Spruch:
Über das Verfügungsrecht der Interessenten an einer Familiengruft aus Anlaß einer Beisetzung oder Exhumierung.
Entscheidung vom 23. Juni 1954, 1 Ob 445/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Villach; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Der 1952 gestorbene Dr. Egbert G. wurde in einer Familiengruft beigesetzt. Das Rekursgericht hat die von der Mutter und den Geschwistern des Verstorbenen im Jahre 1954 beantragte und vom Erstgericht abgelehnte einstweilige Verfügung, "es werde der Witwe nach Dr. Egbert G. jede Verfügung über den Leichnam des verstorbenen Dr. Egbert G., insbesondere die Enterdigung und Überprüfung und die Öffnung der Familiengruft untersagt," erlassen.
Der Oberste Gerichtshof hat dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin, die die Wiederherstellung des Beschlusses der ersten Instanz begehrt, nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:
Die Antragsgegnerin bemängelt zunächst, daß nicht geprüft wurde, wer über die Familiengruft verfügungsberechtigt sei. Sie bestreitet dabei allerdings nicht, daß die gefährdeten Parteien verfügungsberechtigt sind, sie behauptet nur, daß dies auch noch auf andere Personen zutrifft.
Im übrigen ist es wohl richtig, daß die Verfügung über die Beisetzung in erster Linie dem überlebenden Gatten zusteht. Es kommt hier jedoch nicht ausschließlich auf dieses Verfügungsrecht an, denn die Witwe nach Dr. G. hat von diesem ihrem Recht schon dadurch Gebrauch gemacht, daß sie der Beisetzung ihres verstorbenen Gatten in der Familiengruft zustimmte. Durch diese Zustimmung und die tatsächliche Beisetzung ist das Verfügungsrecht der Witwe insofern beschränkt, als eine Enterdigung nicht nur eine Öffnung der Familiengruft, sondern auch im Sinne eines gemeinsamen Familieninteresses und einer pietätvollen Pflege der gemeinsamen Beisetzungsstelle einen Eingriff in den geschaffenen Zustand bedeutet. Infolge der Beisetzung in der Familiengruft ist die Frage der Beerdigung des Dr. Egbert G. nicht mehr eine ausschließlich die Witwe berührende Angelegenheit geblieben. Es besteht vielmehr eine gewisse Gemeinsamkeit der Interessen zwischen ihr und den sonst über die Gruft Verfügungsberechtigten. Die Verfügung über eine allfällige Enterdigung ist somit zu einer gemeinsamen Angelegenheit geworden, deren Bedeutung für alle Beteiligten vom Standpunkte der Pietät eine Majorisierung einer Minderheit nach irgendeinem Abstimmungsmodus ausschließt. Die Enterdigung kann also nur mit Zustimmung aller Beteiligten, also der Witwe und der übrigen über die Gruft verfügungsberechtigten Personen erfolgen. Wenn aber diese Übereinstimmung nicht erzielt werden kann, dann ist es Sache derjenigen Person, die eine Änderung herbeiführen will, analog § 835 ABGB. die Entscheidung des Außerstreitrichters herbeizuführen. Seine Aufgabe wäre es dann, derjenigen Partei das Übergewicht zu geben, die für ihren Standpunkt durchgreifendere Gründe vorbringt, Gründe, die nach der Sachlage nicht solche einer rechtlichen Bindung, sondern nur der Billigkeit sein können.
Solange die gefährdeten Parteien aber nicht durch einen solchen Ausspruch des Außerstreitrichters gebunden sind, die Enterdigung zuzulassen, sind sie berechtigt, und zwar jede für sich und auch wenn sie zusammen nicht die Gesamtheit der verfügungsberechtigten Personen bilden, eine eigenmächtige Enterdigung durch die Witwe zu verweigern, und diese ist schuldig, eine solche bis zur Erwirkung der Entscheidung zu unterlassen. Daraus ergibt sich, daß die gefährdeten Parteien wenigstens derzeit verlangen können, daß die Antraggeberin die Enterdigung unterläßt.
Daß aber die Gefahr einer eigenmächtigen Verfügung der Witwe bestand, ergibt sich aus der Bestätigung des Magistrates der Stadt V.
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