Normen
ABGB §879 (2) Z4
Wuchergesetz §7
ZPO §411 (1)
ABGB §879 (2) Z4
Wuchergesetz §7
ZPO §411 (1)
Spruch:
Rechtskraft einer Entscheidung, mit der ein Vertragspartner in Zuhaltung eines Vertrages zur Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechtes an einer Liegenschaft zugunsten des anderen Vertragspartners verurteilt worden ist, hindert nicht eine Klage des Verurteilten, der diesen Vertrag nachträglich wegen Wuchers anficht und nun seinerseits die Verurteilung des Gegners zur Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechtes an der gleichen Liegenschaft für sich begehrt.
Entscheidung vom 6. März 1963, 1 Ob 4, 5/63.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
In dem Rechtsstreit Cg ... /58 hatten Walter und Rosina X. die heutige Klägerin auf Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechtes auf die 17/20 Anteile der Liegenschaft EZ. Y. für die Kläger auf Grund des Kaufvertrages vom 22. Oktober 1957 belangt. Die Einwendungen der damaligen Beklagten, vor allem, es liege in der Vereinbarung vom 22. Oktober 1957 nur ein Vorvertrag, erwiesen sich als haltlos. Die Ehegatten X. waren in allen Instanzen siegreich. Rosina X. als Alleinerbin und Rechtsnachfolgerin ihres Gatten Walter X. hat die exekutive Eigentumseinverleibung durchgesetzt. Nunmehr ficht die damalige Beklagte denselben Vertrag vom 22. Oktober 1957 als wucherisch an und begehrt das Urteil: a) der zwischen der Klägerin und den Ehegatten Walter und Rosina X. am 22. Oktober 1957 geschlossene Kaufvertrag über die der Klägerin damals gehörigen 17/20 Anteile der Liegenschaft EZ. Y. sei nichtig; b) die Beklagte sei schuldig, binnen 14 Tagen einzuwilligen, daß ob den ihr grundbücherlich gehörenden 17/20 Anteilen der erwähnten Liegenschaft das Eigentumsrecht für die Klägerin einverleibt werde.
Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren als unbegrundet ab.
Das Berufungsgericht hob zunächst mit Beschluß aus Anlaß der Berufung das erstgerichtliche Urteil, soweit es den Punkt b betrifft, und das vorausgegangene Verfahren als nichtig auf und wies das diesbezügliche Klagebegehren zurück. Im übrigen gab es der Berufung nicht Folge und führte rechtlich aus:
In dem Rechtsstreit Cg .... /58 sei rechtskräftig entschieden worden, daß der heutigen Beklagten und ihrem inzwischen verstorbenen Gatten, den sie beerbt habe, der Anspruch auf bücherliche Übereignung der 17/20 Anteile der Liegenschaft EZ. Y. zustehe, welcher Anspruch auch inzwischen durch Exekution realisiert worden sei. In diesem Umfang liege eine entschiedene Rechtssache vor, die durch die Wirkung ihrer materiellen Rechtskraft verhindere, daß über diese schon ausgesprochene Übereignungspflicht in einem neuerlichen Rechtsstreit zwischen denselben Parteien noch einmal abgesprochen werde, gleichgültig, welche Partei nunmehr als Kläger oder Beklagter auftrete. Die materielle Rechtskraft des ergangenen Urteils führe dazu, daß der seinerzeitigen Beklagten im nunmehrigen Verfahren alle weiteren Einwendungen gegen die Rechtswirksamkeit der damals schon angeordneten Eigentumsübertragung abgeschnitten seien, soweit sie im Zeitpunkt des früheren Verfahrens schon vorhanden waren und vorgebracht hätten werden können. Diese Ausführungen gelten allerdings nicht für die einredeweise Geltendmachung selbständiger Gegenrechte und nicht für zur Aufrechnung geeignete Gegenforderungen oder erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz neu eingetretene Tatsachen, die zum nachträglichen Wegfall oder Entstehen des zuerkannten oder aberkannten Anspruchs führen. Im gegenständlichen Verfahren sei nur Wucher behauptet worden, was schon seinerzeit einredeweise hätte geltend gemacht werden können. Die Behauptung von Wucher verkörpere keinen selbständigen Gegenanspruch, weil auch im gegenständlichen Verfahren nur die Frage entscheidend sei, ob der seinerzeitige Kaufvertrag rechtswirksam abgeschlossen wurde oder nicht. Die Nämlichkeit des Klagegrundes und die Grenzen der Rechtskraft bestimmen sich nur nach den Entstehungsgrunden des seinerzeit behaupteten Anspruchs, nicht aber nach den erhobenen oder möglichen Einwendungen der beklagten Partei. Die Nämlichkeit des Rechtsgrundes, der im gegenständlichen Fall in der Rechtswirksamkeit des Kaufvertrages vom 22. Oktober 1957 liege, sei daher gegeben. Dem Anspruch auf Rückübertragung des Eigentumsrechtes stehe das rechtskräftige frühere Urteil entgegen. Dies gelte nicht für das Feststellungsbegehren der Klägerin laut Punkt a des Klagebegehrens, weil in dem früheren Rechtsstreit keine diesbezüglichen Begehren erhoben gewesen seien. Die Rechtswirksamkeit des Kaufvertrages sei damals nur eine Vorfrage gewesen, habe daher nicht der materiellen Rechtskraft teilhaft werden können. Dem nunmehr erhobenen Feststellungsbegehren fehle aber das Interesse an einer alsbaldigen Feststellung, nämlich ein rechtliches Interesse, welches über den Wunsch auf Rückübertragung der Liegenschaftsanteile hinausgehe, welches Ziel aber nicht mehr erreicht werden könne. Ein solches weitergehendes Interesse sei weder ausdrücklich dargetan worden noch sonst aus dem Vorbringen der Klägerin zu erkennen. Mangels dieses Feststellungsinteresses sei daher in diesem Punkt die erstgerichtliche Entscheidung zu bestätigen gewesen.
Die Klägerin bekämpfte den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und das berufungsgerichtliche Urteil mit Revision.
Der Oberste Gerichtshof gab beiden Rechtsmitteln Folge, hob den Beschluß und das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Entscheidung des Rechtsstreites selbst, hier also die Entscheidung über die Revision und über den Rekurs der Klägerin, hängt vorerst von der Frage der materiellen Rechtskraft eines Urteiles ab. In dieser Frage teilt der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht in allen Punkten.
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung deckt die materielle Rechtskraft eines Urteiles denjenigen Tatbestand, der zur Zeit des Schlusses der Verhandlung erster Instanz vorlag. Die Identität der Sache ist dann vorhanden, wenn das Rechtsverhältnis, das bereits entschieden wurde, dem Inhalt und Entstehungsgrund nach gleich ist mit dem neu geltend gemachten Rechtsverhältnis (RZ. 1956 S. 12 u. v. a.). Die materielle Rechtskraft eines Urteiles hat jedoch keine Wirkung gegenüber der Geltendmachung selbständiger Gegenrechte. Das Berufungsgericht führt hier zutreffend Wandlung oder Preisminderung aus dem Titel der Gewährleistung in bezug auf eine bereits rechtskräftig entschiedene Kaufpreisklage an. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich weiter nicht auf zur Aufrechnung geeignete Gegenforderungen und nicht auf erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz im seinerzeitigen Verfahren neu eingetretene Tatsachen, die zum nachträglichen Wegfall oder Entstehen des zuerkannten oder aberkannten Anspruchs führen (29. Mai 1907, GlUNF. 3789; 12. Juni 1923, SZ. V 154; RZ. 1937 S. 298).
Insoweit kann dem Berufungsgericht gefolgt werden, nicht jedoch in der Frage, daß die Anfechtung eines Vertrages wegen Wuchers keinen selbständigen Gegenanspruch verkörpert. Dies zeigt sich am deutlichsten beim Vergleich des seinerzeitigen mit dem jetzigen Klagebegehren. Damals war das Begehren gerichtet auf Erfüllung des Kaufvertrages vom 22. Oktober 1957. Das nunmehrige Begehren zielt nicht etwa auf Nichterfüllung dieses Vertrages, sondern auf Rückerstattung des Geleisteten. Gestützt wird dieses Begehren auf einen völlig neuen und selbständigen Klagegrund, nämlich die Nichtigkeit des Vertrages wegen Wuchers. Es geht also im vorliegenden Verfahren nicht mehr um das Zustandekommen eines Kaufvertrages am 22. Oktober 1957 und um dessen Erfüllung oder Nichterfüllung, sondern darum, ob dieser zustandegekommene und erfüllte Vertrag wegen Wuchers nichtig ist und ob deshalb die Vertragspartnerin das Geleistete herauszugeben hat. Der Fall liegt daher grundsätzlich nicht anders als gerade die vom Berufungsgericht angeführten Beispiele der nachträglichen Geltendmachung eines Preisminderungs- oder Wandlungsanspruches aus dem Titel der Gewährleistung. So wie es dem Kläger nach im wesentlichen einhelliger Rechtsprechung möglich ist, auch denselben Anspruch, jedoch auf Grund eines anderen Sachvorbringens, neuerlich geltend zu machen (vgl. die bereits angeführte Entscheidung RZ. 1956 S. 12 und die dort zitierte weitere Judikatur), so muß es auch dem Beklagten möglich sein, selbständige, also auf jeweils eigenes Sachvorbringen gestützte Gegenrechte in einem späteren Prozeß neu geltend zu machen, ohne gegen die Rechtskraft der ersten Entscheidung zu verstoßen.
Aus diesen Überlegungen folgt zunächst, daß dem Klagebegehren zu b) (Begehren auf Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechtes) die Rechtskraft des Urteiles im Vorprozeß Cg ... /58 nicht entgegensteht, daß also der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes rechtlich nicht zutreffend ist. Der Rekurs der Klägerin mußte demnach Erfolg haben. Der Beschluß des Berufungsgerichtes war aufzuheben und dem Berufungsgericht aufzutragen, über den hier betroffenen Teil der Berufung sachlich zu entscheiden.
Ist aber dem Begehren zu b) kein formelles Hindernis im Wege, so kann auch dem Feststellungsbegehren nicht deshalb das rechtliche Interesse abgesprochen werden, weil die sich aus einer Nichtigkeit des Vertrages ergebende nächstliegende Folgerung der Rückstellung des Geleisteten nicht mehr durchsetzbar wäre. Die beiden klägerischen Begehren zu a) und b) hängen eng zusammen; ist der Vertrag nichtig, so wird wohl jeder Teil im Sinne des § 7 WucherG. das aus dem Vertrag Erhaltene zurückzustellen haben. Ist die Rückstellungsverpflichtung der Beklagten zu bejahen, so hat sie die Liegenschaftsanteile in dem Zustand zurückzustellen, in welchem sie ihr übergeben wurden.
Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreites letzten Endes von der Frage ab, ob der Kaufvertrag vom 22. Oktober 1957 wegen Wuchers nichtig ist oder nicht. Zu dieser Frage hat das Berufungsgericht nicht näher Stellung genommen. Es hat nur "am Rande vermerkt", daß es gegen die erstrichterlichen Tatsachenfeststellungen, die ein auffallendes Mißverhältnis zwischen dem Wert der Liegenschaftsanteile und dem Kaufpreis ausschließen, "keine Bedenken hegen könnte". Damit hat sich das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus erklärlich - nicht mit den geltend gemachten Berufungsgrunden auseinandergesetzt, so daß auch der Oberste Gerichtshof die Rechtssache noch nicht erschöpfend beurteilen kann.
Das Berufungsgericht wird also neuerlich in der Sache zu entscheiden haben. Ob es dazu einer ergänzenden Verhandlung bedarf, bleibt dem Berufungsgericht zur Beurteilung überlassen.
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