OGH 1Ob41/17m

OGH1Ob41/17m12.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** K*****, vertreten durch die Aigner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, Vereinigtes Königreich, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Wien, wegen 15.516,86 EUR sA und Rechnungslegung (Streitwert 3.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 21. Dezember 2016, GZ 1 R 148/16s‑17, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 56 Cg 211/12s‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00041.17M.0712.000

 

Spruch:

Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Der Kläger mit Wohnsitz in Österreich investierte Anfang 2008 über den Sekundärmarkt 14.734,08 EUR in ein bestimmtes Zertifikat. Die Beklagte, eine im Handelsregister des Vereinigten Königreichs eingetragene Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Frankfurt, ist Emittentin dieses Zertifikats. Sie verkaufte die Zertifikate im Zuge der Emission an institutionelle Investoren, die sie wiederum am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiter verkauften. Dem Zertifikat liegt eine Unternehmensanleihe in Form einer In-haberschuldverschreibung zugrunde. Der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von einer GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. 9. 2005 und eines Konditionenblatts vom 30. 12. 2005 samt Anhängen. Auf Antrag der Beklagten erfolgte auch eine Notifikation des Basisprospekts in Österreich. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief vom 20. 12. 2005 bis zum 24. 2. 2006; am 31. 3. 2006 erfolgte die Emission. Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt; dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt. Nachdem die Gelder der Anleger aufgrund betrügerischer Machenschaften großteils verloren sind, werden die Zertifikate als wertlos angesehen.

Der Kläger stützt sein Schadenersatzbegehren einerseits auf vertragliche und andererseits auf deliktische Rechtsgrundlagen, insbesondere die Prospekthaftung. Zur (internationalen) Zuständigkeit des Erstgerichts beruft er sich primär auf Art 15 Abs 1 lit c VO (EG) 44/2001 (EuGVVO), hilfsweise auch auf Art 5 Nr 3 und Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO.

Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts und beantragte (hilfsweise) die Klageabweisung.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Aus einer Entscheidung des EuGH in einem Parallelverfahren ergebe sich rechtlich, dass die Zuständigkeit des Erstgerichts weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO gestützt werden könne. Eine vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen sei aus dem gesamten Akteninhalt nicht erkennbar. Deliktische Schadenersatzansprüche könnten nach Art 5 Nr 3 EuGVVO vor dem Gericht jenes Orts geltend gemacht werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Aus der Klagserzählung ergebe sich keinerlei Anknüpfungspunkt für einen Handlungsort im Zuständigkeitsgebiet des angerufenen Gerichts. Es enthalte auch keinen Hinweis darauf, dass sich der Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank in Wien verwirklicht hätte.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Ob der vom Erstgericht abgelehnte Verbrauchergerichtsstand nach Art 15 Abs 1 EuGVVO in Betracht käme, werde im Rekurs nicht releviert, sodass darauf nicht einzugehen sei. Auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Nr 1 EuGVVO könne sich der Kläger zwar grundsätzlich berufen, doch liege der Erfüllungsort für allfällige Schadenersatzansprüche aus Vertragsverletzung außerhalb Österreichs.

In seinem Revisionsrekurs, mit dem er in erster Linie eine Abänderung im Sinne einer Verwerfung der Einrede der internationalen Unzuständigkeit anstrebt, macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass Prospekthaftungsansprüche unter Art 5 Nr 3 EuGVVO fielen und ihm zusätzlich auch der Gerichtsstand des Art 5 Z 1 EuGVVO zur Verfügung stehe. Der Erfüllungsort für den Anspruch auf Zahlung aus der Anleihe liege in Österreich, weil der Anleger an seinem Sitz bzw an jenem seiner Depotbank die Gutschrift hätte erhalten sollen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig. Über seine Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu 3 Ob 28/17i zu entscheiden sein. Eine Wiedergabe der in diesem Verfahren gestellten Vorlagefragen kann hier unterbleiben, waren doch sowohl die Beklagte als auch die Klagevertreterin am genannten Verfahren beteiligt.

Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb sich auch dieselben Rechtsfragen stellen wie im Verfahren 3 Ob 28/17i.

Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583) und erst nach Einlangen der Vorabentscheidung fortzusetzen.

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