Normen
ABGB §142
ABGB §178
ABGB §181
Jugendwohlfahrtsverordnung §37
Jugendwohlfahrtsverordnung §43
Jugendwohlfahrtsverordnung §49
ABGB §142
ABGB §178
ABGB §181
Jugendwohlfahrtsverordnung §37
Jugendwohlfahrtsverordnung §43
Jugendwohlfahrtsverordnung §49
Spruch:
Durch die Jugendwohlfahrtsverordnung wurde die Bestimmung des § 178 ABGB. nicht außer Kraft gesetzt.
Entscheidung vom 30. August 1950, 1 Ob 463/50.
I. Instanz: Jugendgericht Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Juli 1949 wurde die am 21. Mai 1946 zwischen Helmuth und Franziska H. geschlossene Ehe aus dem Verschulden beider Ehegatten geschieden, wobei ausgesprochen wurde, daß das Verschulden der Franziska H. überwiegt, da letztere die Ehe gebrochen hat. Aus dieser Ehe stammen zwei Kinder, und zwar Helga (geboren 26. November 1946) und Christine (geboren 1. November. 1948). Mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes kam die ältere Tochter nach der Scheidung der Ehe in die Pflege und Erziehung des Vaters, während die mj. Christine in der Pflege und Erziehung der Mutter verblieb.
Auf Grund einer Anzeige mehrerer Hausparteien beantragte das Jugendamt G., die mj. Christine der Mutter abzunehmen und sie in einem städtischen Heim oder auf einem Privatpflegeplatz des Jugendamtes unterzubringen, weil Gefahr bestunde, daß die Minderjährige bei ihrer Mutter körperlich und sittlich vernachlässigt werde.
Das Erstgericht hat diesem Antrag stattgegeben.
Das Rekursgericht hat dem Rekurs der Mutter Folge gegeben, den Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Beschlußfassung nach Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Rekursgericht führte aus, daß die Anordnung der Abnahme von der Verwahrlosung ausgesetzten Kindern von ihren Eltern oder einem der Elternteile und ihre Unterbringung in öffentlichen Heimen im Gesetz nicht begrundet sei, da die Bestimmung des § 178 ABGB. durch die Jugendwohlfahrtsverordnung als lex specialis ergänzt worden sei, sodaß die Heranziehung des § 178 ABGB. zur Begründung der den Umständen angemessenen Verfügungen entbehrlich sei. Ob die Voraussetzungen für die Anordnung der Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung im Sinne der §§ 43, bzw. 49 ff. JWV. vorlägen, könne aber erst nach Durchführung einer ärztlichen Untersuchung der Minderjährigen und nach Vernehmung des Vaters des Kindes entschieden werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des städtischen Jugendamtes G. Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Rekursgericht hat die Heranziehung des § 178 ABGB. mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Jugendwohlfahrtsverordnung abgelehnt. Dieser Rechtsansicht kann nicht beigetreten werden. Wenn auch durch die Jugendwohlfahrtsverordnung (Verordnung vom 20. März 1940, DRGBl. I S. 519) auf dem Gebiete der Jugenderziehung zur Verhütung und Beseitigung körperlicher, geistiger und sittlicher Verwahrlosung von Jugendlichen einschneidende Maßnahmen getroffen wurden, so kann dennoch nicht gesagt werden, daß durch die Jugendwohlfahrtsverordnung die Bestimmungen des § 178 ABGB. illusorisch geworden sind. Daß die Bestimmung des § 178 ABGB. trotz der Wirksamkeit der Jugendwohlfahrtsverordnung in Kraft geblieben ist, geht eindeutig aus § 37 JWV. selbst hervor, wo bestimmt ist, daß in den Fällen der §§ 142, 178 und 181 ABGB. das Gericht vor der Beschlußfassung das zuständige Jugendamt zu hören hat. Aus dieser Gesetzesstelle ergibt sich, daß das Pflegschaftsgericht auch nach § 178 ABGB. die Möglichkeit hat, alle den Umständen angemessenen Verfügungen zum Schutze von Jugendlichen zu treffen. Da das Rekursgericht bei seiner Entscheidung von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Rechtssache ausgegangen ist, war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
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