European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00045.22G.0420.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile (eher) der Regelfall sein (RIS‑Justiz RS0128811 [T1]). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt jedoch ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit zwischen ihnen voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Die Beurteilung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812), kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet typischerweise keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine solche vermag der Revisionsrekurswerber auch nicht aufzuzeigen.
[2] 2. Nach den Feststellungen kommt es zwischen den Eltern seit etwa drei Jahren vermehrt zu Auseinandersetzungen, die großteils die Erziehung des Kindes betreffen und von „gegenseitigem Drohverhalten, Kriminalisierung, Psychopathologisierung, Schikanen und mangelnder Bereitschaft zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe“ unter wiederholter Involvierung der Polizei und des Kinder- und Jugendhilfeträgers geprägt sind. Das Verhältnis der Eltern zeichnet sich durch – wie derzeit – hochkonflikthafte Phasen einerseits und Phasen der Beruhigung infolge Wiederaufnahme der partnerschaftlichen Beziehung anderseits aus. Die Mutter wirkt kooperativ und reflektiert und zeigt sich bemüht, dem Kind im Alltag die notwendige Stabilität und Routine zu bieten. Der Vater versucht zwar, mit den Behörden zu kooperieren, verfällt dabei jedoch sehr oft in kontraproduktive Kommunikationsmuster und wird aufbrausend und anschuldigend, weshalb konstruktive Gespräche scheitern. Bei Widersprüchen der Mutter reagiert er verärgert und versucht, seine Sichtweise auch gegen ihren Willen durchzusetzen, was dazu führt, dass sie sich immer mehr zurückzieht und Konfrontationen mit ihm aus dem Weg zu gehen versucht. Der Vater erweckt den Eindruck, fachliche Empfehlungen nur schwer umsetzen und andere Meinungen nicht akzeptieren zu können und seine Vorstellungen wortgewaltig durchsetzen zu wollen, wodurch er die Mutter unter Druck setzt, was ihm offenbar nicht bewusst ist. Seine pauschalen Vorwürfe, die weder nachvollziehbar noch nachweisbar sind, dienen nicht dazu, die Gesprächsbasis zwischen den Eltern wiederherzustellen.
[3] 3. Dass die Vorinstanzen auf dieser Grundlage die für die gemeinsame Obsorge erforderliche Kommunikationsbasis und Kooperationsbereitschaft der Eltern verneinten, bedarf keiner Korrektur. Der Revisionsrekurswerber meint, die Vorinstanzen hätten sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob in absehbarer Zeit mit einem Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit gerechnet werden könne. Dem ist zu entgegnen, dass sich nach den (dislozierten) Feststellungen die (als schwer defizitär beschriebene) Gesprächskultur des Vaters bislang nicht verbessert hat, obwohl ihm seit dem Jahr 2018 bereits mehrfach mitgeteilt wurde, dass die Gesprächsbasis zwischen den Eltern für die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge wiederhergestellt werden muss. Darüber hinaus zeigte sich der Vater – wie das Erstgericht in seiner Entscheidung festhielt – anlässlich des letzten Versuchs des Erstrichters in der der Beschlussfassung vorangehenden Tagsatzung, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Obsorge zu klären, „äußerst verärgert“ und uneinsichtig und verweigerte die Erörterung dieses Themenkomplexes unter anderem mit verächtlichen Äußerungen wie „Bananenrepublik“ und „Kasperltheater“. Auch das Rekursgericht betonte, dass die Eltern mittlerweile mehrere Jahre (ohne Ergebnis) Zeit hatten, ihre Kommunikationsbasis zu verbessern. Anhaltspunkte dafür, dass trotz der jahrelang wider besseres Wissen anhaltenden Streitereien zwischen den Eltern und des vor allem auch vom Vater bis zuletzt an den Tag gelegten Verhaltens doch noch zumindest in absehbarer Zeit mit einer entsprechenden Gesprächsbasis gerechnet werden könnte, werden vom Vater nicht dargetan und ergeben sich auch nicht aus den Feststellungen. Dass der Vater nunmehr Eltern- und Erziehungsberatung in Anspruch nimmt, mag eines Tages zu einer anderen Beurteilung führen, bedeutet aber nicht, dass die gemeinsame Obsorge solange aufrechtzuhalten ist, bis sich ein Erfolg dieser Bemühungen einstellt.
[4] 4. Der Revisionsrekurswerber vermag auch nicht aufzuzeigen, dass die Vorinstanzen bei dieser Sachlage ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen gehabt hätten, „was unternommen werden kann, um die Kommunikationsfähigkeit der Eltern zu verbessern“ und „ob beide Eltern zur Ausübung der Obsorge miteinander geeignet sind“.
[5] Die Familiengerichtshilfe hat die alleinige Obsorge der Mutter nach den Feststellungen auch deshalb befürwortet, weil die Obsorge beider Eltern „in der Vergangenheit zur weiteren Eskalation des elterlichen Konflikts beigetragen hat“. Die Behauptung des Revisionsrekurswerbers, die Familiengerichtshilfe habe die gemeinsame Obsorge nicht (mit-)geprüft, weil damals kein entsprechender Antrag aufrecht gewesen sei, ist daher – wie bereits das Rekursgericht ausführte – unrichtig. Aus der vom Vater ins Treffen geführten Entscheidung 8 Ob 152/17m ist für ihn schon deshalb nichts zu gewinnen, weil abgesehen von der direkten Kommunikation zwischen den Eltern sonstige Umstände dort – anders als hier – für die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge sprachen.
[6] Zudem kann auch im Pflegschaftsverfahren ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz grundsätzlich keinen Revisionsrekursgrund bilden, sofern eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RS0050037 [T4]). Die Voraussetzungen für eine derartige Ausnahme liegen hier nicht vor, zumal der Vater selbst einräumt, dass das Kind sich im Kindergarten auffällig verhält und ein erhöhtes Aggressionspotential gegenüber anderen Kindern aufweist, wobei nahe liegt, dass die gemeinsame Obsorge angesichts des Hin und Her zwischen den Eltern in den letzten Jahren, insbesondere der zahlreichen wechselseitigen Obsorgeanträge, nichts zur Stabilisierung der Situation des Minderjährigen beigetragen hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)