OGH 1Ob37/95

OGH1Ob37/9527.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang G*****, vertreten durch Dr.Johannes Roilo, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Klaus Riedmüller, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 26.659 S sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichts vom 11.November 1994, GZ 3 R 533/94-24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 5.Juli 1994, GZ 16 C 177/93-20, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das in seinem bestätigenden Teil als unangefochten unberührt bleibt, wird im abändernden Teil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts in diesem Umfang wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.058,88 S bestimmten Kosten (darin 676,48 S USt) des Berufungsverfahrens und die mit 6.038,88 S (darin 676,48 S USt und 1.980 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Stadtmagistrat Innsbruck bewilligte der beklagten Baugesellschaft mit Bescheid vom 17.Juli 1992 die Durchführung von Grabungs- und Bauarbeiten in der Herrengasse in Innsbruck in der Zeit vom 20.Juli 1992 bis etwa 21.August 1992 unter der Auflage, daß die in der Verordnung beschriebenen Verkehrszeichen angebracht sowie deren Standort und Erkennbarkeit täglich überprüft und im Bautagebuch festgehalten werden, und erließ gleichzeitig mit diesem Bescheid durch Verordnung folgende Verkehrsregelung:

„Verordnung:

Auf Grund der §§ 43 (1a) und 94d StVO 1960 .... wird im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs folgende Verkehrsregelung verfügt:

1. „Halten und Parken verboten“ (§ 52 Z 13 b StVO 1960) Herrengasse: südseitig, im Bereich der Baustelle

2. „Einfahrt verboten“ (§ 52 Z 2 StVO 1960)

- ausgenommen Baustellenfahrzeuge und Garagenzufahrt - Herrengasse: an deren Kreuzung mit dem Rennweg

3. „Vorgeschriebene Fahrtrichtung gerade aus“ (§ 52 Z 15 StVO 1960)

- ausgenommen Baustellenfahrzeuge und Garagenzufahrt - Rennweg: an deren Kreuzung mit der Herrengasse

4. „Baustelle“ (§ 50 Z 9 StVO 1960)

Herrengasse: vor der Baustelle, für den Verkehr aus allen Fahrtrichtungen

5. „Engstelle“ (§ 50 Z 8 StVO 1960)

Herrengasse: vor der Baustelle, für den Verkehr aus allen Fahrtrichtungen.

6. Während der Sperrung der Herrengasse ist die Einbahnführung zwischen dem Rennweg und dem Torbogen aufzuheben.

Dieses Verkehrsregelung gilt für die Dauer der Bauarbeiten, das ist vom 20.7.1992 bis 21.8.1992. ...“

Am 3.August 1992 war die Baustelle in der Herrengasse wie folgt beschildert und gesichert: Die Durchfahrt durch die Herrengasse war im Osten der Baustelle - in Richtung des zur Herrengasse rechtwinkelig verlaufenden Rennwegs - unmittelbar vor dem Grabungsbereich bei den beiden Torbögen durch zwei in stumpfem Winkel zueinander angeordnete Absperrgitter versperrt. Am östlichen Beginn der Herrengasse waren am linken Fahrbahnrand auf einem mobilen Ständer die Gefahrenzeichen „Fahrbahnverengung“ (§ 50 Z 8 lit a StVO 1960) und „Baustelle“ (§ 50 Z 9 StVO 1960) angebracht. Etwas weiter östlich davon, im Kreuzungsbereich zum Rennweg auf Höhe der Herrengasse, und zwar am linken Fahrbahnrand einige Meter von der dort befindlichen Gehsteigrundung entfernt, befand sich das mobile Verkehrszeichen „Vorgeschriebene Fahrtrichtung (gerade aus)“ (§ 52 Z 15 StVO 1960) mit einem leicht nach unten geneigten, fast waagrechten Pfeil, der so angebracht war, daß er Pfeil parallel zum Rennweg in Richtung Norden wies. Dieses Verkehrszeichen war mit einer Zusatztafel mit der Aufschrift „Ausgenommen Baufahrzeuge und Zufahrt zu den Garagen“ versehen. Das Einbahnzeichen (Richtung Westen) am rechten Fahrbahnrand am Beginn der Herrengasse war mit einem Plastiksack verhüllt. Der Rennweg ist eine Einbahnstraße mit drei Fahrstreifen in Richtung Norden; auf seiner Westseite bis knapp vor die Abzweigung nach links in Richtung Westen in die Herrengasse waren Autos geparkt. Die Sicht ist je nach eingenommener Position sehr unterschiedlich. Diese Absperrungen und Verkehrsschilder einschließlich des verhüllten Einbahnzeichens waren bei der Fahrt auf dem Rennweg in Richtung Norden nicht erkennbar, weil sie sich entweder zur Gänze in der Herrengasse befanden oder - wie das Verkehrszeichen „Vorgeschriebene Fahrtrichtung“ - unmittelbar im Kreuzungsbereich parallel zum Fließverkehr, somit in Blickrichtung des aus dem Süden herannahenden Verkehrs nicht erkennbar aufgestellt waren.

Am 3.8.1992 fuhr eine Pkw-Lenkerin um etwa 17.30 Uhr - die Baustelle war bereits geschlossen, die Arbeiter waren nicht mehr anwesend - auf dem Rennweg in Richtung Norden, bog nach links in die Herrengasse ab und bemerkte erst nach dem Abbiegemanöver die Sperre der Herrengasse. Sie hielt ihren Pkw sogleich im Einmündungsbereich am Beginn der Herrengasse an, um den Retourgang einzulegen. Kurz darauf fuhr auch der Kläger mit seinem Leichtmotorrad mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 - 45 km/h auf dem linken Fahrstreifen des Rennwegs in Richtung Norden und wollte gleichfalls nach links in die Herrengasse abbiegen. Bei Annäherung an die Herrengasse sah er den Pkw der Pkw-Lenkerin in der Einfahrt zur Herrengasse stehen, betätigte in einer Art Schreckreaktion sowohl die Hand- als auch die Fußbremse und versuchte eine Ausweichlenkung nach rechts. Dabei kam das Motorrad ins Schleudern, es rutschte weg und der Kläger kam im Kreuzungsbereich, etwa zwei Meter hinter dem PKW zu Sturz, ohne daß es zwischen dem Pkw und dem Motorrad zu einer Berührung gekommen wäre.

Der Kläger begehrte vom beklagten Bauführer aus dem Titel des Schadenersatzes zuletzt (ON 14 AS 55) 59.982,75 S sA wegen der mangelhaften Absicherung der Baustelle.

Die beklagte Partei wendet unter anderem die mangelnde Passivlegitimation ein, weil sie im Zusammenhang mit der Beschilderung der Baustelle als Gehilfin der Behörde tätig geworden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, die Beschilderung der Unfallstelle durch die beklagte Partei sei zwar unzureichend gewesen, dem Kläger sei aber der Nachweis nicht gelungen, ein der beklagten Partei zurechenbares Verhalten wäre für seinen Schaden kausal gewesen.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts teilweise dahin ab, daß es dem Kläger einen Teilbetrag von 26.659 S sA zusprach. Die Abweisung des Mehrbegehrens wurde - in dritter Instanz unangefochten - bestätigt und ausgesprochen, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht führte die zweite Instanz im wesentlichen aus, die Unterlassung einer entsprechenden Absicherung der Baustelle stelle eine Verletzung der der beklagten Partei nach dem Ingerenzprinzip obliegenden Sicherungspflicht dar und verstoße zugleich gegen die Schutznormen der § 32 Abs 6 und § 90 StVO 1960. Die beklagte Partei hätte daher nach den §§ 1311 und 1298 ABGB den Beweis erbringen müssen, daß sie alles unternommen habe, um einem allfälligen Schadenseintritt durch die Bauführung vorzubeugen. Das sei ihr nicht gelungen. Infolge des Mitverschuldens des Klägers - Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO 1960 (Fahren auf Sicht) und Überbremsung seines Motorrads - sei mit einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu seinen Lasten vorzugehen.

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wird durch Arbeiten auf oder neben der Straße der Straßenverkehr beeinträchtigt, so ist hiefür eine Bewilligung der Behörde erforderlich (§ 90 Abs 1 StVO 1960 in der zum Unfallszeitpunkt maßgeblichen Fassung der 17.StVO-Novelle BGBl 1990/423). Die Bewilligung ist unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Bauführung und der Verkehrsbedeutung der Straße zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs bedingt, befristet oder mit Auflagen zu erteilen (§ 90 Abs 3 erster Satz StVO 1960). Die Verpflichtung des hier beklagten Bauführers zur Anbringung der in der gleichzeitig erlassenen Verkehrsregelungs-Verordnung der nach § 90 und § 94d Z 16 StVO 1960 zuständigen Gemeinde (hier: Stadtmagistrat Innsbruck) ergibt sich aus deren Bescheid vom 17.Juli 1992, mit dem der beklagten Partei die Bauführung und Grabung unter der Auflage bewilligt wurde, daß die in der gleichzeitig erlassenen Verordnung beschriebenen Verkehrszeichen angebracht sowie deren Standort und Erkennbarkeit täglich überprüft werden. Grundlage dafür war § 32 Abs 6 StVO 1960 und die dort normierte Verpflichtung des Bauführers, Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs auf seine Kosten anzubringen und zu erhalten, wenn diese aus Anlaß von Arbeiten auf oder neben der Straße erforderlich sind. Diese Bestimmung darf jedoch nicht isoliert, sondern muß im Einklang mit § 43 Abs 1a StVO 1960 gesehen werden. Danach hat die Behörde die vorhersehbaren, für die Arbeitsdurchführung erforderlichen Verkehrsregelungen durch Verordnung festzulegen. Wenn diese örtlich bzw zeitlich nicht genau vorherbestimmbar sind, sind die Organe des Bauführers ermächtigt, nach Maßgabe der Arbeitsdurchführung den örtlichen und zeitlichen Umfang der von der Behörde verordneten Verkehrsmaßnahmen durch Anbringung oder Sichtbarmachung der betreffenden Straßenverkehrszeichen mit der Wirkung zu bestimmen, als ob der örtliche und zeitliche Umfang von der Behörde bestimmt worden wäre.

Im vorliegenden Fall verordnete die zuständige Gemeinde im Zusammenhang mit den von der beklagten Partei durchzuführenden Bauarbeiten auf oder neben einer Straße neben der Aufstellung von Gefahrenzeichen nach § 50 Z 8 lit a und Z 9 StVO 1960 auch von drei Vorschriftszeichen, und zwar von zwei Verbots-und Beschränkungszeichen nach § 52 Z 2 und Z 13b StVO 1960 und einem Gebotszeichen nach § 52 Z 15 StVO 1960. Vorschriftszeichen dienen der Kundmachung einer Verordnung (§ 44 Abs 1 StVO 1960) und zeigen eine gesetzliche oder verordnete Regelung an; der Normadressat hat sie zu befolgen, ohne sich auf Überlegungen über ihren Grund und Zweck einzulassen. Generelle Anordnungen, mit denen den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben und die Kundmachung durch die entsprechenden Verkehrszeichen verfügt wird, sind dem hoheitlichen Bereich zugeordnet (SZ 56/134 = ZVR 1984/256 mwN; ZVR 1981/64; 1 Ob 25/94 ua; Schragel AHG2 Rz 32). Die Anbringung von Vorschriftszeichen nach § 52 StVO 1960 erfolgt als Verordnungskundmachung in Vollziehung der Gesetze; die Kundmachung als integrierender Bestandteil der Hoheitsverwaltung (SZ 59/4 = JBl 1986, 250 = EvBl 1986/119 = ZVR 1987/40 mwN) war hier dem - insoweit in die Pflicht genommenen, das heißt zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben herangezogenen (Schragel aaO Rz 27) - beklagten Bauführer auferlegt. Der Bauführer wird beim Aufstellen von Vorschriftszeichen nach § 52 StVO 1960 durch das Handeln seiner Bediensteten als Organ des Rechtsträgers im Sinn des § 1 Abs 2 AHG in Vollziehung der Gesetze tätig (Schragel aaO Rz 32). Erfolgt aber die Aufstellung von Vorschriftszeichen nach § 52 StVO 1960 im Rahmen der Hoheitsverwaltung, führen Fehler bei der technisch einwandfreien Aufstellung entsprechend den bei der Kundmachung zu berücksichtigenden Verkehrsverhältnissen oder bei deren mangelhaften Überwachung zur Amtshaftung (SZ 62/144; Schragel aaO Erg Rz 340). Wegen Verletzung der ihn treffenden Verkehrssicherungspflicht nach § 32 Abs 6, sowie § 90 Abs 3 StVO 1960 iVm § 1311 ABGB kann der Bauführer vom Geschädigten nur dann mit Erfolg belangt werden, wenn er die ihm behördlich aufgebürdeten Verpflichtungen zur Kennzeichnung und Absicherung der Straßenbaustelle nicht erfüllt, die sich für ihn nicht zugleich als Verpflichtung zur Kundmachung der weiter oben wiedergegebenen Verordnung darstellen. Die Grundsätze der Amtshaftung (§ 1 Abs 1 und 2 sowie § 9 Abs 1 und 5 AHG) schließen es aus, daß der in Pflicht genommene, bei der Kundmachung einer Verordnung und somit im Zusammenhang mit einem hoheitlichen Rechtsakt als Organ handelnde Bauführer neben dem gemäß § 1 Abs 1 AHG haftenden Rechtsträger aus dem Titel des Schadenersatzes in Anspruch genommen werden kann.

Den vorinstanzlichen Feststellungen zufolge fehlte das Vorschriftszeichen „Einfahrt verboten“ (§ 52 Z 2 StVO 1960) und war das Vorschriftszeichen „Vorgeschriebene Fahrtrichtung (geradeaus)“ (§ 52 Z 15 StVO 1960) für die den Rennweg in nördlicher Richtung befahrenden Straßenbenützer nicht ausreichend erkennbar. Beim festgestellten Unfallshergang kann der für den Schaden des Klägers ursächliche Fehler des Bauführers lediglich in dem mangelhaften Kundmachungsakt betreffend zwei von der Behörde verordneten Vorschriftszeichen nach § 52 StVO 1960 liegen und ist damit in Vollziehung der Gesetze im Sinne des § 1 Abs 1 AHG geschehen.

Soweit ein Schaden auf die Unterlassung der Anbringung von Gefahrenzeichen oder deren mangelhafte Aufstellung zurückzuführen wäre, löste zwar ein solcher Sachverhalt Amtshaftung nicht aus, weil damit Verkehrsbeschränkungen nicht angeordnet werden, sondern damit nur vor solchen gewarnt wird, sodaß solche Fehler als Verstöße gegen die privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht zu beurteilen wären, doch gibt in solchen Fällen, in welchen die Merkmale, die die Amtshaftung zur Folge haben, und jene, die die allgemeine Haftung nach den §§ 1295 ff ABGB auslösen würden, bei der Beurteilung der Rechtsfolgen eines Sachverhalts voneinander nicht getrennt werden können, die amtshaftungsrechtliche Tangente als die speziellere Regelung den Ausschlag (1 Ob 2/94; ähnlich auch ZVR 1967/149). Wäre der Unfall deshalb sowohl auf die unterlassene oder mangelhafte Aufstellung von Vorschriftszeichen als auch auf die solcherart fehlerhafte Anbringung von Gefahrenzeichen zurückzuführen, wäre doch der Unfall nach amtshaftungsrechtlichen Kriterien zu beurteilen.

Im übrigen können die beiden erst in der Herrengasse angebrachten Gefahrenzeichen sowie das Vorschriftszeichen „Halten und Parken verboten“ (§ 52 Z 13 b StVO 1960) nach dem Ablauf des Geschehens für den Unfall denknotwendigerweise nicht ursächlich gewesen sein.

Der Kläger mag nun einen - freilich nicht erhobenen - Schadenersatzanspruch aus dem Titel der Amtshaftung gegen den Rechtsträger (gemäß § 94 d Z 16 StVO 1960 wohl die Gemeinde) haben, hat aber jedenfalls keinen solchen gegen den beklagten Bauführer als dessen Organ (§ 9 Abs 5 AHG) wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

Der Revision ist deshalb im Sinne der Wiederherstellung des das Begehren zur Gänze abweisenden Ersturteils Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte