Teil von dieser Scheidung getroffen werde, nehme das Gesetz in Kauf. Ein Widerspruch der Beklagten wäre nur dann beachtlich, wenn diese Härte jene, die durchschnittlich zu erwarten sei, wesentlich überstiege. Solche Umstände seien aber nicht hervorgekommen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.
Soweit in ihrem Rechtsmittel unter Geltendmachung des Revisionsgrundes nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO die Aufhebung des Urteiles des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht bekämpft wird, ist die Revisionswerberin darauf hinzuweisen, daß der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes ohne Rechtskraftvorbehalt erfolgte. Solche Beschlüsse sind gemäß § 519 ZPO unanfechtbar (SZ 22/102 uva; Fasching, Kommentar IV 412 f; derselbe, Zivilprozeßrecht, Rz 1822, 1834). Durch den Aufhebungsbeschluß trat das Verfahren in das Stadium vor Schluß der mündlichen Verhandlung zurück. Die Parteien hatten daher auch im Ergänzungsverfahren durch das Berufungsgericht selbst alle Befugnisse, die ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zustehen. Dies bedeute, daß der Kläger befugt war, neue Sachanträge zu stellen, mit denen auch die Klage geändert werden konnte (JBl. 1987, 189 = SZ 59/134, Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1820). Gegen die vom Kläger vorgenommene Klagsänderung, er stütze nunmehr sein Scheidungsbegehren auf § 55 Abs 1 EheG, erhob die Beklagte aber keine Einwendungen, sie verhandelte vielmehr über die geänderte Klage (§ 235 Abs 2 ZPO).
Auch die Rechtsrüge versagt. Eine Ehe ist tiefgreifend unheilbar zerrüttet, wenn die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden geistig, seelisch und körperlichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist (EFSlg 48/785, 48.763 uva). Es genügt, daß die Grundlage der Ehe objektiv weggefallen ist und bei einem Ehegatten subjektiv die eheliche Gesinnung auf Dauer nicht mehr besteht (EFSlg 48.764, 46.178, 43.629 uva; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 55 EheG). Daß die Beklagte hofft, es werde sich alles noch zum Besseren wenden, kann bei dem vom Kläger gesetzten Verhalten und der von ihm an den Tag gelegten Gesinnung, eine Ehescheidung herbeizuführen, an der Beurteilung, die Ehe sei unheilbar zerrüttet, nichts ändern.
Im übrigen vertritt die Beklagte weiterhin die Ansicht, sie träfe die Scheidung nach rund vierjähriger Trennung zum Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung härter als den Kläger. Dies steht außer Frage, kann jedoch ihrem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Im Hinblick auf die mit dem erklärten Ziel einer Erleichterung der Scheidung unheilbar zerrütteter Ehen erfolgte Neufassung des § 55 Abs 2 EheG ist bei Beurteilung der Berechtigung des vom beklagten Ehegatten gestellten Verlangens, dem Scheidungsbegehren trotz Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit mehr als drei Jahren nicht stattzugeben, nicht mehr abstrakt auf das Wesen der Ehe, sondern auf die subjektiven Verhältnisse der Ehegatten abzustellen (EFSlg 43.656; EvBl 1982/194 ua). Der Sinn der Härteklausel des § 55 Abs 2 EheG liegt darin, dem schuldlosen Ehegatten in Ausnahmefällen eine angemessene Anpassungsfrist zu gewähren (EFSlg 43.655; EvBl 1982/194; SZ 52/29 ua). Die Regelung des § 55 Abs 3 EheG läßt aber erkennen, daß selbst die größte Härte für einen der Ehegatten nicht zu dauernder Verweigerung der Scheidung führen kann. Es müssen daher konkrete Umstände vorliegen, aus denen im Einzelfall eine besondere Härte für den die Scheidung ablehnenden Ehegatten abgeleitet werden könnte (EFSlg 43.657; EvBl 1982/194; SZ 52/29 ua). Die im § 55 Abs 2 EheG beispielsweise aufgezählten Umstände zeigen zwar auf, unter welchen Voraussetzungen nach der Absicht des Gesetzgebers vor allem dem beklagten Ehegatten eine allmähliche Anpassung an die neue Situation zu ermöglichen ist; sie sind aber für sich allein kein ausschlaggebender Grund für eine Abweisung des Scheidungsbegehrens. Sie werden nur bei Vorliegen konkreter weiterer Tatsachen, die einen Schluß auf eine besondere Härte zulassen, eher zu deren Bejahung führen müssen als ihr Fehlen (EFSlg 43.658; EvBl 1982/194; SZ 52/29 ua). Lebt der Kläger aber bereits mit einer anderen Frau, mit der er schon zum Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ein Verhältnis unterhielt, in Lebensgemeinschaft, kann es für die Beklagte nicht überraschend sein, daß er nunmehr die Scheidung der Ehe begehrt. Daß die Ehe bis zur Entfremdung der Streitteile harmonisch verlief und die Beklagte nach ihrer Darstellung angesichts der sexuellen Enthaltsamkeit des Klägers erhebliche Opfer auf sich genommen hat und diese offenbar weiter auf sich zu nehmen gewillt ist, wiegt, zumal sich die beiden Kinder der Volljährigkeit nähern und pensionsrechtliche Nachteile für die Klägerin auf Grund ihres Alters und der Dauer der Ehe nicht zu befürchten sind, nicht so schwer, daß diese Gründe die Verweigerung des Scheidungsrechtes nach § 55 Abs 2 EheG rechtfertigten.
Der Revision ist der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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