Spruch:
Ein Gastvertrag mit einem Schankwirt kommt spätestens mit der Entgegennahme der Bestellung durch den Wirt oder seine Angestellten zustande; wer später die Zeche bezahlen soll, ist bedeutungslos.
Entscheidung vom 5. Februar 1958, 1 Ob 428/57.
I. Instanz: Bezirksgericht Bad Aussee; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 34.995 S 57 g samt 4% Zinsen seit 16. Februar 1955. Sie habe in der Absicht, sich anzulehnen, ein Geländer ergriffen, das zur Gastwirtschaft der Beklagten auf der P.-Höhe gehört. Das Geländer sei gebrochen, wodurch sie über eine Steinmauer hinunterstürzte und sich schwer verletzte. Die Beklagte hat jedes Verschulden bestritten und Alleinverschulden der Klägerin eingewendet.
Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt und festgestellt:
Die Klägerin machte mit dem Linzer Trachtenverein "E." am 8. August 1953 eine Fahrt über die P.-Höhe. Bei dem dort befindlichen, der Beklagten gehörigen Gasthaus wurde Rast gemacht. Vor dem Gasthaus befindet sich eine aufgeschüttete Terrasse, die mit einer Bruchsteinmauer abgemauert und stellenweise 1.80 m hoch ist. Die Mauer war mit einem Geländer gesichert. Die Klägerin betrat die Terrasse mit anderen Mitgliedern des genannten Trachtenvereines und bestellte sich ein Glas Milch. Als eine Photoaufnahme gemacht werden sollte, stellten sich einige Teilnehmer in der Nähe eines am Rande der Terrasse befindlichen Baumes auf, darunter auch die Klägerin. Sie ging rücklings gegen das Geländer, faßte es mit einer Hand und übte dadurch einen geringen Druck gegen das Geländer aus. Dadurch brach ein Steher des Geländers gerade dort, wo er in das Erdreich eingelassen war, ab. Die Klägerin stürzte rücklings über die erwähnte Böschungsmauer und trug Verletzungen davon. Das Geländer wurde im Jahre 1937 oder 1938 errichtet. Seither wurden nur einige waagrechte Holme, nicht aber die Steher ausgewechselt. Äußerliche Fäulniserscheinungen am Geländer waren nicht zu sehen, doch zeigte es Verwitterungserscheinungen. Der gebrochene Steher war aus Weichholz (Fichte) und befand sich im Schattenbereich von Bäumen. Auch ihm konnte nicht angesehen werden, daß er - wie sich nach dein Bruch herausstellte - in einer Tiefe von 10 bis 20 cm unter der Erdoberfläche stark vermorscht war. Die Beklagte besitzt das Gasthaus seit 1943. Sie hat sich von der Festigkeit des Geländers nur durch oberflächliche Rüttelversuche überzeugt.
Auf Grund dieses festgestellten Sachverhaltes hat das Erstgericht erkannt, daß der Anspruch der Klägerin dem Gründe nach zu Recht bestehe. Die Beklagte hafte nach § 1319 bzw. § 1295 ABGB. Sie habe die Festigkeit des Geländers weder selbst genügend überprüft noch auch einen Fachmann mit der Überprüfung desselben betraut. Gerade in einem Gasthausbetrieb sei besondere Vorsicht nötig. Ein Geländer biete für fremde Personen den Eindruck eines Schutzes, auf den ein Gast Anspruch habe.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und gab der Berufung nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Untergerichte haben die Klägerin mit Recht als Gast der Beklagten angesehen. Ein Gastvertrag mit einem Schankwirt kommt spätestens mit der Entgegennahme der Bestellung durch den Wirt oder seine Angestellten zustande. Hiebei ist es ohne Bedeutung, wer später die Bezahlung der Zeche vornehmen soll, weil der Umstand, daß ein Familienangehöriger, Freund oder Bekannter die Zeche begleichen wird, für den Gastwirt und damit für den Gastvertrag in der Regel bedeutungslos ist.
Im übrigen hat die Beklagte - worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - in der mündlichen Streitverhandlung vom 16. Mai 1956 beim Kreisgericht Wels die Unzuständigkeitseinrede erhoben und diese darauf gestützt, daß nach § 49 Abs. 2 Z. 7 JN. das Bezirksgericht ausschließlich sachlich zuständig sei. Wenn die Revision ausführt, diese Gesetzesstelle mache einen Unterschied zwischen den "Reisenden" und den "Gästen" des Wirtes, so werden auch hier einige Worte des Gesetzestextes aus ihrem Zusammenhang gerissen und wird übersehen, daß nach § 49 Abs. 2 Z. 7 JN. Streitigkeiten zwischen Reedern, Schiffern, Flößern, Fuhrleuten oder Wirten und ihren Auftraggebern, Reisenden und Gästen über die aus diesen Verhältnissen entspringenden Verpflichtungen vor das Bezirksgericht gehören. Die Worte "Reisende" und "Gäste" beziehen sich somit nicht allein auf die Wirte und rechtfertigen daher auch nicht die von der Beklagten gewünschte Unterscheidung. Übrigens hat die Beklagte in ihrem Rekurs selbst die Ansicht vertreten, zwischen ihr und der Klägerin bestehe ein Gastvertrag; sie sei deshalb gezwungen gewesen, die Unzuständigkeit des Kreisgerichtes Wels einzuwenden, um eine Nichtigkeit des Verfahrens zu vermeiden.
War die Klägerin Gast der Beklagten, so war letztere der Klägerin gegenüber verpflichtet, für die gefahrlose Benützung des Gasthauses einschließlich der Terrasse zu sorgen. In den Rahmen der Vertragspflicht fällt es daher, daß die Beklagte das die Terrasse gegen Absturz sichernde Geländer in einem gefahrlosen Zustand erhält. Bei schuldhafter Verletzung dieser Verpflichtung hat die beklagte Partei zu haften. Da das Geländer schon im Jahre 1937 oder 1938 errichtet und seither die Steher nie erneuert wurden, das Geländer überdies schon Verwitterungserscheinungen zeigte, durfte sich die Beklagte, die das Gasthaus schon seit 1943 besitzt, nicht mit einem zeitweise oberflächlichen Rütteln am Geländer begnügen. Die Untergerichte haben mit Recht von der Beklagten verlangt, daß sie in geeigneten Zeitabständen entweder einen Fachmann zur Untersuchung des Zustandes des Geländers hätte heranziehen oder sich selbst durch entsprechendes Aufgraben vom Zustand der Steher hätte überzeugen müssen, weil gerade an der Stelle, wo der Steher aus der Erde ragt, oder knapp darunter nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit Fäulnis und Vermorschung gerechnet werden muß. Die Unterlassung jeder ernstlichen Untersuchung des Zustandes des Geländers seit 1943 stellt zweifellos ein Verschulden der Beklagten dar. Das bloße Rütteln am Geländer reicht jedenfalls nicht aus. Eine solche Sicherheitsvorkehrung erreicht nicht jenes Maß, das von der Beklagten als Gastwirtin vernünftigerweise zu fordern ist (vgl. EvBl. 1956 Nr. 52).
Bei dieser Rechtslage muß auf die Frage, ob die Beklagte auch nach § 1319 ABGB. haftet, nicht eingegangen werden.
Ein Mitverschulden der Klägerin liegt nicht vor. Die Untergerichte haben nicht festgestellt, daß sie sich auf das Geländer gesetzt hat. Daß sie rücklings gegen das Geländer gegangen ist, stellt kein Verschulden dar, ebensowenig, daß sie es mit der Hand anfaßte und dadurch einen geringen Druck auf das Geländer ausübte. Sie konnte und durfte damit rechnen, daß das Geländer einen solchen geringen Druck aushalten und ihr Schutz gegen Absturz bieten werde.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)