OGH 1Ob327/60

OGH1Ob327/6029.9.1960

SZ 33/98

Normen

Mietengesetz §1 Abs2 Z2
Mietengesetz §1 Abs2 Z2

 

Spruch:

Bei Errichtung eines Hauses ohne Baubewilligung kommt es nach § 1 Abs. 2 Z. 2 MietG. auf den Zeitpunkt der Inangriffnahme des Baues an.

Entscheidung vom 29. September 1960, 1 Ob 327/60.

I. Instanz: Bezirksgericht Klosterneuburg; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Kläger kundigten der Beklagten die von ihr gemietete Wohnung aus den Gründen der Z. 4 und 5 des § 19 Abs. 2 MietG. auf.

Das Erstgericht stellte fest, daß von der Beklagten am Mietobjekt zwar Schäden verursacht wurden, daß diese aber nicht so bedeutend seien, daß sie einem erheblich nachteiligen Gebrauch gleichkämen. Das Vorliegen des vom Erstkläger und der Zweitklägerin geltend gemachten Eigenbedarfes im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. wurde bejaht, die Möglichkeit der Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes im Hinblick auf die Bestimmung des § 19 Abs. 3 MietG. jedoch verneint und die Kündigung als rechtsunwirksam aufgehoben.

Das Berufungsgericht vertrat gleich dem Erstgericht die Rechtsansicht, daß den Klägern die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. zufolge der Bestimmung des § 19 Abs. 3 MietG. verwehrt sei, hob aber das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, weil es hinsichtlich der behaupteten Vernachlässigung des Mietobjektes die Rechtssache für noch nicht spruchreif hielt.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Kläger, in dem sie behaupten, daß auf das aufgekundigte Mietobjekt die Einschränkung des Kündigungsrechtes nach § 19 Abs. 3 MietG. nicht zur Anwendung komme, so daß sie auch den Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. mit Erfolg geltend machen könnten. Sie begehren daher, weil die Untergerichte den Eigenbedarf als erwiesen angenommen hätten, den angefochtenen Beschluß des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt werde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den Feststellungen der Untergerichte sind Eigentümer der Liegenschaft der Erstkläger zur Hälfte, die Zweitklägerin zu einem Sechstel und die Drittklägerin zu einem Drittel. Diese Liegenschaft wurde von den Eltern des Erstklägers und der Drittklägerin im Jahre 1928 käuflich erworben. Auf dieser Liegenschaft befindet sich ein im Jahr 1983 errichteter Neubau, in dem die drei Kläger wohnen, und ein in den Jahren 1911/1912 errichteter ebenerdiger Altbau, der von der Beklagten bewohnt wird. Dem damaligen Gründeigentümer wurde zwar eine Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses mit Bescheid der Stadtgemeinde K. vom 23. Oktober 1911 erteilt, die aber nicht zur Durchführung gekommen ist. Der damalige Gründeigentümer errichtete 1911/1912 an Stelle des projektierten Wohnhauses den heute noch vorhandenen, jetzt von der Beklagten bewohnten Altbau als provisorische Wohnung und suchte am 13. Juli 1914 um die Kollaudierung dieses Objektes an. Aus dem Bauakt geht nicht hervor, ob für diesen Bau nachträglich die Bau- und Benützungsbewilligung erteilt wurde.

Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes haben die Untergerichte u. a. ausgeführt, daß die Ausnahmebestimmungen des § 1 Abs. 2 Z. 1 und 2 MietG. nur einen Anreiz zur Schaffung neuen Wohnraumes bilden sollten, wobei der in Z. 2 genannte Stichtag den Baubeginn festlegen sollte und nur aus Gründen der leichteren Ermittlungsmöglichkeit an die Baubewilligung angeknüpft wurde. Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Baubeginnes könne daher kein Anlaß bestehen, die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 3 MietG. in Zweifel zu ziehen.

Der Rekurs der Kläger gegen diese Rechtsansicht ist unbegrundet.

Die Kläger stützen sich auf den Wortlaut des § 1 Abs. 2 Z. 2 MietG. Sie meinen, daß deshalb, weil für das gegenständliche Haus noch keine Baubewilligung erteilt worden sei, dieses einem solchen Haus gleichgestellt werden müsse, für welches die Baubewilligung erst nach dem 27. Jänner 1917 erteilt worden sei. Hiebei übersehen die Kläger zunächst, daß dem damaligen Eigentümer am 23. Oktober 1911 eine Baubewilligung für die Errichtung eines Hauses auf der gegenständlichen Parzelle erteilt wurde. Daß er nicht ein Haus nach den vorgelegten Plänen, sondern "provisorisch" ein anderes Gebäude errichtete, konnte weder ihn von der Anwendung des Mietengesetzes für das entgegen der erteilten Baubewilligung errichtete Haus befreien, noch kann sich dieser Umstand heute zugunsten seiner Rechtsnachfolger auswirken. Auf den Mangel der Erteilung einer Benützungsbewilligung für das in Abweichung von der Baubewilligung errichtete Haus kommt es nicht an, weil § 1 Abs. 2 Z. 2 MietG. auf die Bau- und nicht auf die Benützungsbewilligung abstellt.

Selbst wenn man aber die Ansicht vertreten wollte, daß es darauf ankomme, ob für das vom damaligen Eigentümer tatsächlich errichtete Haus eine Baubewilligung erteilt wurde oder nicht, so weisen selbst die Kläger darauf hin, daß das Mietengesetz geschaffen wurde, um den alten Mietbestand zu schützen und die Schaffung neuen Wohnraumes anzuregen. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mietengesetzes bestand das aufgekundigte Objekt längst; es ist sicherlich kein Neubau, der erst nach dem 27. Jänner 1917 errichtet wurde. Der Oberste Gerichtshof folgt daher der von den Untergerichten und der Rechtslehre (Sternberg, Das Mietengesetz, 4. Aufl. S. 67, und Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz, 2. Aufl. S. 89) vertretenen Rechtsansicht, daß es bei Häusern, die ohne Baubewilligung errichtet wurden, auf den Zeitpunkt der Inangriffnahme des Baues ankommt, welche Rechtsansicht er übrigens auch schon in der Entscheidung 3 Ob 226/30 vertreten hat. Die in der Revision bezogene Entscheidung MietSlg. 10.191 bezieht sich auf § 1 Abs. 2 Z. 1 MietG., die Entscheidung MietSlg. 13.068 auf einen anderen Sachverhalt. Der Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien MietSlg. 10.224 kann aus den oben angeführten Gründen nicht gefolgt werden. Im vorliegenden Fall wurde der Bau 1910 oder 1912 nicht bloß begonnen, sondern errichtet.

Da das gegenständliche Haus den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes schon seit dessen Inkrafttreten unterliegt, kann die Frage, welchen Einfluß die Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl.

I S. 1671, auf den vorliegenden Fall hat, gar nicht auftreten. Jedenfalls handelt es sich nicht um einen "Neubau" im Sinne der Entscheidungen SZ. XXII 46 und SZ. XXII 85.

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